Politische Farbenlehre

Wie stabil sind die neuen Koalitionen?

Pinsel mit den Farben schwarz, rot, grün - passend zu den Parteien CDU, SPD und Grüne.
Alles so schön bunt hier - der Erfolg der AfD erzwingt derzeit ungewöhnliche Regierungsbündnisse wie "Kenia" in Sachsen-Anhalt © dpa / Patrick Pleul
Uwe Jun im Gespräch mit Ute Welty · 14.05.2016
Kiwi, Kenia und Ampel – die Landtagswahlen vom März haben neue und seltene Koalitionen hervorgebracht. Die besten Chancen, die ganze Legislaturperiode zu überstehen, räumt der Politologe Uwe Jun Malu Dreyers Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz ein.
Kiwi in Baden-Württemberg, Kenia in Sachsen-Anhalt, Ampel in Rheinland-Pfalz – der Einzug der AfD in alle drei Landesparlamente hat die politische Farbenlehre der Bundesrepublik verändert: Kiwi und Kenia gab es bis dahin noch nicht und die Ampelkoalition eher selten.

Ministerpräsidenten als "integrative Klammer" gefragt

Die besten Chancen auf ein stabiles Regierungsbündnis hat nach Ansicht von Uwe Jun, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier die Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz.
"Ich denke, am inhaltlich nächsten stehen sich die drei Parteien in Rheinland-Pfalz", sagt er. Die Erfolsaussichten der anderen beiden Koalitionskonstellationen seien dagegen schwerer einzuschätzen.
"Jeweils allerdings die Person des Ministerpräsidenten scheint mir hier als integrative Klammer eine wichtige Rolle zu spielen."

Grüne mittlerweile "in fast alle Richtungen koalitionsfähig"

Einen allgemeinen Trend, dass künftig "jeder mit jedem" koalieren könne, will der Trierer Politikwissenschaftler aus den neuen Konstellationen jedoch nicht ableiten.
"So weit sind wir noch nicht", betont er. Zwar seien nicht mehr nur die großen Parteien CDU und SPD, sondern auch die Grünen mittlerweile in fast alle Richtungen koalitionsfähig.
"Die FDP muss sich noch entscheiden, ob sie in alle Richtungen koalitionsfähig sein will, und Linke und AfD würde ich ausnehmen, denn die sind in mancherlei Hinsicht derzeit noch nicht koalitionsfähig."

Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Heute nun soll die Glocke namens Landesregierung endgültig werden: Die Grünen in Rheinland-Pfalz setzen den Schlusspunkt der Koalitionsverhandlungen, und sie setzen ihn mit einem Parteitag, der über die Personalvorschläge für die Regierung abstimmt.
Mit der Ampel in Rheinland-Pfalz stehen jetzt alle drei Regierungen nach den Landtagswahlen von März Grün-Schwarz als Kiwi, Schwarz-Rot-Grün als Kenia-Koalition sind ganz neu, und auch die Ampel ist weiterhin alles andere als gewöhnlich. Ob das die Zukunft des neuen deutschen und bunten Parteiensystems ist, bespreche ich jetzt mit Uwe Jun, Politikwissenschaftler und Professor für Regierungslehre in Trier. Guten Morgen!
Uwe Jun: Guten Morgen, Frau Welty!

Die einzig denkbaren Alternativen wurden gewählt

Welty: Manch einer hat sich die Augen gerieben während der Koalitionsverhandlungen in den drei fraglichen Bundesländern, denn obwohl ganz neu oder ziemlich neu sind die Koalitionen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt schnell und geräuschlos zustande gekommen. Ist das ein neuer Pragmatismus in der deutschen Politik?
Jun: Man könnte es so benennen, wie Sie es gerade gesagt haben. Es ist auf jeden Fall alles so schnell und relativ geräuschlos verlaufen, weil es die einzig denkbar realistische Alternative war. Alle anderen Alternativen schienen wenig realistisch, wenig realitätstauglich, und am Ende haben die Parteien auch das umgesetzt, was der Wähler offenkundig mit diesem Wahlergebnis impliziert hat, nämlich eben diese Koalitionsbildung.
Nun müssen die Parteien versuchen, jeweils in diesen Koalitionskonstellationen noch zueinander zu finden. Das ist noch nicht immer perfekt geglückt, aber doch schon auf einem sehr guten Weg.
Welty: Das heißt, es wird auch am Wähler vorbei koaliert?
Jun: Also solche Konstellationen kann es gelegentlich geben, dass wenn eine Notkoalition entsteht, mit dem der Wähler nicht unbedingt einverstanden ist, aber hier in diesen drei Fällen können wir sagen, ist dem Wählerwunsch weitgehend entsprochen worden.

Linke und AfD derzeit nicht koalitionsfähig

Welty: Wenn solch ungewöhnliche Konstellationen möglich sind, kann dann in Zukunft jeder mit jedem? Sind Parteien und vor allem ihre Programme austauschbar geworden?
Jun: Nun, jeder mit jedem würde ich noch nicht sagen, so weit sind wir noch nicht. Wir haben koalitionsfähige Parteien, dazu zählen immer die großen Parteien CDU und SPD, dazu zählen auch die Grünen mittlerweile, die in fast alle Richtungen koalitionsfähig sind.
Die FDP muss sich noch entscheiden, ob sie in alle Richtungen koalitionsfähig sein will, und Linke und AfD würde ich ausnehmen, denn die sind in mancherlei Hinsicht derzeit noch nicht koalitionsfähig.
Welty: Apropos AfD, welche Rolle spielt der Erfolg der AfD bei dieser Entwicklung?
Jun: Den kann man als zentralen Faktor ansehen, denn die AfD ist nicht koalitionsfähig aus Sicht der anderen Parteien. Und das heißt eben, dass hier eine Partei aus dem Koalitionssystem ausscheidet, in dem nicht vorhanden ist und damit eben die anderen Parteien dazu zwingt, diese Zusammenarbeitskonstellation, über die wir gerade gesprochen haben, nicht nur in den Blick zu nehmen, sondern eben auch zu realisieren.
Insofern können wir schon sagen, wenn die AfD weiter so stark bleibt, dann sind wir auf diese Dreierkonstellation oder zumindest ungewöhnliche Konstellation in Zukunft angewiesen.

Pragmatismus und viele Kompromisse

Welty: Heißt das auch so etwas wie aus der Not eine Tugend machen? Es gibt Kollegen von Ihnen, die sagen, diese ungewöhnlichen Konstellationen, Bündnisse auf Zeit, das ist vielleicht gar nicht so schlecht, weil man sich dann wieder auf die Inhalte konzentriert.
Jun: Das wäre durchaus denkbar, aber das ist natürlich so, dass in diesen Konstellationen Koalitionsvereinbarungen, so wie wir sie derzeit ja auch kennen, dann auch viel Pragmatismus, den Sie ja schon genannt haben, einfließt, viel Konsens, viel Kompromiss, und das kennen wir am Ende auch schon von der großen Koalition, aber das zeigen diese Konstellationen auch wieder.
Welty: Wie wird der Wähler – um noch mal auf den Wähler zurückzukommen, der ist ja nicht so ganz unwichtig – in dieser ganzen Konstellation, in diesem ganzen Spiel, will ich mal sagen, wie wird der Wähler damit umgehen, wenn ihm auf einmal diese Projekte auf Zeit angeboten werden und nicht die traditionellen Lager?
Jun: Nun, der Wähler hat sich ohnehin schon relativ weitgehend von diesen Lagerbildungen distanziert. Die spielen zwar in seinem Kopf noch eine Rolle, und die Parteien haben auch noch gewisse Präferenzen, die sich allerdings arithmetisch nicht immer umsetzen, aber entscheidend ist für den Wähler ohnehin schon in der Regel meistens nur eine Partei, der er nahesteht, die er präferiert, und dann guckt er, dass bestimmte Koalitionskonstellationen daraus entstehen, in denen seine Partei dann eine wichtige Rolle spielt.

Koalitionen im Sinne des Wählerwillens

Welty: Ist der Wähler dann womöglich weiter als der Politiker, wenn Sie zum Beispiel an Volker Kauder denken, den Unions-Fraktionsvorsitzenden, der ja einer weiteren großen Koalition mit der SPD mal vorsorglich in einem Zeitungsinterview heute eine Absage erteilt hat?
Jun: Möglicherweise, können Sie das sagen, ist der Wähler schon in gewisser Hinsicht pragmatischer geworden als der professionelle Politiker, der eben noch stärker in seinen eigenen Bahnen denkt.
Aber beim Wähler darf man nicht unterschätzen, dass auch er bestimmte Koalitionspräferenzen hat, und wenn diese eben nicht umgesetzt werden, er dann ebenfalls sich abwendet.
Bei diesen Landtagswahlen allerdings ist den Präferenzen doch zumindest zu Teilen oder zu erheblichen Teilen entsprochen worden.

Größte inhaltliche Nähe in Rheinland-Pfalz

Welty: Lassen Sie uns noch mal auf die drei Länder gucken: Ampel, Kiwi oder Kenia – welchem Bündnis räumen Sie die größte Erfolgschance ein?
Jun: Ich denke, am inhaltlich nächsten stehen sich die drei Parteien in Rheinland-Pfalz, also die Koalition in Rheinland-Pfalz hat die allergrößten Chancen tatsächlich auch die fünf Jahre vollständig regieren zu können und eben entsprechend für Stabilität zu stehen.
Bei den anderen beiden Konstellationen ist es etwas schwieriger. Da werden wir sehen müssen, ob sich die drei Parteien beziehungsweise die zwei in Baden-Württemberg auf die gesamten fünf Jahre auf eine gemeinsame Regierungsarbeit verständigen können. Jeweils allerdings die Person des Ministerpräsidenten scheint mir hier als integrative Klammer eine wichtige Rolle zu spielen.

Rot-Rot-Grün in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern denkbar

Welty: Wie sehen die Bündnisse aus, die darüber hinaus noch vorstellbar sind?
Jun: Wir können natürlich die FDP noch in anderen Konstellationen sehen. Wir hatten ja schon mal im Saarland eine Jamaica-Koalition. Auch das wäre denkbar. Große Koalitionen kennen wir ja ebenfalls, und auch Rot-Rot-Grün, wie wir es ja in Thüringen erleben, ist ebenfalls eine Konstellation, die wir möglicherweise jetzt im Herbst in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern auch wieder sehen werden.
Welty: Die neuen Koalitionen nach den Landtagswahlen vom März stehen, und einen ersten Check gab es zusammen mit dem Politologen Uwe Jun von der Universität in Trier. Herzlichen Dank dafür!
Jun: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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