Polyamorie

Mehr Mut zur offenen Beziehung

13:05 Minuten
Mehrere Menschen formen mit ihren Handflächen eine größere Fläche, auf das Herz gemalt ist.
Liebe zu dritt, zu viert oder... Viele Menschen versuchen auch mal etwas anderes als nur die monogame Zweierbeziehung. © Tim Marshal/Unsplas
Karina Lins im Gespräch mit Marietta Schwarz · 15.02.2020
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Beziehungen mit mehr als zwei Partnern kommen viel häufiger vor, als man denkt, sagt die Paartherapeutin und Psychologin Karina Lins. Sollten wir das Ideal von monogamer Zweisamkeit aufgeben?
Das Modell der Polyamorie, also dass Menschen gleichzeitig mit mehreren Partnerinnen oder Partnern zusammen sind, werde in der Praxis viel öfter gelebt, als man meint, so die Erfahrung der Psychologin Karina Lins. Die Forschung zeige, dass eine Person von fünf – also 20 Prozent in der Gesamtbevölkerung – solch ein Beziehungsmodell lebe.
"Ich würde sogar ein wenig höher tippen", sagt Lins. So sei es bei der Forschung auch immer entscheidend, wie überhaupt gefragt werde: zum Beispiel anonym oder nicht anonym. Oder wie Paare selbst ihren Status bezeichnen: polyamourös, offene Beziehung oder ob man einfach nur "eine Regelung" getroffen habe, ergänzt Karina Lins.


Oft entstünden polyamouröse Beziehungen als Erweiterungen von klassischen Paarbeziehungen. Gerade bei heterosexuellen Paaren gebe es oft keine bewusste Entscheidung in diese Richtung, sagt Karina Lins. Das sei ein wenig wie die "Voreinstellungen beim Computerkauf", so die Psychologin. Das Programm der monogamen Beziehung gebe es eben schon, und man denke nicht mehr sonderlich darüber nach. Viele würden es dann verfolgen, bis es schief gehe. Das sei immerhin bei fast der Hälfte der Paare der Fall.
Ein Paar steht zusammen mit anderen Menschen in einem Raum. Es sind nur die Konturen zu erkennen der Personen.
Polyamorie sollte man nicht leben, "weil es ein Modethema ist", sagt Karina Lins.© Daniele Riggi/Unsplash

Angst davor, über Sex zu sprechen

Ein Schlüssel für eine dauerhaft gutes Beziehungsleben sei eine "gute und ehrliche Kommunikation", sagt Karin Lins. Dazu gehöre auch, dass man darüber spreche, wovor man Angst habe. Oft würde es gerade heterosexuellen Menschen schwerer fallen, über Sex zu reden als zum Beispiel homosexuellen Menschen, die bereits ein Coming Out hinter sich haben.
Dennoch ist Polyamorie für Karina Lins kein Modell, "das man mal ausprobieren muss, weil es ein Modethema ist". Es gebe unterschiedliche Typen, auch in der Liebe, und so müsse die entsprechende Verabredung nicht nur zur Beziehung, sondern auch zu einem selbst passen.

Sexualität ändert sich mit dem Älterwerden

Wichtig sei bei einer offenen Beziehung in jedem Fall das "Time Management", sagt Karina Lins. "Das muss man können und da muss man pfiffig sein", und dass man zum Kern-Partner oder der Kern-Partnerin eine gute Bindung habe: "Wenn die Bindung gut ist, dann kann man ja spielen gehen, solange man weiß, man kann zu Hause immer wieder ankommen." Und Eifersucht gebe es in monogamen Beziehungen ebenso.
Es sei bei allem auch zu bedenken, dass die Sexualität sich ja mit dem Älterwerden auch verändere, so Lins, so wie wir uns als Menschen insgesamt auch mit Älterwerden verändern.


Trotz allem sei die "serielle Monogamie" immer noch das meistgelebte Liebesmodell in unserer Gesellschaft, sagt Karina Lins. Das sei religiös und politisch begründet. So wurde immer wieder behauptet, die monogame Zweierbeziehung sei das einzig Richtige, erläutert Lins. Doch das Herz sei kein "Stück Kuchen", meint sie. Es könne durchaus mitwachsen.
Ein Paar fährt bei Sonnenuntergang auf dem Fahrrad.
Die monogame Beziehung galt über Jahrhunderte als gesellschaftliche Normbeziehung. Viele versuchen nach wie vor, daran festzuhalten. © Everton Vila/Unsplash
(jde)

Karina Kehlet Lins: "Sprechen über Sex"
Aus dem Dänischen von Dorthe Seifert
Carl Auer Verlag, erscheint am 10. März 2020, 144 Seiten, 20,95 Euro

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