Politologe Volker Kronenberg

"Historisch gesehen kommt der Patriotismus von links"

Passanten stehen in Berlin vor einem Wandbild mit der deutschen Nationalflagge.
Wandbild mit deutscher Nationalflagge in Berlin © dpa / picture alliance / Rainer Jensen
Volker Kronenberg im Gespräch mit Dieter Kassel · 18.02.2019
Debatten über das Für und Wider eines deutschen Patriotismus sind Teil der Identität unseres Landes, sagt der Politologe Volker Kronenberg. Patriotismus könne aber Zuversicht und Vertrauen in die freiheitliche Demokratie stärken.
Vor 100 Jahren, am 18. Februar 1919, legte der Staatenausschuss der Weimarer Republik die Nationalfarben des neues Staates fest: Schwarz-Rot-Gold. Auch heute sind dies die Farben der Bundesrepublik Deutschland.
Ihnen hafte in der Wahrnehmung aber nicht nur das "einende Moment" der Nation, sondern auch "etwas Ambivalentes" an, sagte der Bonner Politologe Volker Kronenberg. Zugleich betonte er, dass Debatten über die patriotischen Symbole Deutschlands "Teil der deutschen Identität" seien.

Keine Abwertung von anderen Vaterländern

Immer wieder werde die Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus diskutiert, sagte Kronenberg. Diese könne aber leicht gezogen werden, denn der Patriotismus im europäischen Kontext der Aufklärung und der Staatebildung habe nie etwas Abwertendes gegenüber den anderen Vaterländern gehabt. Daher mache es nur Sinn von einem liberalen, aufgeklärten Patriotismus zu sprechen.
"Historisch gesehen kommt der Patriotismus von links", sagte der Politologe und ergänzte dies mit dem Einwand: "Und in der Geschichte der Bundesrepublik hatte gerade die politische Linke immer ganz große Probleme mit Patriotismus." Das habe sich aber "ein Stück weit relativiert – ich würde fast sagen: befriedet".

"Recht und Gesetz" plus "Identifikation"

Kronenberg vertritt die Auffassung, dass eine Republik zur Selbstvergewisserung natürlich Symbole brauche, und genau dafür stehe eben Schwarz-Rot-Gold. Patriotismus beruhe auf "Recht und Gesetz" und eben auch auf Identifikation, sagte Kronenberg. "Vieles ist intuitiv, vieles ist Gewohnheit, ist Tradition – muss und kann immer wieder erneuert und weiterentwickelt werden."
Keine Nation sei "historisch gegeben". meinte er. Nationen hätten sich entwickelt, könnten sich verändern und auch vergehen. Demokratischer Patriotismus sei aber mit dem "Ethos" von Zuversicht und Vertrauen verbunden. Und gerade deshalb sei Patriotismus in der Gegenwart ein so wichtiges Thema.
(huc)

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Vor genau 100 Jahren, am 18. Februar 1919, hat der Staatenausschuss die Länderkammer der damaligen Weimarer Republik beschlossen, dass Schwarz-Rot-Gold die neuen deutschen Nationalfarben werden. Heute ist das natürlich immer noch die Nationalfarbe der Bundesrepublik Deutschland, aber auch heute noch haben viele Menschen damit Probleme oder verbinden zumindest keine allzu intensiven Gefühle mit diesen Nationalfarben.
Ich habe darüber mit Volker Kronenberg gesprochen. Er ist Direktor am Institut für politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn und Autor mehrerer Bücher über Patriotismus. Ich habe ihn gefragt, ob er selber etwas empfindet, wenn er diese drei Farben sieht.
Volker Kronenberg: Ja, etwas Ambivalentes. Einerseits verbinde ich damit dann intuitiv schon symbolisch das einende Moment, zumindest optisch-farblich, wo die Nation zusammenkommt, und gleichzeitig warum ist es nicht trivial, warum ist es schwierig, warum immer wieder auch eine Diskussion um Schwarz-Rot-Gold, um Patriotismus, denn Schwarz- Rot-Gold, diese Symbolik, die Flagge, die Nation, das Patriotismus-Moment, das gehört ja alles zusammen. Das dann immer wieder zu durchdenken, zu erklären, auch zu problematisieren, das ist eines der Themen, mit denen ich mich seit vielen Jahren beschäftige.
Kassel: Aber wo genau liegt denn für Sie – Sie haben ganze Bücher drüber geschrieben, aber vielleicht kann man das auch kurz zusammenfassen –, wo liegt denn diese Grenze zwischen Patriotismus und Nationalismus?
Kronenberg: Ich glaube, dass die Grenze relativ leicht gezogen werden kann. Der Patriotismus, wie sie ihn neuzeitlich verstehen, auch im europäischen Kontext der Aufklärung, der Staatenbildung, hatte nie etwas Abwertendes gegenüber den anderen Patriae, den anderen Vaterländern der Nation. Man hat historisch ja auch von Liebe zum Vaterland gesprochen. Der Nationalismus als Ideologie verengt im Grunde das Eigene, überhöht das Eigene, rechnet auf, grenzt das eine vom anderen ab.
Heute macht es nur Sinn, es ist sinnvoll, von einem aufgeklärten, auch liberalen, weltoffenen Patriotismus zu sprechen, aber dann macht es auch sehr, sehr viel Sinn, wie es ja nicht zufällig in der Gegenwart und seit einigen Jahren auch verstärkt der Fall ist. Wir dürfen ja nicht vergessen, historisch gesehen kommt der Patriotismus von links, und in der Geschichte der Bundesrepublik hatte gerade die politische Linke immer ganz große Probleme mit Patriotismus. Das hat sich ein Stück weit relativiert, ich würde fast sagen: befriedet.
Kassel: Aber das ist ja ganz interessant, was Sie gerade gesagt haben. Patriotismus ist im Moment ja, wenn wir auf Parteien schauen, durchaus ein großes Thema unter anderem bei den Grünen, und viele Parteien in der Mitte und links von der Mitte sagen ja, wir müssen uns jetzt gerade damit beschäftigen, weil es auch Parteien wie die AfD gibt und weil der Nationalismus auch wieder ein Thema leider geworden ist bei uns. Also es werden ja viele sagen, gerade deshalb will ich jetzt nichts mit Patriotismus zu tun haben, für mich ist die Grenze zu schwer zu ziehen. Würden Sie sagen, ganz im Gegenteil, wir brauchen gerade jetzt diesen – Sie haben es auch mal so genannt – Patriotismus 2.0?
Kronenberg: Ja, absolut. Ich schließe mich da völlig auch den Worten und den Ausführungen von Bundespräsident Steinmeier jüngst in Weimar, 100 Jahre Weimarer Verfassung, an, wo er genau dies auch zum Ausdruck gebracht hat: Schwarz-Rot-Gold steht ja historisch für die Demokratie, antihierarchisch, gegen die Aristokratie, gegen das Obrigkeitsstaatliche. Noch mal: Es hatte den Aufbruch, Demokratie, Freiheit. Das ist Schwarz-Rot-Gold, dafür steht es, und nur, weil im Grunde die, die rechts dann Parolen schwingen oder von sich geben, das meinen, sozusagen geschichtsvergessen für sich zu reklamieren, heißt das doch noch lange nicht, dass das breite demokratische Spektrum das dann sozusagen aufgibt oder dazu in Distanz geht. Nein, eine Republik, eine freiheitliche Demokratie braucht auch zur Selbstvergewisserung natürlich Symbole, und da gehört Schwarz-Rot-Gold dazu. Wir haben 70 Jahre jetzt eine freiheitliche Demokratie, und das war von Anfang an ausgedrückt in den Farben Schwarz-Rot-Gold.
Kassel: Aber was bedeutet denn gerade auch hier in Deutschland ein multikulturelles Zusammenleben, was bedeuten die Folgen von Flucht, von Migration, auch von Globalisierung für einen modernen Patriotismus?

"Keine Nation ist historisch gegeben"

Kronenberg: Also Flucht und Vertreibung standen ja auch in den Gründungsjahren dieser Republik, der Bundesrepublik am Anfang sehr stark auch im Bewusstsein von Politik und Gesellschaft. Damals waren Themen wie Integration auch schon auf der Tagesordnung, wenn auch natürlich anders gelagert. Das hat sich gewandelt mit der Zeit, aber wenn wir sagen – und so verstehen wir Patriotismus und grenzen ihn vom Nationalismus ab –, er hat etwas Offenes, Weltoffenes, er hat etwas Integratives, dann steht dieser Patriotismus für eine Republik, die natürlich nicht nur auf Recht und Gesetz, sondern auch der Identifikation, damit ruht die auf – ich will es konkret sagen – gemeinsamen Werten, wie sie sich beispielsweise im Grundgesetz spiegeln, basiert.
Diese Werte, egal, ob von denen, die hier geboren wurden oder die integriert wurden vor Jahrzehnten oder die jetzt kommen, diese Werte gilt es einzufordern, die gilt es zu akzeptieren, und die gilt es zu verteidigen. Wir leben in einer Werteordnung, nicht nur, noch einmal, aus dem Geist der Buchstaben heraus, sondern vieles ist intuitiv, vieles ist Gewohnheit, vieles ist Tradition, aber letztendlich ist es ein wichtiges, ein Wertefundament, das nicht von sich aus trägt, nicht selbstverständlich gegeben ist. Das immer wieder erneuert, übrigens ja auch weiterentwickelt – Stichwort Multikulturalismus –, auch weiterentwickelt werden kann und muss sicherlich. Wir sind nichts Statisches. Keine Nation ist historisch gegeben. Sie haben sich entwickelt. Sie können sich verändern, sie können auch vergehen.
Kassel: Sie haben es selber jetzt in diesem Gespräch ja schon erklärt und auch in Ihren Schriften immer wieder klargemacht: Ein Merkmal eines für Sie positiven, wünschenswerten Patriotismus ist das Fehlen von Abgrenzung, nicht zu sagen, hier bin ich, und die anderen sind zweitklassig. Ich glaube, noch vor ein paar Jahren hätte ich jetzt eine Reihe von Beispielen nennen können aus westlichen Ländern, deren Kultur der Deutschen nicht völlig unähnlich ist, wo man dann immer gesagt hat, die haben kein Problem mit Patriotismus.
Da bin ich die Liste mal durchgegangen, habe mir gesagt, Großbritannien – nein, können wir nicht machen, sind wir sofort beim Brexit – Spanien – können wir nicht machen, sind wir sofort bei Katalonien –, Italien – können wir nicht machen wegen der neuen Regierung –, Amerika – America first, können wir auch nicht mehr machen. Zeigen all diese Beispiele von Ländern, über die wir jahrzehntelang gesagt haben, die haben einen unproblematischen Patriotismus, zeigen die nicht, wie schwer es ist, diese Grenze zu etwas anderem, vielleicht tatsächlich schon zum Nationalismus immer einzuhalten?
Kronenberg: Ja. Ich teile die Beobachtung, und gleichzeitig glaube ich, müssen wir uns in all diesen Debatten der Gegenwart auch bewusst machen, es sind auch ein Stück weit Momentaufnahmen. Die Länder, die Sie ansprechen, diese Nationen sind sehr stabile Demokratien. Sie sprechen es an: Brexit, Großbritannien, Demokratie, die Vereinigten Staaten. Ja, Trump, das ist eine große Herausforderung und all das, was sich damit verbindet, aber ich glaube – und das ist ja natürlich auch sozusagen auf der Agenda, und das ist mit dem Ethos des Patriotismus verbunden –, Zuversicht, Selbstvertrauen, die halten das aus. Deswegen ist der Patriotismus in der Gegenwart auch ein so wichtiges Thema.
Kassel: Aber zum Schluss, glaube ich, müssen wir noch darüber reden, wir haben ja jetzt sehr Argumente ausgetauscht und auf eine sehr intellektuelle Art und Weise über das Thema Patriotismus gesprochen. Am Anfang habe ich Sie nach Ihren Gefühlen – ich habe das Wort vermieden, aber eigentlich ja doch nach Ihren Gefühlen bei diesen drei Farben Schwarz-Rot-Gold – gefragt. Das ist ja der Anlass für unser Gespräch, die Einführung dieser Nationalfarben.
So ein Mir-wird-warm-ums-Herz-Gefühl, das haben ja nun viele Deutsche bei dieser Flagge nicht, sie haben es bei dieser Nationalhymne nicht, und das geht ja vielen Menschen in anderen auch freiheitlich-demokratischen Ländern anders. Es gibt ja auch immer wieder Diskussionen gerade bei der Hymne, ob wir mal eine neue brauchen. Bei der Flagge kommt das seltener vor, aber wird schon auch mal gesagt. Wird sich denn so wirklich ein Gefühl – Sie sind Wissenschaftler, ich frage Sie trotzdem nach den Gefühlen –, jetzt so ein Gefühl der Identifikation auch mit diesen Symbolen irgendwann auch einstellen?
Kronenberg: Tja, ich glaube, auch das ist eine Neigung der Deutschen, immer wieder das zu fragen und zu problematisieren. Ich glaube, man wird es nicht konstruieren. Ich halte solche Debatten immer wieder … Auch die Kinderhymne von Brecht oder anderes mehr, sozusagen das eine ersetzen durch das andere, wird es dann besser, und immer wieder neue Versuche. Ich meine, man muss es letztendlich ein Stück weit auch so nehmen. Ich glaube, letztendlich führen diese Debatten, etwas zu verändern oder zu befördern oder gar zu verordnen, nicht weiter. Das gehört im Grunde auch zur deutschen Nationsentwicklung und Geschichte. Das ist Teil der deutschen Identität.
Kassel: 100 Jahre Schwarz-Rot-Gold, wir sprachen darüber mit dem Patriotismus-Forscher Volker Kronenberg.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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