Pop-Diskurs

Was wären wir ohne Mutter?

Die Berliner Band Mutter.
Die Berliner Band Mutter. © Christian Werner
Von Martin Risel · 22.10.2014
Mutter ist eine Berliner Band, die nie in der ersten Reihe gespielt, den Pop-Diskurs aber seit Jahren vorangetrieben hat. Gerade ist ihr neues Album "Text und Musik" erschienen, der Rolling Stone hat es zum Album der Woche gekürt und auch sonst jubelt die Pop-Presse wieder.
Mit ihrem neuen Album sind Mutter jetzt auf einer ausgiebigen Deutschland-Tournee Gestern Abend war das erste Konzert im Berliner Hebbel am Ufer. Unser Kritiker Martin Risel war vor Ort – und berichtet über das Phänomen Mutter.
Man kennt Blumfeld, man kennt Fehlfarben, aber nicht Mutter, dabei gibt’s die seit Mitte der 80er und manche meinen: Mutter ist die Mutter aller Diskurspop-Bands. Na ja. "Die ZEIT" hält sie für eine "bedeutsame, nicht gerade kommerziell, aber atmosphärisch erfolgreiche Band". Das heißt: Sie haben ein Umfeld geschaffen, Nachahmer gefunden und den Pop-Diskurs gerade der Hamburger Schule von Berlin aus weiter getrieben. Deren Musterschüler Jochen Distelmeyer sagt ja auch in einem Dokumentarfilm über Mutter: "Später werden die Leute merken, das hat kein Schwein wahrgenommen, das ist aber das Geilste gewesen".
Dabei sind sie soundmäßig nie besonders aufregend gewesen, angelehnt an Bands wie Velvet Underground und Sonic Youth, heute vielleicht die Swans.
Das prägende Stil-Element war immer die Reduktion: Schon in diesem Einwort-Bandnamen, in der ganz klassischen Rockband-Besetzung. Kein Schnickschnack im Artwork und in den Texten. Eine klare, fast dokumentarische Sprache ohne Metaphern, in einer Erzählstruktur wie innere Monologe. Man sucht nach der Abstraktionsebene – meist vergeblich. Wie Mutter selbst in einer Textzeile verkünden: "Wenn wir zwischen den Zeilen lesen – und da gar nichts steht".
In den Album-Titeln gibt es dann auch mal charmante Wortspiele – beim Debut-Album: "Ich schäme mich Gedanken zu haben die andere Menschen in ihrer Würde verletzen". Oder beim Titel des Solo-Albums von Max Müller, Kopf der Band: "Die Nostalgie ist auch nicht mehr das was sie einmal war".
Wechsel vom Post-Punk zum Indie-Pop
Das neue Album "Text und Musik", erscheint in neuer Besetzung beim neuen Label Clouds Hill. Darauf vollziehen Mutter endgültig den Wechsel vom rauen Post-Punk zu eingängigerem Indie-Pop, mit einer manchmal fast zärtlichen Herangehensweise an die Musik. Textlich kreist es mit viel Selbstreflexion um die Politik des Alltags – mit einem latenten Kulturpessimismus.
Und wie ist Mutter nun live? Es gibt keine Instrumental-Solos, keine ausufernden Live-Experimente, dafür schnörkellose Songs, laut und lärmig vorgetragen in einer inszenierten Rohheit.
Und wenn Max Müller meint: "Live will ich immer alles wegschmeißen und reinhauen", fragt sich der Kritiker: Darf man als 50-Jähriger seine inzwischen gedämpfte Wut noch so rausschreien oder ist das peinlich? Und wo ist eigentlich der Unterschied zum Konzert einer mittelmäßigen Schülerband? Aber: Bei aller Banalität spürt man: Mutter haben eine Aura des Besonderen – und ein künstlerisches Konzept.
Man darf musikalisch nur nicht viel erwarten: Das ist nicht aufregend, das ist ähnlich schrammeliger Rock wie beim Konzert von Tocotronic.
Und dann höre ich doch lieber Mutter mit Max Müller, die sind wenigstens halbwegs frei von dieser überkünstelten Überhöhung. Allerdings: Sie prägen ihre Zeit nicht mehr so wie vor gut 20 Jahren. Mutter ist nicht mehr die Beste. Aber was wären wir ohne Mutter?
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