Popmetropole Hagen

Das Liverpool Deutschlands

Die Sängerin Nena (24. März 1960 in Hagen; eigentlich Gabriele Susanne Kerner) bei einem Auftritt im Mai 1985
Inga und Annette Humpe, Extrabreit und Nena – sie alle starteten ihre großen Karrieren dort – nur Nina kam nicht aus Hagen. © imago/Horst Galuschka
Von Achim Hahn · 04.09.2018
Ende der 70er ging eine kleine Stadt in die Musikgeschichte ein: Die Neue Deutsche Welle löste die etablierte Rockmusik ab und Hagen brachte Stars wie Inga und Annette Humpe, Extrabreit und Nena hervor. Ein Wimpernschlag der Popgeschichte.
"Komm, komm, komm, komm! Komm nach Hagen, werde Popstar, mach Dein Glück", sangen Extrabreit und brachten schon früh den musikalischen Zeitgeist an der Volme auf den Slogan. Denn Hagen war Hype – Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts.

Von der Provinzstadt zur Popmetropole

Zeitzeugin Heike Wahnbaeck, die schon mit der Band Grobschnitt als Irmchen von Due unterwegs war, dem ersten Hagener Act, der bundesweit Furore machte, erzählt: "Es gab so was wie ne Hagenmania. Und was ich eben erstaunlich finde, dass Hagen 'ne Provinzstadt ist" – die plötzlich zur angesagten Popmetropole wurde.
Einer der Gründe, soziologisch untersucht von Frank Hillebrandt: "Hagen hatte schon in den 60er Jahren sehr viele Orte, wo junge Menschen ihre Musik spielen konnten und auch ausprobieren konnten, und das ist ungewöhnlich gewesen für die damalige Zeit, dadurch hat sich dann so 'ne Szene gebildet."

Hagen, das Liverpool Deutschlands

Hagen wurde das musikalische Epizentrum der Neuen Deutschen Welle – für einen kurzen Augenblick in der Popgeschichte. Das Liverpool Deutschlands, in dem die Hölle los war, wie damals die Presse schrieb. Denn: "Wie Seattle für den Grunge steht, steht Hagen für die New Wave", so Wahnbaeck.
Ein popkultureller Durchlauferhitzer, von dem es laut Frank Hillebrandt hieß: "Man muss nach Hagen kommen. Wer nicht in Hagen war, versteht die deutsche Musikszene nicht." Und clevere PR-Strategen, die oft selbst in Bands spielten, wussten damit umzugehen. "Es gab da dieses eine Plakat: Nur Nina kommt nicht aus Hagen."
Denn hier starteten die großen Karrieren von Inga und Annette Humpe oder von Nena und Extrabreit. "Und das war wirklich was, was Hagen zu so 'ner besonderen Stadt gemacht hat, betont Hillebrandt, in der unzählige Bands, wie
z.B. "The Ramblers", "Kein Mensch" oder "Tirami Su" ihr Glück versuchten, und die großen Major-Labels ihre Chance witterten, auch wenn musikalisch längst nicht alles Gold war, was glänzen wollte.

Auch nach 40 Jahren noch eine wichtige Zeit

40 Jahre ist das her: "'78 hat sich Extrabreit gegründet, dann '78 war dieser Grobschnitt-Auftritt im Rockpalast und '78 war der erste Bühnenauftritt von Nena", erinnert sich Hillebrandt.
Doch der entscheidende Grund für die Ausstellung im Hagener Osthaus Museum war in Heike Wahnbaecks Augen: "Es gibt so viele Exponate, und ich hab so viele Leute getroffen, die auf die Dachböden gegangen sind und haben ihre Kisten durchwühlt, was mir auch immer wieder gezeigt hat, wie wichtig diese Zeit auch immer noch nach 40 Jahren in den Köpfen der Leute ist, weil das verwahrt wurde."

Ausstellung erinnert an die pophistorische Wichtigkeit Hagens

"Komm nach Hagen, werde Pop-Star, mach Dein Glück!" – eine sehenswerte Ausstellung als musikhistorischer Erinnerungskult. Zusammengestellt von Heike Wahnbaeck und umrahmt von einem dreiwöchigen Veranstaltungs-Festival. Mit jder Menge Unikaten, Originalpakaten, Layouts zu Plattencovern, Instrumenten, unveröffentlichten Fotos, selbstbedruckten T-Shirts, Zeitungsberichten und Dokumenten oder Band- und Studioequipment. "Deswegen sind die Kästen, die Vitrinen, eher wie Wimmelbilder", merkt Wahnbaeck an.
Mit Devotionalien und Heiligtümern von Fans und Sammlern, sogar mit einem Tresen oder einem Probenraum, der immer noch so muffig riecht wie damals. Ergänzt von 18 grafisch-durchgestylten informativen Themenwänden und einem einstündigen Animationsfilm, der diesen kurzen Moment, in dem Hagen pophistorisch wichtig war, künstlerisch, aber vor allem auch mit dem Sound der Zeit verarbeitet.
"Für mich war das Spannende: Dieser Paradigmenwechsel in der Musik und diese Reibungspunkte beispielsweise werden auch in der Ausstellung gezeigt, weil die sich in Texten niederschlagen, in gegenseitigen Beschimpfungen", findet Wahnbaeck.
"Deutsche Welle ist zur Stelle und in Hagen war’n die Wellen immer groß. Lauter 'Lolli Laumann Lutscher'-Lümmel lassen laute Lieder los." (Zitat aus Eroc: "Hagener Wellenreiter")

Ausstellung
Ort: Osthaus Museum, Museumsplatz 1, 58095 Hagen
Ausstellungsdauer:
Bis 23.09.2018

Katalog
Wahnbaeck (Hg): "Komm nach Hagen, werde Popstar, mach Dein Glück! … sich traun, außer der Reihe, die Zukunft zu bauen. Hagens Musikszene 1975–1985"
Klartext Verlag
Seitenzahl: 352
24,95 Euro

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