Politologe: Ölvorkommen in Libyen im Prinzip hilfreich

Oliver Schlumberger im Gespräch mit Katrin Heise · 30.08.2011
Laut Oliver Schlumberger kann sich der Ressourcenreichtum Libyens positiv auf die Zukunft des Landes auswirken. Entscheidend sei, wie transparent und entwicklungsorientiert die Ölgelder nach dem Sturz von Gaddafi verwendet werden.
Katrin Heise: Der Aufbau demokratischer Strukturen, das ist das erklärte Ziel der libyschen Rebellen und das erklärte Ziel der NATO. Anders Fogh Rasmussen, Generalsekretär der NATO, erklärte ja auch neulich, ein neues Libyen, welches auf Demokratie und Menschenrechten basiert, soll entstehen. Welche Chancen dazu hat das Land? Wirtschaftlich ging es Libyen dank seiner Ölvorkommen gut, und wenn die Förderung wieder in Gang kommt, dann geht es ihm wahrscheinlich auch wieder gut. Wie wirkt sich Öl nun aber auf Demokratisierungsprozesse tatsächlich aus? Es gibt Experten, die im Hinblick auf andere Öl exportierende Länder skeptisch in die libysche Zukunft schauen. Am Telefon begrüße ich jetzt Oliver Schlumberger, Professor für Politik des Vorderen Orients an der Universität Tübingen. Und neben seiner Lehrtätigkeit berät er auch noch unterschiedliche europäische Regierungen und staatliche Institutionen in Fragen der Nahostpolitik. Schönen guten Tag, Herr Schlumberger!

Oliver Schlumberger: Guten Morgen!

Heise: Das Erdöl entscheidet über Eintracht oder Zwietracht, das konnte man neulich in der "Süddeutschen Zeitung" lesen. Wie sehen Sie das? Ist der Ölreichtum Libyens Katalysator oder eher Hindernis im Demokratisierungsprozess?

Schlumberger: Ja, also, dieses Verhältnis zwischen Demokratie einerseits und hohen Ressourcenvorkommen andererseits, das ist natürlich zwiespältig. Wir haben Fälle, wo das gut funktioniert, und wir haben Fälle, wo es trotz hoher Ressourcenvorkommen und Einkommen von außen trotzdem zu zivilen Konflikten kommt.

Heise: Wo funktioniert es gut, und warum?

Schlumberger: In Norwegen funktioniert es beispielsweise recht gut. Warum? Wir gehen davon aus, weil es eine sehr konsolidierte, gefestigte demokratische Verfassung und auch politische Ordnung gibt.

Heise: Weil es eben kein Prozess ist, genau.

Schlumberger: Das ist ganz anders als jetzt etwa – wo es auch ruhig ist – die Vereinigten Arabischen Emirate, an denen der Arabische Frühling ja weitgehend unbemerkt vorbeigezogen ist, wo die Ressourcen pro Einwohner so hoch sind, dass es der Regierung ein einfaches ist, die Bevölkerung durch Wohltaten ruhig zu stellen. Wir haben jetzt in der Politikwissenschaft natürlich theoretische Konzepte, die die Auswirkungen solcher hoher Erdöl- oder auch Gasressourcen auf die politische Ordnung zu erklären versuchen, die auch bei uns maßgeblich hier in Tübingen mitentwickelt wurden in den 80er-, 90er-Jahren. Da geht man davon aus, dass das Entscheidende der Faktor ist, dass das Einkommen sind, diese Erlöse aus dem Ölexport, die direkt den Regierungen zur Verfügung stehen. Das heißt, anders als bei einer Besteuerung der Bevölkerung habe ich keine Notwendigkeit, die Bevölkerung zu besteuern oder kann mir sehr niedrige Steuersätze leisten, und das macht die Herrschaftseliten unabhängig von der Gesellschaft. Und das führt dann natürlich dazu, dass diese Ressourcen zur politischen eher als zur wirtschaftlichen Investition zur Verfügung stehen, sodass man da Klientelstrukturen aufbauen kann, ...

Heise: ... Geschenke verteilen kann, ...

Schlumberger: ... Geschenke verteilen kann, loyale Gruppen belohnen und so weiter. Man kann auch breit streuen, das machen eigentlich fast alle erdölreichen Staaten, dass sie beispielsweise kostenfreie oder kostengünstige Gesundheits- und Bildungssysteme etablieren, auch wenn sie anderweitig vielleicht Entwicklungsländer sind.

Heise: Also, es kommt nicht darauf an, dass der Erlös des Erdöls gemeinwohlorientiert ist, sondern dass er durchschaubar und auch abgestimmt, demokratisch abgestimmt eingesetzt wird?

Schlumberger: Das ist sicher der entscheidende Punkt. Wenn er transparent eingesetzt wird, dann wird er auch eher gemeinwohlorientiert eingesetzt werden. Deswegen haben wir ja auch die EITI, die Transparenzinitiative für den Rostoffsektor, das ist eine weltweite Initiative. Wie das jetzt in Libyen aussieht, da haben wir natürlich bisher die vollständige Intransparenz gesehen, bei sehr hohen Einkünften. Deswegen verwundert es nicht, dass sich da die Milliarden so anhäufen auf den Konten der Familie Gaddafi.

Heise: Die ja im Moment gesperrt sind. Wenn die freigegeben werden, wollen wir mal gucken, was dann damit passiert. Das heißt, es ist genau zu beobachten, wer welche Posten in einem nachrevolutionären Libyen bekleiden wird.

Schlumberger: In der Tat ist es eigentlich ein recht ermutigendes Signal, dass jetzt ein Exilopponent zum Finanz- und Ölminister des Übergangsrates in Libyen ernannt wurde. Im Februar kam der zurück nach Libyen, nach einer Lehrtätigkeit an einer amerikanischen Uni, ein Ökonom, der auch seither, seit 73, als er emigrieren musste, regelmäßig in Kontakt mit der libyschen Opposition stand. Das schaut nicht so schlecht aus, nur das alleine garantiert natürlich noch nicht, dass die künftige Verwendung der Mittel dann in dem Sinne Transparent und gemeinwohlorientiert stattfinden wird, wie wir uns das im besten Fall vorstellen.

Heise: Auf was kommt es besonders an?

Schlumberger: Na ja, abgesehen von den Öleinkünften hat Libyen natürlich auch eine Gesellschaftsstruktur, die damals, unter kolonialen Bedingungen quasi zwangsweise aus drei großen Regionen zusammengeformt wurde, und unter dem Gaddafi-Regime unter dem Deckel gehalten wurde, wenn ich das so sagen darf. Und es steht zu erwarten, dass da natürlich neue soziale Gräben auftreten, die aufgrund der durch Stammesstrukturen geprägten libyschen Gesellschaftsstruktur unter der Decke immer fortbestanden haben. Das heißt, wir haben Stämme, die Gaddafi unterstützt haben, die jetzt wahrscheinlich um ihre Zukunft fürchten in einem neuen Libyen, wir haben die Unterstützer der sogenannten Rebellen – und es wird darauf ankommen, dass es eine neue politische Ordnung gibt, die so inklusiv wie möglich ist, das heißt, dass auch diejenigen Stammesverbände ihre Stimme in einem neuen System haben, die früher Gaddafi unterstützt hatten.

Heise: Macht da eigentlich der Ölreichtum vielleicht sogar eher Schwierigkeiten, weil es halt viel zu verteilen gibt, gibt es auch viel, um das man sich dann prügelt?

Schlumberger: Man geht davon aus, dass Konflikte dann eigentlich gravierender werden, wenn die Ressourcen knapper sind. Das sehen wir auch in Deutschland irgendwie jeden Tag. Also, im Prinzip könnte das ein positiver Faktor sein. Aber es hängt wie gesagt alles davon ab, wie transparent und wie entwicklungsorientiert die Verwendung sein wird.

Heise: Sind Erdölvorkommen Katalysator oder Hindernis? Auf dem Weg zur Demokratie, darüber spreche ich im Deutschlandradio Kultur mit dem Politik- und Islamwissenschaftler Oliver Schlumberger. Herr Schlumberger, jetzt kann man ja das Ausland nicht raus lassen. Ich habe es ja schon gesagt, die Staaten stehen wohl schon in Gesprächen. Frankreich ist zu nennen, Italien ist zu nennen, aber auch China und Russland sind zu nennen. Wie beurteilen Sie da das Vorgehen?

Schlumberger: Der Übergangsrat hat ja angekündigt, dass alle bisher bestehenden Verträge zunächst mal eingehalten werden in den nächsten Monaten, in dieser unmittelbaren Übergangszeit, in der es zunächst mal ganz andere Sorgen gibt. Wir müssen jetzt schauen, dass wir mit humanitärer Hilfe von außen die Versorgungslage der Bevölkerung stützen, damit möglichst schnell wieder Wasser und Strom verfügbar sind, die Gesundheitsinfrastruktur wieder zum Funktionieren kommt, das sind die unmittelbaren Herausforderungen. Der zweite Schritt wird dann sicher die Konstruktion eines neuen politischen Gemeinwesens sein, das hoffentlich den bisherigen Nationalstaat Libyen auch weiter als solchen kennt und keine Sezessionsbestrebungen kennt. Danach dann, wenn eine neue Regierung gewählt sein wird, und das ist die Ankündigung, dann sollen auch die Verträge mit ausländischen Firmen, insbesondere im Ressourcensektor natürlich, neu verhandelt werden. Ob da jetzt Russland und China an allererster Stelle der Begünstigten stehen, wage ich zu bezweifeln nach ihrem Verhalten im UN-Sicherheitsrat und in dem ganzen Prozess des Konfliktes bisher. Italien, das hat der libysche Botschafter in Italien ja angekündigt, wird auch künftig einer der Haupthandelspartner sein, das ist für Libyen auch alternativlos, denn der italienische Erdölkonzern ENI hat schon durch Konzessionen seit 1959 eine Vorrangstellung innerhalb des Erdölgeschäfts in Libyen, des internationalen Geschäfts. Also, etwa ein Drittel des libyschen Erdöls wird nach Italien exportiert. Frankreich wird sicher auch eine prominente Rolle spielen, mit TOTAL. Die Türkei ist nicht zu vergessen, auch da. Im Moment geben sich natürlich die Außenminister der westlichen Staaten die Klinke in die Hand in Tripolis, und jeder versucht da, der Erste zu sein. Deutschland möchte auch mitspielen mit dem von Herrn Westerwelle angekündigten 100-Millionen-Darlehen, in dessen Gegenzug er dann sich erwartet, dass da deutsche Firmen beteiligt sind. Es ist nicht so, dass Deutschland bisher nicht beteiligt ist. Es gibt eine BASF-Tochter, die bisher gute Geschäfte mit dem Gaddafi-Regime gemacht hat.

Heise: Welche Rolle spielt eigentlich aus Ihrer Sicht und Erfahrung bei westlichen Ländern, zum Beispiel sich militärisch zu engagieren, zu intervenieren, das Stichwort Öl? Man hat ja immer – vielleicht auch sehr verkürzt – Krieg für Öl im Kopf.

Schlumberger: Ja, dieser Slogan, Krieg für Öl, der ist ja prominent gewesen ...

Heise: ... im Irakkrieg.

Schlumberger: ... im Irak 1991, im Irak 2003, das mag eine Rolle spielen. Im irakischen Fall war das so, dass die Erdölkonzessionen vor allem an französische und russische Firmen gegangen waren und amerikanische Firmen da weitgehend außen vor waren, und es waren Langzeitverträge über 20 und mehr Jahre. Das heißt, da kam natürlich die Intervention 2003 ganz günstig, das Regime zu stürzen und damit die bisher bestehenden Verträge ungültig zu machen, sodass dann auch amerikanische Firmen zum Zuge kommen konnten. In Libyen, denke ich, ist es auch verkürzt, zu sagen, Krieg für Öl. Denn in Libyen spielen noch eine ganze Reihe andere auch sicherheitsrelevante Faktoren eine Rolle, wie zum Beispiel, dass Libyen eben an den Niger grenzt, an den Tschad grenzt, und damit für Europa eines der Länder ist, die Europa helfen sollen, einen befürchteten Strom illegaler Zuwanderung zu begrenzen, sodass man da die Kooperation der dortigen nordafrikanischen Regimes braucht. Das ist sicher ein weiterer Faktor, der da eine Rolle spielt, der auch kein Gutmenschenfaktor ist, aber der wohl realpolitisch in den Entscheidungen der Europäischen Union sicher eine Rolle spielen mag. Auch wenn das jetzt vielleicht nicht in den offiziellen Verlautbarungen ganz oben steht.

Heise: Oliver Schlumberger, Professor für Politik des Vorderen Orients an der Universität Tübingen. Herr Schlumberger, vielen Dank für das Gespräch!

Schlumberger: Vielen Dank Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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