Polithistorisch korrekte Nazi-Schau

Von Vladimir Balzer · 14.10.2010
Man erfährt viel über die "Volksgemeinschaft" in dieser Ausstellung, über Hitler selbst aber leider nur wenig. Die Macher haben sich offenbar die Diskussion, ob man überhaupt eine Ausstellung über Hitler als Person machen dürfe, allzu sehr zu Herzen genommen.
Immer wieder schaut man ihn an. Kein besonders ausdrucksstarkes Gesicht, aber man kennt es. Es gehört unweigerlich zur Ikonografie des letzten Jahrhunderts - diese starrenden Augen in einem verschlossenen, reglosen Gesicht. Man schaut und schaut, man geht näher an die Fotos, aber man sieht im Grunde: nichts. Nur Pose. Kein Fotograf kam an Hitler heran, der ein wahrhaftiges Porträt von ihm machen wollte; ein beobachtender Blick, der Versuch, einen Menschen zu erkennen – es gab ihn nicht, diesen Versuch; jedenfalls nicht dokumentiert.

Dafür starrt er uns dutzendfach in dieser Berliner Ausstellung an. Als Büste, als Gemälde, als Foto, als Karikatur. Aber kommen wir, die Nachgeborenen, ihm näher? Hans Ottomeyer, Jahrgang 1946, Chef des Deutschen Historischen Museums:

"Ich muss aufpassen, dass ich nicht jeden Abend bis ein Uhr vor dem Fernseher hänge und mir diese vielen Hitler-Mussolini-Filme anschaue, den Zweiten Weltkrieg hoch und runter – das ist faszinierend."

Denn natürlich fragen wir uns bis heute: Wie konnte ein sonst so gewöhnlicher Mensch wie Hitler ein Charisma entwickeln, dem Millionen folgten?

"Er war eine extrem bizarre Persönlichkeit, ein Stadtstreicher, ein verurteilter Krimineller, ein mehrfacher Mörder... und war selbst von seiner persönlichen Erscheinung her kein faszinierender Mensch, er war nicht schön, er sah nicht arisch aus, entsprach nicht dem blonden Hünen oder Recken, den er selbst als den vollkommen Menschen ausgemalt hat - dennoch hat er sich einfach mit seiner Stimme durchgesetzt."

Die Ausstellung zeigt natürlich auch Volksempfänger, wie wir sie kennen. Auch schon Teil der Nazi-Ikonografie. Daneben tragbare Mikrofone. Alles technische Mittel mit – damals – immenser Wirkung. Hitler, mag er körperlich und intellektuell auch noch so wenig Ausstrahlung gehabt haben, hat als erster Machthaber konsequent die technischen Möglichkeiten seiner Zeit genutzt. Lautsprecher, Radio, Film. Wobei Kurator Klaus Jürgen Sembach, Jahrgang 1933, davon ausgeht, dass Hitler, Göring und Goebbels eine Art Arbeitsteilung betrieben haben. Er erinnert sich an die Abende vor dem Volksempfänger.

"Als erster hat Hitler geredet, ich fand das widerlich, der bellte so ... für mich war Hitler eine Horvarth'sche Figur, ein Metzgergeselle aus der Wiener Vorstadt. Dann sprach Göring und das war der Volkstribun, der verkündete im Kriege eine Sonderration. Und als dritter kam Goebbels. Er hatte diese gehobene Sprache und eine sehr reiche Wortwahl. Das hat mich als Kind schon sehr beeindruckt. Das ist bei anderen Leuten auch so gewesen: Die einen haben den Hitler geliebt, weil er so laut und gewöhnlich war wie sie selber. Göring war für den Soldaten der richtige Kriegsheld. Und für die Intellektuellen und Anspruchsvolleren war Goebbels der richtige Redner."

Vielleicht hätten sich die Ausstellungsmacher auch mehr auf die öffentlichen Auftritte Hitlers und seiner Riege konzentrieren sollen, um seine Wirkung auf die Massen zu erklären. So richtig trauen sie sich aber nicht. Es geht ihnen weniger um Hitlers Wirkung, als um die sogenannte "Volksgemeinschaft". Was hielt die Massen zusammen?

Eins ist sicher: Die Deutschen haben sich mehrheitlich gerne den neuen Verhältnissen angepasst. Sie haben sich nicht gleichschalten lassen, sie haben sich selbst gleich geschaltet. Die "Volksgemeinschaft" könnte wirklich so etwas wie eine wärmende Großfamilie gewesen sein. All die unzähligen Opfer waren Ausgestoßene, aber letztlich gehörten sie einfach noch nie wirklich zur "Familie".

Die Ausstellung ist voll von damaligen Ehrerbietungen an Hitler und seine Bewegung. Hitler als Familienvater, als gütiger Herrscher der für die wahren Deutschen da war und die anderen ihrem Schicksal zuführte. Kinder haben Briefe an ihn geschrieben, Bilder gemalt, ihm zum Geburtstag gratuliert. Sie konnten sogar mit ihm spielen. Objekte, die man so noch nicht sah: Hitler als fingergroße Spielfigur! Neben ihm SA-Männer mit Standarte. Mussolini ist auch da. Außerdem Göring und Hindenburg. Alles Spielfiguren. Das war keine Subversion – das war ganz offiziell zu kaufen. Ebenso wie Puppen aus dem "Reichsinstitut für Puppenspiel", mit antijüdischen Karikaturen und mit einem Briten im Tropenhelm. Man möchte lachen, es bleibt aber im Halse stecken.

Groteske Züge nimmt noch etwas ganz anderes an: Ein Wandbehang, den der NSDAP-Kreiskulturwart von Rotenburg an der Fulda in Auftrag gab – er zeigt Hitler-Jungen, BDM-Mädchen, SA-Trupps und Frauen aus dem Ort, die in Form eines großen Kreuzes der Kirche zustreben. Dazwischen ist das Vaterunser eingestickt. Das Ganze ist drei Meter hoch und zwei Meter breit. Und an der Kirche hängt schon die Hakenkreuzflagge – als Willkommensgruß.

Kurator Klaus Jürgen Sembach erkennt in all diesen Objekten eine Art ästhetisches System.

"Kein System hat so viel Gestaltung durchgesetzt wie der Nationalsozialismus. Es gab vom kleinsten Gegenstand bis hin zur Architektur Vorgaben, wie was zu sein hatte, bis hin zum idealen Menschen, der sich vom 'Untermenschen' abzusetzen hatte. Und das hat das Alltagsleben sehr geprägt."

Die Nazi-Folklore ist in ihrer Profanität bedrückend, denn: Man weiß, was im Namen des Regimes geschah. Dennoch müssen die Ausstellungsmacher diesen Kontrast herausstellen. Kaum ein Nazi-Objekt ohne dass daneben die Opfer zu sehen sind. Simone Erpel ist Sembachs Kuratorenkollegin. Sie zeigt beim Thema Luftschutz einen Sandeimer und eine Feuerpeitsche, und gleich daneben Fotos von Zwangsarbeitern, die nach den Bombenangriffen Aufräumarbeiten leisten mussten.

"Es sind diese beiden Aspekte wieder sichtbar. Die Volksgemeinschaft, die sich als Volksgemeinschaft inszeniert und die, die draußen bleiben müssen: die Zwangsarbeiter, oder die, die diese gefährlichen Arbeiten machen müssen. Die haben auch zu der Gesellschaft hier in Deutschland gehört."

Man erfährt viel über die "Volksgemeinschaft", aber über Hitler selbst nur wenig. Jedenfalls nichts, was man nicht schon in Dutzenden Biografien von Joachim Fest bis Ian Kershaw lesen konnte, kaum neue Einblicke oder Perspektiven, nicht einmal schon längst historiografisch etablierte Aspekte wie Hitlers Verhältnis zu den Frauen oder seine künstlerische Ader spielen eine Rolle.

Letztlich ist es ein bisschen viel Gesellschafts- und Diktaturgeschichte, die diese Ausstellung erzählen will und die dem einigermaßen gebildeten und aufgeklärten Besucher geläufig sein dürfte. Die Ausstellungsmacher muss auf halber Strecke der Mut verlassen haben. Sie haben sich offenbar die Diskussion, ob man überhaupt eine Ausstellung über Hitler als Person machen dürfe, allzu sehr zu Herzen genommen. Es wäre sicher eine Provokation gewesen, Hitler in all seinen üblen Facetten zu zeigen – aber eine, die uns vielleicht weiter gebracht hätte, als diese überaus polithistorisch korrekte Ausstellung.
Mehr zum Thema