Polens Wirtschaftsminister: Deutschland darf sich nicht in Energiepolitik einmischen

Waldemar Pawlak im Gespräch mit Margarethe Wohlan · 20.03.2012
CO2-Reduktion nur nach einer globalen Vereinbarung und Einstieg in die Atomenergie: Polen ist nach den Worten seines Wirtschaftsministers Waldemar Pawlak gegen "ideologische und bürokratische Hemmnisse" in der Energiepolitik.
Marietta Schwarz: Bekanntlich haben ja bei Weitem nicht alle Regierungen so grundsätzlich auf die Kernschmelze in Fukushima vor einem Jahr reagiert wie die Bundesregierung. Man muss nur seinen Blick nach Osten richten und findet mit Polen ein Land, das jetzt erst richtig anfängt, auf Atomkraft zu setzen: Die polnische Regierung hat den Bau von zwei Kernkraftwerken beschlossen. Wo sie gebaut werden sollen, weiß man noch nicht, aber es werden auch Standorte in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze geprüft, was auch deutsche Atomkraftgegner auf den Plan ruft. Meine Kollegin Margarete Wohlan hatte Gelegenheit zu einem Interview mit dem polnischen Vizepremier Waldemar Pawlak, und sie fragte ihn zunächst, ob er die Sorgen der Deutschen verstehen kann.

Waldemar Pawlak: Es ist doch interessant, dass wir bis jetzt die Atomkraft nicht genutzt haben, im Gegensatz zu den Deutschen, die reichlich von ihr profitiert haben. Wir nehmen die Sorgen der Deutschen ernst, aber wir sehen auch, dass die Deutschen solche Sorgen bei französischen Atomkraftwerken nicht haben, oder auch bei dem Atomkraftwerk, das Russland in der Nähe von Kaliningrad plant. Unsere AKW werden den hohen Standards von Sicherheit und Stabilität entsprechen. Ich betone auch, dass uns daran liegt, alternative Szenarien zu prüfen: Was würde es zum Beispiel kosten, wenn wir das selbe Geld in erneuerbare Energien stecken würden? Der amerikanische Umweltberater Jeremy Rifkin hat mir zum Beispiel gesagt, dass, wenn wir auf eineinhalb Millionen Dächern Solaranlagen mit einer Leistung von anderthalb Watt bauen, hätten wir die selbe Energie wie bei zwei Atomkraftwerken. Wir schauen uns also verschiedene Szenarien an. Aber ich hätte auch die Bitte, genau so, wie wir die Entscheidung der Deutschen, aus der Atomkraft auszusteigen, nicht bewerten, genau so möchten wir auch nicht, dass sich die Deutschen in unsere Entscheidungen einmischen.

Margarete Wohlan: Haben Sie den Eindruck, dass die Deutschen sich da zu sehr einmischen?

Pawlak: Uns wird sehr deutlich signalisiert, dass Deutschland besorgt ist und es gerne hätte, dass wir die Entscheidung noch mal überdenken. Ich sage Ihnen, wenn wir attraktive Alternativen finden, werden wir sie nicht ignorieren und bleiben offen. Ein Beispiel: Als es um die Emissionsreduzierung nach 2020 ging in Brüssel, hatten wir Einwände. Es ist zwar okay, ehrgeizige Ziele zu haben, aber nur, wenn das Ganze global angegangen wird. Wenn wir in Europa die Klimaziele verschärfen und damit die Energiepreise nach oben treiben, macht das keinen Sinn. Wir müssen auf Energieeffizienz setzen. Polen hat zum Beispiel innerhalb von 20 Jahren die Treibhausgasemissionen um ein Drittel reduziert und gleichzeitig die Wirtschaft modernisiert, ohne das Wirtschaftswachstum zu bremsen, denn in der selben Zeit ist das Bruttoinlandsprodukt um das Doppelte gestiegen. Die überhöhten Preise auf Energieimporte schaden der Wirtschaft. Man muss sich nur Erdöl oder Gas anschauen. In Europa kostet Erdöl zum Beispiel 120 Dollar pro Barrel. Damit ist es um 20 Dollar teurer als in Amerika. Es liegt in unserem europäischen Interesse, dass wir unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht durch ideologische und bürokratische Hemmnisse verlieren.

Wohlan: Hat Polen deshalb als einziges EU-Mitgliedsland am 9. März gegen die weiteren CO2-Sparziele nach 2020 gestimmt?

Pawlak: Ich unterstreiche es noch einmal: Unser Standpunkt war offen. Wir sagen: Ja, wir sind einverstanden, die neuen Klimaziele mitzutragen, aber nur, wenn das global geschieht. Das ist die Haltung Polens – Kohlendioxyd schadet dem Klima, egal, ob es in Polen, Deutschland oder China entsteht. Die Vorstellung, Europa geht voran und wird damit zum Vorbild für die USA oder China, ist zwar edel und schön, aber wenig wirksam für das Klima und für die Wettbewerbsfähigkeit.

Wohlan: Der Bau eines Atomkraftwerkes in Polen soll 60 Milliarden Zloty kosten. Umgerechnet 15 Milliarden Euro. In Zeiten knapper Kassen – hat Polen dafür überhaupt das Geld?

Pawlak: Durch Fukushima sind auch die Kosten für die Sicherheitsvorkehrungen gestiegen, die man beim Bau eines AKW berücksichtigen muss. Und das hat seinen Preis. Aber in diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass es wichtig ist, nicht nur auf eine Technologie zu setzen. Es kann ja sein, dass, wenn wir die selbe Summe in erneuerbare Energien und in die Energiespeicherung investieren würden, dass wir dann die selben oder noch bessere Effekte erzielen. Und das bei einer weniger riskanten Form der Energieproduktion. Ich würde also nicht einseitig vorgehen, sondern ermuntere an dieser Stelle die Ingenieure und Entscheidungsträger in der Wirtschaft, die verschiedensten Szenarien zu analysieren.

Wohlan: Herr Pawlak, Sie sind auf dem Land aufgewachsen, Ihre Eltern waren Bauern. Sie selbst sind Landwirt und führen den Hof Ihrer Eltern im Nebenerwerb weiter. Bäuerliche Tradition, der partnerschaftliche Umgang von Mensch und Natur sind Ihnen also nicht fremd, haben Sie auch zum Teil geprägt. Wenn Sie sich wünschen könnten, in welche Richtung Polen gehen sollte, was das Energiekonzept für die Zukunft betrifft, welche Lösung würden Sie sich wünschen?

Pawlak: Meine Erfahrung im bäuerlichen Elternhaus verbinde ich mit den Erfahrungen, die ich als Ingenieur bei der Konstruktion von Autos gewonnen habe, und beides prägt mich. Deshalb bevorzuge ich immer eine differenzierte Betrachtung des Problems, so wie es in der Natur keine Monokultur gibt, denn sie ist immer schlecht. Genau so brauchen wir auch im Leben und in der Energiesuche eine breite Aufstellung aus verschiedenen Lösungen. Nur dann funktioniert es reibungslos und effektiv.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.