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Kristen Roupenian: "Cat Person"
Schiefer Schock

Mit ihrer Kurzgeschichte "Cat Person" landete die US-Amerikanerin Kristen Roupenian im ersten Brodeln der #metoo-Debatte einen literarischen Klickhit. Mit Spannung wurde deshalb ihr erster Kurzgeschichtenband erwartet. Er enttäuscht literarisch allerdings auf ganzer Linie.

Von Miriam Zeh | 25.01.2019
    Die Autorin Kristen Roupenian landete mit "Cat Person" einen Sensationserfolg.
    Die Autorin Kristen Roupenian landete mit "Cat Person" einen Sensationserfolg. (dpa / picture alliance / Elisa Roupenian Toha)
    Kurzgeschichten stoßen im Internet zumeist auf wenig Resonanz. Weit häufiger sind es einzelne Gedanken, transportiert in schnell erfassbaren Tweets, Bildern oder Videos, die millionenfach geklickt und geteilt werden. Im Dezember 2017 allerdings gelang der bis dahin gänzlich unbekannten US-amerikanischen Autorin Kristen Roupenian eine literarische Ausnahmeerscheinung: Ihre Erzählung "Cat Person" wurde, im "New Yorker" veröffentlicht und auf dessen Internetseite kostenfrei zugänglich, zum Klickhit. Das lag nicht unbedingt daran, dass Roupenian ein literarisches Meisterwerk erschaffen hatte. "Cat Person" kommt sprachlich eher simpel daher.
    Doch vielleicht lag der Erfolg dieser Geschichte gerade in der literarischen Schlichtheit, mit der die Autorin in einem gesellschaftspolitischen Wespennest stocherte. Während die #metoo-Debatte in den USA gerade zu brodeln begann, beschrieb Roupenian einen verunglückten One-Night-Stand. Die 20-jährige Studentin Margot lernt bei ihrem Nebenjob an der Snackbar eines Programmkinos den etwas älteren Robert kennen. Dem Leser wird schnell klar, dass es sich bei Robert um eine recht armselige Mannesgestalt handelt: Der unbeholfene Mittdreißiger versucht sich hinter einer groben Macho-Fassade zu verstecken und hinter Sätzen, die er offensichtlich in billigen Porno-Filmchen aufgeschnappt hat.
    Unartikuliertes Unbehagen
    Obwohl Margot ihn zunächst nicht sonderlich attraktiv findet, lässt sie sich auf ihn ein. Sie genießt das Gefühl, begehrt zu werden und begleitet Robert nach einem ersten Date in sein Schlafzimmer. Erst hier regt sich Margots Unbehagen:
    "Wie sie ihn da so sah, so ungelenk vornübergebeugt, mit dem Bauch, dick und weich und stark behaart, dachte Margot: O nein. Aber der Gedanke daran, was es an Aufwand bedeuten würde, jetzt zu stoppen, was sie in Bewegung gesetzt hatte, war überwältigend. Das Problem bestand nicht darin, dass er sie zu etwas zwingen könnte, was sie nicht wollte. Eher darin, dass, wenn sie jetzt darauf bestand, aufzuhören, nach allem, was sie unternommen hatte, damit es so weit kam, es sie mies und launenhaft hätte aussehen lassen. So als hätte sie in einem Restaurant eine Bestellung aufgegeben, nur um das Essen dann, als es kam, zurückgehen zu lassen.
    Zu keinem Zeitpunkt äußert Margot jedoch ihren Unwillen. Nie artikuliert sie ein "Nein", weder verbal noch körperlich. Stattdessen objektifiziert sie sich nach kurzem Zweifel bereitwillig und genussvoll selbst, indem sie Roberts patriarchalen Blick einnimmt.
    Sie stellte sich vor, was ihm durch den Kopf gehen mochte, wenn er sie ansah. Was für ein wunderschönes Mädchen, ihr Körper ist vollkommen, alles an ihr ist perfekt, sie ist 20, ihre Haut ist makellos und so weich, ich will sie, ich will sie mehr, als ich je irgendjemanden wollte, ich will sie so unbedingt, ich könnte sterben. Je mehr sie sich seine Erregung ausmalte, desto mehr erregte es sie selbst."
    Keine eindeutigen Täter und Opfer
    Täter- und Opferrolle sind in "Cat Person" nicht eindeutig zu verteilen. Als Margot einige Tage nach diesem Vorfall Robert per SMS mitteilt, dass sie an keinem weiteren Kontakt mit ihm interessiert ist, bombardiert der Zurückgewiesene sie am Ende der Geschichte mit Nachrichten. Hier schlägt Roberts Kränkung bald in offene Feindseligkeit um.
    So alltäglich diese geschilderte Begebenheit scheinen mag, so eindrücklich wirkte sie auf viele Leser. Wenige literarische Texte wurden in letzter Zeit so breit und emotional diskutiert wie Roupenians "Cat Person". Mit den Mitteln der Literaturkritik allerdings lässt sich der Furor um diese Autorin und ihre Geschichte weder erklären noch rechtfertigen.
    Anknüpfend an den Interneterfolg von "Cat Person" hat die mittlerweile 36-jährige Roupenian Anfang dieses Jahres einen gleichnamigen Kurzgeschichtenband veröffentlicht. An ihm entzündeten sich große Erwartungen. Einen Vorschuss in Millionenhöhe soll Roupenian dafür laut Angaben der US-Presse erhalten haben. Dabei sind viele der merklich übereilt zusammengeschusterten Textstücke, selbst im Vergleich zur schwachen Ausgangsgeschichte, literarisch gründlich misslungen.
    Ermüdender Wunsch zur Provokation
    Allenfalls ein verzweifelter Wunsch zu provozieren hält diesen Band zusammen. Genussvoll erlebte, sexuelle Gewalt spielt gleich in mehreren Geschichten eine Rolle. Doch was als aufrüttelnder, erotischer Schockmoment konzipiert war, strandet wiederholte Male als müdes Groschenroman-Klischee, so wie Roupenians Protagonisten in der Regel nicht durch ihre sexuelle Freizügigkeit provozieren, sondern durch ihren nervtötenden Plapperton, in dem sich ihre Gedanken im Kreis drehen.
    "Ich bin also an dem Punkt, an dem ich mich frage: Bringe ich es zustande, sie zu schlagen? Natürlich nicht so fest, wie ich kann, aber irgendwie ... symbolisch? Ich gehe davon aus, dass sie danach ziemlich angetörnt sein wird und wir phantastischen Sex haben werden. Warum auch nicht? Andererseits frage ich mich immer noch, wer macht so etwas? Was für ein Mensch muss man sein, sich mit irgendeinem Typen zu treffen und ihm aufzutragen, einen zu schlagen, so fest er kann? Macht nur jemand mit Todeswunsch. Und ganz abgesehen von meiner Aversion, jemanden beim Sex zu schlagen, will ich eine Frau mit Todeswunsch vögeln? Und was sagt das über mich?"
    So heißt es in einem scheinbar endlosen inneren Monolog des Ich-Erzählers in der Kurzgeschichte "Todeswunsch".
    Relevante Stoffe bei literarischer Überforderung
    Kristen Roupenian sucht an vielen Stellen ihres Bandes nach ungehörten Stimmen, nach verdeckten sexistischen Mustern unserer Gesellschaft und nach Störfaktoren in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Die Geschichte von Ted etwa, vordergründig ein "netter Typ", hinterrücks ein manipulativer Fiesling, sollte dringend erzählt werden. Nur kriegt die Autorin ihren gesellschaftspolitisch relevanten Stoff literarisch nicht in den Griff. Auch das Übersetzerinnenduo aus Nella Beljan und Friederike Schilbach will keine passende Form finden, und lässt an vielen Stellen die amerikanischen Nebensatzkonstruktionen und Redewendungen störend durch den deutschen Text scheinen.
    Besonders trivial sind die märchenhaften Geschichten des Bandes geraten. Gähnend lesen wir da etwa von einer narzisstischen Prinzessin, die sich in ihr eigenes Spiegelbild verliebt oder von einer Frau, die sich mithilfe eines Zauberbuches den perfekten Mann, Geld, Schönheit und Stärke herbeibeschwört. Diese Parabeln laufen kraftlos ins Leere.
    Literarisches Trash-TV
    Auch die fantastischen Erzählung "Sardinen", in der die zehn-jährige Tilly mithilfe einer magischen Geburtstagskerze aus ihren streitsüchtigen Partygästen ein Monster zaubert, ist vor allem atem- und ideenlos.
    "Die weiche Haut der Gäste wird langsam warm, dann heiß und noch heißer. Ihre zitternden, pulsierenden, pumpenden, pfeifenden Körper beginnen zu schwitzen. Dann zu kokeln. Zu brennen. Zu kochen. Zu platzen. Zu schmelzen. Zu fusionieren. Ihre überlappenden Leiber werden zu einem Leib. Ihre Gehirne werden zu einem verwirrten, panischen Gehirn. Nicht mehr viele Einzelne, sondern eine blubbernde Masse, ein verängstigter und rasender Organismus, eine Lache voller empfindsamem, revoltierendem Fleisch, ein Ding mit einem Dutzend Paar Augen und Gliedmaßen."
    Bei so viel Trash-TV in Literaturform darf man höchstens Hoffnung in die Verfilmung dieser Kurzgeschichten setzen. Die Rechte dazu sicherte sich der Programmanbieter HBO, und das Erzählen beherrscht man dort hoffentlich besser.
    Kristen Roupenian: "Cat Person", aus dem Amerikanischen von Nella Beljan und Friederike Schilbach, Blumenbar, Berlin, 288 Seiten, 20 Euro.