Pop und Utopie

Kaum noch Aufbruch in eine bessere Zukunft

08:09 Minuten
Beatlesfans tragen mit der Aufschrift "We love the Beatles".
Beatlesfans am Hamburger Flughafen, 1966 © picture alliance / AP / Helmuth Lohmann
Anna Seidel im Gespräch mit Shanli Anwar · 27.06.2019
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Beatles, Stones, Bob Dylan: Lange Zeit stand Pop für Aufbruch und der Vision von einer besseren Zukunft. Doch diese Verbindung scheint gekappt - auch weil die Zukunft ihre Überzeugungskraft verloren hat, wie Germanistin Anna Seidel im Interview erklärt.
Pop - das war einmal ein Sammelbecken für Visionen von Aufbruch und einer besseren Zukunft.
"Die Utopie, wir werden irgendwann mal befreit sein und ein befriedetes Dasein miteinander führen", erklärt die Germanistin Anna Seidel, eine der Herausgeberinnen des Pop-Magazins "Testcard". "Anfangs ist Pop selbst Jugendkultur, Rebellion, Widerstand und irgendwie auch das Versprechen, sich zu befreien in einer Nachkriegsgesellschaft, von den Eltern, von den Nazi-Eltern."
In seiner aktuellen Ausgabe widmet sich Testcard ganz dem Thema Utopien im Pop - und was davon heute noch geblieben ist.
Denn Pop-Manifeste gibt es nach wie vor, auch wenn sie, gehässig formuliert, ein bisschen zu "schönen Creative-Writing-Übung" verkommen seien. Und bei einigen Gruppen zeige sich diesbezüglich auch ein "krasses Traditionsverhalten", so Seidel. "Da wird dann pop-typisch gesampelt und zitiert, wenn 'Ja, Panik' schreiben: schneidet die Penisse aus der Popkultur. Diese Kastrationsfantasien kennen wir natürlich schon, von Valerie Solanas' Scum Manifesto zum Beispiel."
Ein Manifest gewissermaßen in Albumform hat in jüngster Zeit die kanadische Band Austra veröffentlicht: "Future Politics". Darin würden Dinge gefordert wie die Abschaffung der Lohnarbeit: "Wir kümmern uns umeinander, die Sorgearbeit wird gerecht getragen. Das sind irgendwie ganz schöne Momente", sagt Seidel.
Auch Björk habe auf ihrem letzten Album "Utopia" eine "feministische Utopie entwickelt, in der Technik und Natur zusammenkommen".
Aber offenbar war auch im Fall der Pop-Utopien früher nicht alles besser, räumt Seidel ein: "Irgendwie war das immer schon auch so die Lüge von der Freiheit, weil eigentlich auch schon immer klar war: Pop ist Teil kapitalistischer Verwertungsdynamiken. Das ist so der alte Double-Bind der Pop-Linken."
(uko)
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