Popovic: Wenig Gelegenheit, ein Poet zu sein

12.03.2008
Das Gastland Kroatien steht im Mittelpunkt der Leipziger Buchmesse. Nenad Popovic, Verleger aus Zagreb, hat mit "Kein Gott in Susedgrad" eine Anthologie neuer kroatischer Literatur herausgegeben. Es sei vor allem die Erfahrung des Krieges und die Beschreibung einer harten Realität, die sich in den Texten der jüngeren Autoren spiegele.
Jürgen König: Heute Abend wird die Leipziger Buchmesse eröffnet mit ihrem Schwerpunkt kroatische Literatur, deren wichtigster Verleger ist Nenad Popovic vom Durieux Verlag, und er ist unser Gast. Schön, dass Sie da sind!

Nenad Popovic: Guten Tag!

König: 73 Jahre Jugoslawien, das wirkt in den Köpfen, stelle ich mir vor, sehr, sehr lange nach. Wie lange hat es nachgewirkt, wenn Sie so die letzten 17 Jahre zurückbedenken, und wie kam es dann so allmählich zu einem Entstehen einer Literatur, die sich kroatisch nennen kann?

Popovic: Jugoslawien hat stark nachgewirkt wegen der Chance, die Jugoslawien beinhaltet hatte als Föderation, als ein Potenzial an Freiheit. Das war das liberalste kommunistische Land. Und das Ende hat uns alle beeindruckt, als die jugoslawische Armee quasi die Bevölkerung, die Steuerzahler überfallen hat. Das Bild von Jugoslawien in der Retrospektive sieht eher immer trister aus. Es ist in der Geschichte verschwunden. Wiederauferstanden sind alte Linien, auch literarische, die slowenische Literatur, dann eben wieder als nur die slowenische, die kroatische als nur die kroatische. Was aber nicht heißt, dass der Kulturraum, zum Beispiel im literarischen Bereich, im Theaterbereich auseinandergebrochen ist. Da haben schon die Kollegen, da haben wir alle geschaut, dass das erhalten bleibt, dass wir uns nicht infizieren lassen von diesen zu dummen Ideologien der Trennung. Das funktioniert auch in der neuesten Generation. Gott sei Dank kann man einem die Sprache letztlich schlecht wegnehmen.

König: Sie sagen, entschuldigen Sie bitte, wenn ich unterbreche, Ideologie der Trennung. Es hat nationalistische Politiker damals gegeben, die haben gefordert und das auch durchgesetzt, dass sprachliche Gemeinsamkeiten aufgehoben wurden, dass gerade das Trennende, das Verschiedene der Sprachen hervorgehoben wurde. Was ist aus dieser Entwicklung geworden?

Popovic: Das hat so in Anfang der 90er Jahre angefangen. Die Kroaten wurden von Staats wegen, von Franjo Tudjman angehalten, noch Kroatischer zu sprechen, als sie bereits sprachen, damit sie sich ein bisschen von Serben unterscheiden in der Sprache. Aber das war lächerlich. Die Sprache ist etwas Lebendiges. Sie können da nicht eingreifen. Dann hat sogar ein rechter Politiker ein Sprachgericht gefordert, wo wir alle abgestraft würden, wenn wir nicht sehr, sehr Kroatisch, was das ist, weiß niemand, aber noch Kroatischer drucken würden. Aber das war dann ein Slapstick. Diese Zeit ist längst vorbei.

König: Versteht das heutige Lesepublikum, das junge Lesepublikum noch Serbisch?

Popovic: Wir verstehen das Serbische ausgezeichnet. Das sind praktisch identische Sprachen. Ich hab noch nie von jemand gehört, dass er ein Wort nicht verstanden hätte. Es sei denn, besondere Wörter vielleicht aus der orthodoxen Theologie oder solche Ausdrücke.

König: Sehr spezielle Gebiete.

Popovic: Ja, ja.

König: Ein gemeinsamer Kulturraum blieb erhalten, sagen Sie. Was zeichnet kroatische Literatur aus, welche Themen beschäftigen junge Autorinnen und Autoren, welche Rolle spielt der Krieg noch als Erinnerung und welche Themen sind es sonst? Nach meinem Eindruck, was ich jetzt so in den Zeitungen gelesen habe, würde ich es wirklich mit dem alten Slogan Sex and Drugs and Rock 'n' Roll zusammenfassen.

Popovic: Sex, Drugs and Rock 'n' Roll interessiert alle jungen Leute, nicht nur in Kroatien. Was die kroatische Literatur sehr aufregend macht in dieser jüngeren Generation, ist ihre nächste Nähe zur Realität. Sie beschreiben sehr hart eine Realität voller Gewalt in einem Land der Transition. Sie verzichten auf Naturbeschreibungen, sagen wir so. Sie beschreiben vor allen Dingen ihre eigenen Situationen. Der Krieg ist natürlich eine ungeheure Erfahrung der Gewalt und der Gewalttätigkeit. Das spürt man in jedem Text praktisch, dass es um die Möglichkeit oder die Praxis der Gewalt geht, auch in zwischenmenschlichen Beziehungen. Es sind schon Poeten. Aber die Wirklichkeit gibt ihnen wenig Gelegenheit, Poeten zu sein.

König: Mit wie viel Optimismus blicken diese Poeten in die Zukunft?

Popovic: Ich glaube, dass sie so hart schreiben, weil sie in die Zukunft nicht mit Illusionen gehen wollen. Sie sind unsere Zukunft, und sie werden das sehr gut machen. Da sind sehr reife, quasi lebensmäßig frühreife jungen Menschen. Sie haben große Erfahrungen, sie erkennen Manipulation, sie erkennen auch latente Gewalttätigkeiten, Ungerechtigkeiten. Sie möchten, glaube ich, auch noch nicht mehr so sehr Kroaten oder Serben oder so etwas sein, sondern eine Zukunft sich aufbauen, wo man sie danach nicht mehr fragt.

König: Es hat ja eine sehr gut organisierte jugoslawische Verlagszene gegeben. Wie hat die sich in den letzten zehn Jahren entwickelt, und gibt es heute Kontakte zu, sagen wir mal, serbischen, bosnischen, slowenischen Verlagen?

Popovic: Ja, die jugoslawische Verlagsszene war eine große europäische Verlags- und Buchhandelsgeschichte. Der Sprachraum war 20 Millionen. Das ist schon beträchtlich. Der Zusammenbruch des Sozialismus, wie auch hier letztlich - wo sind die volkseigenen Betriebe, der hat sie natürlich alle in der Versenkung verschwinden lassen. Sie existieren nur noch dem Namen nach. Neugründungen beherrschen die Szene, kleinere Verlage, kleinere Buchhandlungen sind nicht fähig, ein übergeordnetes System auf die Beine zu stellen. Aber wir kooperieren sehr viel direkt. Durieux macht wie jedes Jahr mehrere Koeditionen mit montenegrinischen oder bosnischen oder serbischen Verlagen, sodass wir dann diese gemeinsamen Interessen, das ist nicht nur symbolisch, damit wir zeigen, sondern das ist realistisch. Die südslawische Idee, die südslawische Gemeinsamkeit ist viel, viel älter als Jugoslawien es war. Wir sind ein Raum, den Politiken nicht haben, als ein Staat oder als eine Republik formulieren können. Also sind wir wieder am Anfang, wo wir im 19. Jahrhundert waren. Wir tauschen Briefe aus, nur sind es nicht Briefe, sondern E-Mails. Wir tauschen Bücher aus oder so, und das ergibt sich. Wir machen, Durieux macht zum Beispiel eine Zeitschrift, in der Autoren aus ganz Ex-Jugoslawien schreiben. Die Zeitung "Feral Tribune", eine sehr wichtige Wochenzeitung für Kultur und Satire, sie hat Kolumnisten. Der eine Kolumnist ist aus Belgrad, der andere ist aus Sarajevo, drei sind aus Kroatien.

König: Das klingt jetzt so, Herr Popovic, als ob die Bundesrepublik Jugoslawien zwar zerfallen wäre, an ihrer Stelle jetzt aber ein kultureller Raum entstünde. Ist das nicht arg optimistisch gesehen, oder ist es einfach wirklich der Ist-Zustand, den Sie beschreiben?

Popovic: Nein, wir machen uns Illusionen über die Politik. Die Politik hat versagt. Es gab diesen Raum, bevor die Politik Jugoslawien gemacht hat. Und es gibt diesen Kulturraum auch nachher. Warum soll ein Staat, eine Staatsform die Lösung aller Probleme sein. Die Politiker haben uns da hineingestürzt. Ich bin nicht staatsgläubig. Jugoslawien war ein schönes Land, aber es war ein idiotischer Staat.

König: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Verleger Nenad Popovic aus Kroatien, dem Gastland dieser Leipziger Buchmesse, die heute beginnt. Herr Popovic, Ihren Verlag gibt es jetzt bald 17 Jahre. Erzählen Sie uns von Ihrem Arbeitsalltag. Mit welchen Problemen muss ein Verleger in Kroatien sich heute herumschlagen?

Popovic: Verleger in Kroatien kann, wenn ein Buch sich gut verkauft, in einem Jahr tausend Stück von einem Titel verkaufen und wenn es ein Bestseller ist, dann verkauft er im nächsten Jahr noch mal 1.000. Geld kann man da nicht machen. Der Verleger sitzt und schreibt Anträge auf Förderungen von Städten, Gemeinden, Kultusministerium, sonst was. An die EU können wir nicht schreiben leider, sonst würde ich mit der EU eine immense Korrespondenz haben, ob sie uns Geld geben wollen. Man versucht, einen Titel zu produzieren, aus einer Mischung von Finanzquellen, von kleinen Erträgen oder so. Ein kroatischer Verleger zahlt katastrophale Honorare. Er muss mit seinen Autoren sehr viel Kaffee und alkoholische Getränke zu sich nehmen, um das auszugleichen. Was ein kroatischer Verleger für seinen Autor machen kann, ist, dass er ihm ein schönes Buch macht und schaut vielleicht, dass das Buch irgendwo übersetzt wird oder so. Aber man muss das machen, denn es ist ein privilegierter Beruf. Sie haben den ganzen Tag mit schönen Dingen zu tun. Da gibt es keinen Grund zur Klage. Andere Leute stehen an einer überlauten Maschine acht Stunden und ich lese Texte. Die Autoren sind die Leidtragenden. Die Übersetzer, deren Honorare klein sind, weil keine Auflagen die Substanz der Kultur, der schriftlichen Kultur, ist sehr, sehr bedroht. Wir haben junge Übersetzer, die sich nicht richtige große Wörterbücher kaufen können.

König: Die kroatische Literatur ist den deutschen Lesern weitestgehend ja unbekannt. Ausnahmen, die es sicher gibt, werden die Regel nur bestätigen. Jetzt zur Leipziger Messe ist erschienen von Ihnen, bei Schöffling & Co herausgegeben, "Kein Gott in Susedgrad", neue Literatur aus Kroatien. Herr Popovic, Sie dürfen jetzt für Ihr Buch schwärmen. Sagen Sie uns, welche Autoren, welche Geschichten gibt es da zu entdecken?

Popovic: Es sind elf Autoren, der jüngste ist, glaube ich, so 28, 29, der älteste ist 45, so Mittdreißiger Durchschnitt, die Generation, die '95 angefangen hatte zu schreiben, sich vor allen Dingen mit dem Krieg, mit der Gewalt auseinandergesetzt hat. Ich wollte in der Anthologie das Beste zeigen, aber in allen Genres, in denen geschrieben und gedacht wird. Es ist nicht eine Anthologie der harten Prosa oder so etwas. Aber viel Gewalt kommt in dem Buch vor, auch latent. Ich glaube, dass unter jungen Lesern wird sie hier verstanden, und das wäre sehr gut. Denn wir brauchen wieder Anschluss oder diese Generation braucht einen Anschluss an ihre Gleichaltrigen.

König: Herr Popovic, ich wünsche Ihnen alles Gute in Leipzig! Ich wünsche Ihnen vor allem, dass Sie sich Ihren Humor bewahren und die Kraft, die Sie aus dem Humor schöpfen, um Ihren Verlag weiterzuführen! Kroatien als Gastland der Leipziger Buchmesse, ein Gespräch mit dem kroatischen Verleger Nenad Popovic. Vielen Dank!

Popovic: Danke schön!