Politischer Gesellschaftsroman

US-Botschafter in Hitler-Deutschland

Rezensiert von Michael Schikowski  · 29.12.2013
William E. Dodd wurde 1933 als neuer amerikanischer Botschafter nach Deutschland entsandt. Als der den Ernst der gewalttätigen Nazi-Diktatur begriff, bat er 1937 um seine Ablösung. Aus seinen Erinnerungen hat der amerikanische Bestsellerautor Eric Larson ein Sachbuch mit den Mitteln des Romans geschrieben.
Am 7. März 1934 wurde Adolf Hitler der Prozess gemacht. Das Gericht befand ihn für schuldig, das deutsche Volk aus der Zivilisation zurück in einen rückständigen, barbarischen Despotismus zu treiben. Hitler der Prozess gemacht?
Ja und nein, denn dieser Prozess fand tatsächlich 1934 statt, allerdings in New York im Madison Square Garden vor 20.000 Besuchern und in Abwesenheit des Angeklagten. Zwei Tage vor diesem Spektakel wurde der in Berlin akkreditierte Botschafter, William Dodd, vom Reichsaußenminister Konstantin von Neurath ins Ministerium einbestellt:
Wütend verlangte Neurath von ihm, dafür zu sorgen, dass der Scheinprozess gegen Hitler gestoppt werde. […] Organisiert wurde der Prozess vom American Jewish Congress, mit Unterstützung der American Federation of Labor, dem ersten nationalen Gewerkschaftsbund, sowie etwa einem Dutzend anderer jüdischer und antinazistischer Organisationen. Das Vorhaben brachte Hitler derartig in Wut, dass er Neurath und seinen Diplomaten in Berlin und Washington befohlen hatte, es zu verhindern.
Erik Larson Buch „Tiergarten“ schildert die Jahre des amerikanischen Botschafters William Dodd und seiner Familie im Deutschland der Jahre 1933 und 1934. Dabei kann er auf einige Erinnerungswerke der Familie Dodd zurückgreifen. Man überfordert Larsons Buch, wenn man in ihm unbedingt ein historisches Sachbuch im Sinne der Fachwissenschaft sehen möchte. Nicht die Zeit, sondern die handelnden Personen, vor allem William Dodd und Martha Dodd, der Botschafter und seine Tochter, stehen im Mittelpunkt dieses Buchs. Die politiktheoretische Kernfrage formuliert Erik Larson so:
Warum zögerten das State Department und Präsident Roosevelt, offen und klar auszudrücken, was sie über Hitler dachten, und das zu einer Zeit, da eine eindeutige Stellungnahme eine mächtige Wirkung auf dessen Ruf in der Welt hätte haben können?
Larson widmet der Beantwortung dieser Frage kein eigenes Kapitel. Das mag zunächst erstaunen. Wenn man allerdings die Machart des ganzen Buches betrachtet, dann wird schnell deutlich, dass diese Art Sachbuch solche leitenden Fragestellungen einfach nicht zulässt. Was ist das also für ein Buch?
Er dachte, dass man dem Regime schon beikomme
Ein zeitgeschichtliches Sachbuch, gewiss, aber auch, um deutlicher zu sein, ein Gesellschaftsroman. Das Buch zeigt gleichsam in slow-motion, wie die Botschafterfamilie ihre aus Amerika mitgebrachten Überzeugungen über Deutschland und die Deutschen ändert: Martha Dodds jugendfrische Begeisterung für die Aufbruchsstimmung im ganzen Land. Willam Dodds Auffassung, dass man in mal diplomatischen, mal deutlichen Worten, in Form eines wissenschaftlich-moralischen Rigorosums gleichsam, dem Regime schon beikomme. In einem Artikel wird der an Feinden in Amerika und Deutschland nicht arme William Dodd einmal als, „eckiger akademischer Stöpsel in einem runden diplomatischen Loch“ bezeichnet.
Die ersten Jahre des Regimes waren von ständiger Unsicherheit gekennzeichnet. Der Balanceakt – wie weit durfte man gehen, wenn man nicht alles riskieren wollte und wie weit musste man gehen, um die schiere Macht zu erhalten – wurde fast täglich neu austariert. Erst mit der Ermordung Röhms und anderer führender SA-Männer Juni/Juli 1934 entledigte sich das Regime eines entscheidenden Unsicherheitsfaktors, und in Deutschland war man dem Diktator fast dankbar dafür.
Innerhalb der Amerikaner, Diplomaten wie Besucher, gab es erhebliche Uneinigkeit über den Charakter des Naziregimes. Ein Besucher war zum Beispiel der amerikanische Radiomann Kaltenborn, der dem überaus klarsichtigen Generalkonsul Messersmith vorwarf, ein falsches Bild von Deutschland zu vermitteln. Kaltenborn, der mit seiner Familie auf Europareise war, revidierte seine Ansicht auf einem Einkaufsbummel am letzten Abend in Berlin innerhalb eines Augenblicks:
Buchcover "In the Garden of Beats" von Erik Larson
Buchcover "In the Garden of Beats" von Erik Larson© Crown Publishing Group
Als die Familie aus einem der vielen Geschäfte zurück auf die Straße trat, sah sie einen Trupp SA-Leute in ihre Richtung marschieren. […] Die Fußgänger drängten sich auf dem Bürgersteig zusammen und hoben die Hand zum Hitlergruß. Trotz seiner wohlwollenden Einstellung wollte Kaltenborn sich da nicht einreihen. Wie er wusste, hatte der Stellvertreter der Führers, Rudolf Heß, öffentlich verkündet, dass Ausländer nicht gezwungen seien, den Hitlergruß zu entbieten. […] Die Menge begann Kaltenborn zu beschimpfen und wirkte nun so feindselig, dass der Radiokommentator zwei Polizisten anrief, die ein paar Meter entfernt standen. Die Beamten reagierten nicht. Kaltenborn und seine Familie wandten sich in Richtung Hotel. Da kam ein junger Mann von hinten, packte ohne ein Wort Kaltenborns sechzehnjährigen Sohn Rolf und schlug ihm so fest ins Gesicht, dass er auf den Bürgersteig fiel. Die Polizei tat immer noch nichts. Einer der Beamten grinste. […] Nachdem sie das Adlon erreicht hatten und in Sicherheit waren, rief Kaltenborn Messersmith an. Seine Stimme klang aufgewühlt und war kaum zu verstehen.
Die Gattin hat Affären mit dem Nazi- und Nazigegner-Jetset
So wie hier sind in Larsons Buch fast alle Ereignisse konsequent fokussiert auf die erlebenden Personen. Tatsachen werden an Wirkungen deutlich. Das ganze Buch scheint von der Frage durchzogen zu sein: Wie ist es, amerikanischer Botschafter zu sein?
Larson hat damit ein höchst unterhaltsames und interessantes Buch geschrieben. Und doch kann auch hier nicht ganz auf kritische Anmerkungen verzichtet werden. Denn in diesem Stil werden auch alle Affären geschildert, die Martha Dodd mit dem Berliner Nazi- und Nazigegner-Jetset hatte. Die kleine Schwulstwarnung muss unbedingt sein: Larson weiß, was Leser wollen, aber einem Buch nicht unbedingt gut tut.
So durchzieht die Affäre, die Martha Dodd mit dem russischen Diplomaten Boris Winogradow hat, das ganze Buch. Doch hier verliert Larson über die Verfolgung von Kommunisten und Sozialdemokraten kein einziges Wort, obwohl er sonst jeden Anknüpfungspunkt begierig aufgreift.
Warum aber intervenieren die Amerikaner nicht von Anfang an deutlicher gegen die Judenverfolgung? Larson beantwortet diese Frage nie direkt, legt aber mehr als einmal im Buch nahe, dass dabei die deutschen Schulden bei den amerikanischen Kreditgebern eine bedeutende Rolle gespielt haben müssen.

Erik Larson: Tiergarten – In The Garden of Beasts. Ein amerikanischer Botschafter in Nazi-Deutschland.
Aus dem Amerikanischen von Werner Löcher-Lawrence
Hoffman und Campe, 510 Seiten, 24,99 Euro, auch als eBook