Porträt per Telefon

Aus dem Leben einer Wäscherin

66:13 Minuten
Bunte Kugelschreiber sind säuberlich an einer Wand angebracht.
Ausgleich vom Stress, vom Druck des Lebens: Kugelschreiber an der Wand unseres Porträtgastes. © Ludger Blanke
Von Matthias Dell · 05.07.2020
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Die Geschichte einer vermeintlich gewöhnlichen Frau als Erzählung über alles: Arbeitskampf und Altersarmut, Westreisen zu DDR-Zeiten, Vertrauen und Verluste - und wie einem das Sammeln von Kugelschreibern Ausgleich verschafft.
"Porträt per Telefon" hieß eine Live-Sendung im DDR-Fernsehen, die von 1969 bis 1990 lief. Moderiert wurde sie von Heinz Florian Oertel, dem bekanntesten Sportreporter des Landes. Zu Besuch war immer nur ein Gast, die Menschen vor dem Fernseher konnten anrufen und Fragen stellen, die der Moderator weiterreichte.
Unser Feature "Porträt per Telefon: Aus dem Leben einer Wäscherin" ist einerseits also eine kleine medienhistorische Hommage. Macht aber andererseits sein eigenes Ding - und leiht sich den Titel, um durch ein langes Telefonat ein Leben zu erzählen.

Eine Erzählung über alles

Erzählt wird das Leben einer Frau aus Neustadt an der Orla. Geboren wurde sie 1961 in Saalfeld. Und was als Gespräch beginnt über den Wert der Arbeit, über Arbeitsbedingungen in der Wäscherei und wie mit jedem neuen Chef etwas schlechter wird in den letzten 26 Jahren, wechselt bald in eine Erzählung über alles.
Über oben und unten - in Neustadt an der Orla und in der Gesellschaft. Über damals und heute, die Schweinemastanlage und die Wäscherei, Gestank und Sauberkeit. Über DDR und BRD, wobei hier nicht jedes politische System die Rolle spielt, die ihm gemeinhin zugedacht wird. Westreisen und Leistungsgesellschaft. Altersarmut und 9,35 Euro Mindestlohn. Erster Sekretär des Zentralrats der FDJ. Und gute Musik: "Help Mother".

"So kann man leben"

Es geht aber auch um Familie und Freundschaft, Vertrauen und Verlust. Darüber, dass Mädchen lieber das Motorrad sauber machen, als Stricken zu lernen. Warum zum Stiefvater nicht Stiefvater gesagt wird, sondern Vater. Und wie Kugelschreiber, die noch in den Kitteln und Kasacks stecken, wenn die in die Wäscherei kommen, epiphanische Erlebnisse zum Ausgleich verschaffen können. Auch wenn hier niemand "epiphanisch" sagt. "Und so, denke ich mal, kann man leben."
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