Porträt eines alternden Mimen

18.03.2010
Bestseller-Autor Philip Roth erzählt in "Die Demütigung" die Geschichte eines Schauspielers in den Sechzigern. Einst ein Star wird er zum gefährdeten Selbstmordkandidat, der durch die Affäre mit einer Frau aus seiner Lethargie gerissen wird.
Unbeeindruckt davon, dass ihn das Stockholmer Nobelpreiskomitee seit Jahren übergeht, beschleunigt der bald 77-jährige Philip Roth seine Produktivität auf fast erschreckende Weise. Kaum einer seiner zuletzt erschienenen Romane erreicht freilich jene Qualitäten, die "Sabbaths Theater", "Amerikanisches Idyll" oder "Jedermann" auszeichneten, und auch sein jüngster Roman "Die Demütigung" ist ein nur in Teilen überzeugendes Nebenwerk.

Simon Axler, ein Mann in den Sechzigern, galt lange als einer "der letzten der großen klassischen amerikanischen Bühnenschauspieler". Als der Roman einsetzt, ist es mit dieser Herrlichkeit jedoch vorbei: Eine Art "actor's block" sucht ihn heim. Lächerlich erscheint ihm plötzlich, was er dem Publikum zumutet: "Ich kann das Vorgestellte nicht mehr zu etwas Wirklichem machen." Binnen kürzester Zeit wird aus dem gefeierten Mimen ein Selbstmordkandidat. Seine Frau verlässt ihn; sein drogenabhängiger Stiefsohn stirbt, und nachdem er sich in sein Landhaus zurückgezogen hat, begibt er sich für einen knappen Monat in psychiatrische Behandlung.

Wieder zurückgekehrt auf seine einsame Farm, tut Simon nichts, um seinen Zustand zu ändern. Auch die Anstrengungen seines Agenten, ihn zu einem Comeback zu bewegen, fruchten nichts. Doch "Die Demütigung" wäre kein Roman von Philip Roth, wenn es nicht plötzlich zu einem Aufbäumen käme, das – wir sind nicht überrascht – mit einer "geschmeidigen, vollbrüstigen Frau" zu tun hat. Die 40-jährige Pegeen, Tochter eines befreundeten Schauspielerehepaars, besucht Simon und beschließt, das "Wagnis" einer Beziehung mit dem kränkelnden Schauspieler einzugehen. Dass sie die vorangegangenen 20 Jahre in lesbischen Gemeinschaften lebte, hält die Handlung kaum auf. Beide lassen sich ein gutes Jahr lang aufeinander ein und frischen ihr Sexualleben mit Dildos und flotten Dreiern auf.

Roths Roman krankt – wie manche seiner letzten Bücher – daran, dass die existenzielle Verzweiflung des Protagonisten mehr behauptet, denn dargestellt wird. Offenkundig verspürt Roth keine große Lust mehr, wie in "Sabbaths Theater" ein detailliert ausgemaltes, von Widersprüchen geprägtes Innenleben seiner Figuren zu liefern. Hastig treibt er den Plot voran, baut Nebenfiguren ein, die kaum mehr als Schemen sind, und schließt – nachdem Simon nach gut einem Jahr von Pegeen verlassen und "gedemütigt" wird – das Ganze am Ende zu einem kunstvollen, aber auch künstlichen Kreis zusammen: Axler erkennt, dass er seinen "Sturz" selbst verschuldet hat, und geht, mit Tschechows Hilfe, noch einmal auf die Bühne, um "ein letztes Mal das Vorgestellte Wirklichkeit werden zu lassen".

Ein schaler Nachgeschmack bleibt, nicht zuletzt, weil sich Simon Axlers Kurzzeitbeziehung mit der vorübergehend "bekehrten" Pegeen wie eine Prosa gewordene Männerfantasie liest. Wie sich die nicht mehr ganz junge Frau vom alternden Liebhaber neu einkleiden lässt, wie sie rüden Sex praktiziert und wie sie zuletzt als egoistischer, skrupelloser Charakter auftritt, sorgt beim Leser für Beklommenheit. Was mag Philip Roth bewogen haben, das Thema des Altwerdens mit einem derart angestrengten Bäumchen-wechsle-dich-Spiel aufzuladen? Einer Schriftstellerin wäre das nie eingefallen.

Besprochen von Rainer Moritz

Philip Roth: Die Demütigung. Roman.
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
Carl Hanser Verlag, München 2010,
138 Seiten, 15,90 Euro
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