Politologe lobt Vielfältigkeit des Weltsozialforums

Moderation: Ursula Welty · 26.03.2013
Ulrich Brand, Professor für Internationale Politik an der Universität Wien und Teilnehmer des heute beginnenden 11. Weltsozialforums, hat die Wahl des Veranstaltungsortes Tunis verteidigt.
Man müsse "nicht per se in ein ganz radikaldemokratisches Land gehen".

Ute Welty: "Die Würde des Menschen ist unantastbar", so steht es in Artikel eins des Deutschen Grundgesetzes. Und so wird es nicht in allen Teilen der Welt gesehen, denn sonst müsste das Weltsozialforum nicht über Würde diskutieren – tut es aber ab heute und auf sozusagen historischem Boden, nämlich in Tunis, da, wo vor gut zwei Jahren der sogenannte Arabische Frühling seinen Anfang nahm. Zu den erwarteten 30.000 Besuchern des Weltsozialforums gehört auch Ulrich Brand, der in Wien als Professor internationale Politik lehrt und sowohl den Bundestag wie auch ein globalisierungskritisches Bündnis wie ATTAC berät. Guten Morgen nach Tunis!

Ulrich Brand: Ja, schönen guten Morgen!

Welty: Auch wenn es heute erst offiziell losgeht, wie haben Sie die ersten Stunden in Tunis erlebt, wie sind Sie empfangen worden? Denn es ist ja das erste Mal, dass das Weltsozialforum in einem nordafrikanischen respektive in einem arabischen Land stattfindet.

Brand: Ja, es ist eine ganz gute Stimmung, es scheint sehr gut vorbereitet zu sein, das ist auch nicht selbstverständlich für das Weltsozialforum, und es ist jetzt am Wochenende bereits eine sehr umtriebige Stimmung gewesen, es gab viele Workshops schon im Vorfeld: einen internationalen Workshop gegen Wasserprivatisierung, wir haben selber einen Workshop gemacht zu Ressourcen-Energie-Politik, es gab eine schon traditionelle Tagung zur demokratischen Verantwortung der Wissenschaft – also es gibt sehr viel schon im Vorfeld, und man hat den Eindruck, dass wir in der Stadt und vor allem auch an der Universität, wo ja das Weltsozialforum stattfinden wird, willkommen sind.

Welty: Die Tunesier haben sehr für sich geworben als Austragungsort. Viele halten das für zu früh, weil eben auch Tunesien noch lange keine lupenreine Demokratie ist. Denken Sie das auch?

Brand: Na, die Entscheidung für das Weltsozialforum ist ja schon, dann auch die Auseinandersetzungen und Kämpfe hier zu unterstützen. Wir müssen ja nicht per se in ein ganz radikal demokratisches Land gehen, das war Kenia oder Senegal auch nicht bei den letzten Sozialforen. Nein, es ist ganz klar eine Aussage des Internationalen Rates und des Weltsozialforums insgesamt, dass die Auseinandersetzungen und die Entwicklung der letzten zwei Jahre hier positiv gesehen werden, dass sie weitergehen müssen, und das soll damit angezeigt werden.

Welty: Es soll einen Deal gegeben haben: Ja, das Forum kann stattfinden, und nein, die tunesische Regierung wird nicht kritisiert. Wer lässt sich da von wem kaufen?

Brand: Ja, das ist immer natürlich tricky, weil vor zwei Jahren in Dakar hat uns dann der Präsident einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem er nämlich ganz kurzfristig hat uns auch die Uni gegeben, und ganz kurzfristig dann doch das Studium angesetzt hat. Und wir haben sozusagen keine Räume richtig gehabt, und es war ein ziemliches Desaster organisatorisch. Dass so was – so Absprachen mag es im Vorfeld immer geben, und trotzdem ist natürlich das Weltsozialforum dann der Raum, um bestimmte Sachen zu diskutieren, und es gibt ein enormes Interesse bei den internationale Teilnehmerinnen und Teilnehmern, eben genauer zu verstehen, was hier läuft. Das ist nicht zu bremsen.

Welty: Viel war im Vorfeld auch zu lesen über eine Konkurrenzsituation zwischen Arabern und Lateinamerikanern nach dem Motto: Ich bin jetzt aber der bessere Revolutionär. Inwieweit schadet eine solche Stimmung der Idee des Forums?

Brand: Ich sehe das überhaupt nicht so. Die Lateinamerikaner haben früh schon entschieden – also die Mitglieder des Internationalen Beirats –, dass das Forum verstärkt nach Afrika gehen muss. Das ist ja jetzt zum dritten Mal schon in Afrika. Wenn man jetzt sozusagen das sich genauer ansieht, wer ist revolutionärer, könnte man sagen, wo sind jetzt die Revolutionen dauerhafter, und da würde ich schon sagen, in Nordafrika sind es eher Rebellionen, die zu einer politischen Öffnung geführt haben, aber noch nicht zu einer nachhaltigen Veränderung von Gesellschaft, während in Lateinamerika die Prozesse etwas älter sind, und natürlich auch die Lebensverhältnisse der Menschen sich signifikant verbessert haben.

Von daher würde ich sagen, sind die Lateinamerikaner vielleicht nicht radikaler, aber sie haben bereits mehr erreicht. Und das ist natürlich die große Frage hier in Tunesien: Es gibt eine demokratische Öffnung, eine politische Öffnung, aber führt es auch dazu, dass die Lebensverhältnisse der Menschen sich verbessern? Das ist ja die entscheidende Frage, die auch hier dauernd gestellt wird.

Welty: Schadet das der Stimmung vielleicht mehr, dass SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier eingeladen wurde? Der passt ja eher aufs Weltwirtschaftsforum nach Davos, und das Weltsozialforum ist ja ursprünglich als Gegenveranstaltung gedacht.

Brand: Erst mal finde ich es gut, wenn Parlamentarier kommen und sich austauschen. Es gibt ja auch sehr traditionell das sogenannte ParlamentarierInnenforum. Ich halte es für gefährlich – das ist jetzt aber eher eine Sache innerhalb der bundesdeutschen Delegation –, wenn die Friedrich-Ebert-Stiftung Steinmeier einlädt und ihm den Ort, den wir ausgemacht haben, um uns auszutauschen, dann nimmt, um mit ihm eine Veranstaltung zu machen. Also es gibt immer diesen schmalen Grat, das Weltsozialforum dann zu instrumentalisieren politisch.

Welty: Aber warum eigentlich, warum kann Steinmeier nicht kommen oder darf er nicht kommen?

Brand: Nein, er soll kommen. Es war nur ausgemacht im Vorfeld, dass wir genau diesen Ort mit der Friedrich-Ebert-Stiftung für unseren Austausch nehmen, und dann hat die Friedrich-Ebert-Stiftung ihn sozusagen okkupiert. Ich finde es sehr wichtig – das möchte ich unterstreichen –, dass Parlamentarier zum Weltsozialforum kommen, dass sie sich diese Prozesse ansehen, und es sind immer viele auch da gewesen aus dem Bundestag.

Welty: Warum, sagen Sie, muss das so sein, warum möchten Sie dann doch lieber die Trennung?

Brand: Na ja, das Weltsozialforum ist ja eigentlich ein Ansatz von sozialen Bewegungen und von Nichtregierungsorganisationen, und die eigene Entscheidung der Parlamentarier war immer, sie gehen dann als Teilnehmende aufs Weltsozialforum, aber sie haben ihr eigenes Forum, sie haben eben das Parlamentarierforum. Und das Einzige, was mich jetzt stört an der Einladung an Steinmeier, ist, dass eben die Ebert-Stiftung sagt, gut, wir laden die Aktivisten aus Deutschland ein, aber kurzfristig machen wir das Programm anders und schreiben es um, damit Steinmeier seinen Raum bekommt, das ist das Einzige, was für Unmut gesorgt hat innerhalb, also zwischen den Teilnehmenden jetzt aus Deutschland.

Welty: Ich habe es gesagt, 30.000 Teilnehmer werden erwartet. Die Vollversammlung Ende der Woche soll dann über Aktionen beraten. Welche Art von Aktionen wünschen Sie sich?

Brand: Na, erst mal wird es ganz viele Aktionen geben, weil ja auf dem Weltsozialforum, das ist ja kein Treffen, wo alle alles verabreden, sondern es gibt unglaublich viele Absprachen. Bereits jetzt in den letzten Tagen, vor dem Weltsozialforum, haben wir weitere Aktionen in den spezifischen Bereichen Energiepolitik, Ernährungspolitik, sehr stark gegen die EU, also gegen die Freihandelspolitik der EU Verabredungen getroffen, das wird weitergehen.

Und dann wird die Frage sein, setzt das Weltsozialforum als Ganzes noch mal ein, zwei starke Initiativen international, beispielsweise globale Aktionstage gegen bestimmte Sachverhalte, das kann man heute noch nicht voraussehen. Das Weltsozialforum aber als Gesamtprozess wird unglaublich viele Verabredungen treffen, die kleinteiliger sind. Und das halte ich auch für das ganz Wichtige des Weltsozialforums, das kommt ja auch gar nicht so an die Öffentlichkeit, dass es eben sehr vielfältig ist in den ganz verschiedenen, unterschiedlichen Feldern.

Welty: Ulrich Brand, Professor für internationale Politik in Wien und Teilnehmer des Weltsozialforums in Tunis. Ich wünsche Ihnen gute Gespräche!

Brand: Ja, vielen Dank!


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