Popmusik-Spezial (2/5)

So long good-bye

Die Band Boney M. während eines Konzerts im Ostberliner Palast der Republik, 1978.
Boney M. während eines Konzerts im Ostberliner Palast der Republik, 1978. © imago / Gueffroy
Von Harun Farocki · 09.06.2019
1977 nähert sich die Disco-Welle mit Boney M. ihrem Höhepunkt - karibisch bunt und unpolitisch ein krasser zeithistorischer Kontrast zu RAF, Öko-Pax-Bewegung, Ölkrise. Harun Farocki, bekannt für Filme zu Studentenbewegung, APO und Deutschem Herbst, ging mit dem Tonbandgerät ins Schlagerstudio.
April 1977: In den Hansa-Studios in Berlin wird in 18 Stunden eine Disco-Single von drei Minuten Länge produziert, die auf der Erfolgswelle von Boney M. und Donna Summer in die Plattenregale schwappen soll.
Die Studiomusiker spielen die Noten prima vista, sie kennen weder Titel noch Namen der Gruppe, unter dem die Single verkauft werden wird. Die aus New York eingekaufte Sängerin hat leider nicht die Stimme, die man erwartet. Rhythmusgruppe und Chor sind unterbesetzt. Aber all das kann eine mit einer 24-Spur-Maschine gerüstete Produzententruppe nicht schockieren.
Harun Farocki lieferte mit dieser Radio-Dokumentation ein entlarvendes Zeitdokument über Professionalität und Stümperhaftigkeit in der Musikindustrie.

Popmusik-Spezial (2/5)

So long good-bye
Von Harun Farocki

Regie: der Autor
Produktion: WDR 1978

(Teil 3 von Popmusik-Spezial am 16.6.2019)


Wie funktioniert Popmusik? Wie entsteht Popmusik? Wie verändert sich Popmusik? Was macht Popmusik so faszinierend? In "POPMUSIK-Spezial" bei "Freistil" geht es im Juni 2019 in fünf Sendungen genau um diese Fragen.



Harun Farocki
(1944-2014) stammte aus Tschechien. Als Filmemacher, Autor und Hochschuldozent für Film, realisierte er über 90 Filme, eine Reihe von künstlerischen Arbeiten, die im Ausstellungs- und Museumskontext gezeigt werden, unter anderem Installationen über Gefängnisse oder auch Shopping Malls. 2006 kuratierte er zusammen mit seiner Frau Antje Ehmann in Wien die Ausstellung ‚Kino wie noch nie‛, die 2007 in Berlin gezeigt wurde. ARTE Dokumentarfilmpreis 2009.
An der Documenta 12 (Kassel 2007) nahm Harun Farocki mit der Medieninstallation ‚Deep Play‛ (2007) teil. Farocki war der Lehrer des Regisseurs Christian Petzold an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin und beeinflusste dessen Werk nachhaltig. Die beiden wurden Freunde und in den folgenden zwanzig Jahren war Farocki bei vielen Drehbüchern Petzolds Co-Autor und seine Essays eine wichtige Inspiration. Ihr letztes gemeinsames Werk ist der Film ‚Phoenix‛ aus dem Jahre 2014.
Im November 1968 wurden 18 Studenten der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) wegen ihrer politischen Aktivitäten relegiert, darunter Harun Farocki, Hartmut Bitomsky und Daniel Schmid. Sie hatten an der westdeutschen Studentenbewegung teilgenommen, und die Filme, die sie zwischen 1966 und 1968 gedreht haben, gehören zu den vitalsten Dokumenten der APO.
Harun Farocki, hat in seinen Filmen die Entwicklung der Neuen Linken in West-Europa begleitet. Lehrfilme, die den Marxismus mit den Mitteln des Kinos erläutern sollten. 1974 interviewte er in Österreich Bommi Baumann, aus den Gesprächsprotokollen entstand das Buch "Wie alles anfing". In den achtziger Jahren wurde Farocki mit Filmen wie "Bilder der Welt und Inschrift des Krieges" (1988), "Leben BRD" (1990) oder "Videogramme einer Revolution" (1992) international bekannt.