Polen und seine Flüchtlinge

Sicherheit statt Freiheit

1987477507_Die Flüchtlingsunterkunft Czerwony Bor (Foto - Grenzgänger).JPG
Die Flüchtlingsunterkunft Czerwony Bor © Ernst-Ludwig von Aster
Von Ernst-Ludwig von Aster und Anja Schrumm · 12.04.2017
Polen nimmt nur wenige Flüchtlinge auf. Die wenigen Unterkünfte finden sich weitab der Städte tief im Osten des Landes. Die nationalkonservative Regierung schürt Ängste in der Bevölkerung. Doch einige christliche Gemeinden leisten aktive Hilfe. Ein Stimmungsbild aus unserem Nachbarland.
Schnurgerade zieht sich die Landstraße durch die Wälder, Richtung Osten. Kiefern und Birken, links und rechts. Ab und zu ein kleiner Ort, dann wieder Wälder. Und Felder.
Wer in Polen Flüchtlinge treffen will, der braucht gute Landkarten. Und ein robustes Auto. Die meisten Unterkünfte liegen weitab der Städte. Im Osten des 39-Millionen-Einwohner-Landes. Zurzeit leben rund 4.200 Asylbewerber in Polen.
Wir wollen nach "Czerwony Bor", in ein Flüchtlingslager unweit der weißrussischen Grenze. "Czerwony Bor" heißt "roter Wald".
Eine schmale Straße führt in den Wald, ein großes plastikblumengeschmücktes Holzkreuz grüßt am Wegesrand. 70 Prozent der Polen, so die Umfragen, sind gegen die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen. Mitte 2015 waren es nur 50 Prozent.

Von Flüchtlingen kein Wort

Irgendwann informiert ein blaues Schild auf Polnisch, Russisch und Englisch: "Centre for Foreigners in Czerwony Bor - hier ist es also, das "Zentrum für Ausländer". Von Flüchtlingen kein Wort. Der Pfeil zeigt nach rechts. In den Wald. Gelb schimmern einige Gebäudesilhouetten durchs Unterholz.
Alte Kasernengebäude. Dreistöckig. Modernisiert. An einem hohen Mast flattert die rot-weiße polnische Fahne. Kameras überwachen die Straße, ein Zaun trennt die Häuser von der Außenwelt.
Auf einem Parkplatz vor dem Gebäude schrauben drei bärtige junge Männer an einem alten Golf. Der Kotflügel liegt auf dem Boden, zwei Räder sind abmontiert. "Wir kommen alle aus Tschetschenien", sagt einer. Seit knapp einem Jahr leben sie hier mit ihren Familien. Mehr wollen sie aber nicht erzählen. Einer der Männer greift zum Mobiltelefon. "Wartet", ruft er uns hinterher, "gleich kommt ein Kollege".

"Nennt mich Mahmut"

Fünf Minuten später erscheint ein schlaksiger Mann auf dem Parkplatz, den Mantelkragen hochgeschlagen, drum herum ein blaues Tuch. Nennt mich "Mahmut" sagt er,er sieht müde aus. Sein Gesicht ist bleich, die Augen gerötet.
Ein Jahr hat er in Deutschland gelebt, erzählt er, an der deutsch-französischen Grenze. Dann musste er zurück nach Tschetschenien. Einige Monate später machte er sich wieder auf den Weg in den Westen. Mit seiner Frau und drei Töchtern. Mit dem Zug fuhren sie zum weißrussisch-polnischen Grenzübergang. Die Weißrussen ließen die Familie passieren. In Polen beantragten sie Asyl.
Seit gut einem Jahr lebt Mahmut in der alten Kaserne im Wald. Sein Sohn ist hier geboren. Die drei Töchter gehen zur Schule. Er arbeitet in einer nahegelegenen Elektrofabrik, wenn es etwas zu tun gibt. "Unsere kleine Wohnung hier ist in Ordnung", sagt er. Monatlich zahlt der Staat 340 Zloty, umgerechnet etwas mehr als 80 Euro.

Eine Anerkennungsquote Richtung Null

Mahmut will in Czerwony Bor den Ausgang seines Asylverfahrens abwarten. Der 30-Jährige weiß, dass er damit eine Ausnahme ist. 80 Prozent seiner Landsleute, die in Polen Asyl beantragen, verschwinden noch während des Verfahrens Richtung Westen. Denn die Anerkennungsquote in Polen tendiert für Tschetschenen Richtung Null. Nicht anders als in Deutschland:
"Ich will nicht über die Zukunft nachdenken. Was passiert, passiert. Wir müssen einfach damit leben. Ich bin jetzt seit mehr als einem Jahr hier. Ich habe Polnisch gelernt. Aber ich würde ungern darüber sprechen, wie es weitergeht."
Mahmut hat gehört, dass einige tausend seiner Landsleute in Weißrussland festsitzen, weil sie von Grenzbeamten an der Weiterreise nach Polen gehindert werden. Die EU hat derweil angekündigt, sieben Millionen Euro nach Weißrussland zu überweisen, um sogenannte "Aufnahme- und Betreuungszentren" errichten zu lassen. Dort sollen in Zukunft außerhalb des EU-Gebiets Asylberechtigungen geprüft werden.

Die meisten kommen aus Tschetschenien

In Warschau beugt sich Rafal Rogala über eine Broschüre, beginnt zu blättern. Der Leiter des polnischen Ausländeramtes zeigt auf die leuchtend orangenen Punkte - sie symbolisieren die Flüchtlingslager.
"Bei uns kommen die meisten Migranten aus dem Osten. Darum liegen unsere Flüchtlingszentren vor allem im östlichen Teil des Landes. Die Zentren sind dicht an der Ostgrenze und in Zentralpolen. Wir haben elf Zentren insgesamt."
Der Jurist deutet auf die Grenze zu Weißrussland und der Ukraine. Zwischen 8000 und 15.000 Flüchtlinge suchen jedes Jahr in dem 39 Millionen Einwohner-Land Zuflucht:
"Seit nunmehr 20 Jahren kommt die größte Gruppe aus der russischen Föderation, vor allem sind es Tschetschenen. Aber es kommen auch Flüchtlinge aus dem Nordkaukasus, aus Dagestan oder Inguschetien. Seit 2014, nach den Ereignissen in der Ukraine, kommen auch Ukrainer. Und in letzter Zeit kommen vermehrt Menschen aus Zentralasien, zum Beispiel aus Tadschikistan."

Das Auswanderungsland als Einwanderungsland

Ihre Chancen, als Flüchtling in Polen Asyl zu erhalten, seien allerdings sehr gering, räumt Rogala ein. Die Anerkennungsquote liegt derzeit bei etwa zehn Prozent. Seit gut zehn Jahren leitet der Jura-Absolvent der Katholischen Universität Lublin das Ausländeramt. Eingesetzt wurde er im Sommer 2007, noch von der ersten, national-konservativen PIS-Regierung, kurz bevor diese abgewählt wurde. Auch unter der liberalen Regierung von Donald Tusk blieb er im Amt:
"In der Vergangenheit war das Thema Migration weder an erster, noch an zweiter, noch an dritter Stelle, es war wahrscheinlich noch nicht mal unter den Top-Ten-Themen der politischen Debatte. Seit 2015 aber ist das Thema mit Sicherheit unter den Top-3 -Themen, manchmal ist es vielleicht sogar das Spitzenthema."
Jahrzehntelang war Polen ein Auswanderungsland. In den 80er Jahren flohen die Polen vor dem Kriegsrecht. Ab den 90ern dann suchten Millionen im Westen Arbeit. Doch seit dem Ukraine-Konflikt und der europäischen Flüchtlingskrise ist Polen plötzlich als Einwanderungsland gefragt. 7.000 Flüchtlinge hatte die ehemalige Regierung im Sommer 2015 versprochen aufzunehmen. Im Rahmen einer EU-weiten Umverteilung. Doch die national-konservative PIS-Regierung widerrief die Zusage. Rogala erklärt, warum:
"Wir waren nicht nur bereit, wir haben uns sogar beworben, einige Flüchtlinge zu übernehmen. Das war im Dezember 2015. Das waren nicht nur Worte, wir waren bereit. Und es war die neue Regierung, die versuchte das umzusetzen. Uns kamen aber einige Zweifel, der ganze Prozess schien uns merkwürdig. Und dann kamen die Vorfälle in Paris dazu, das Attentat im November, dann Brüssel im März 2016. Und dann entschied die neue Regierung, den Prozess zu beenden, aus Sicherheitsgründen."

Die Regierung schürt Ängste

Eine Begründung: Unter den Flüchtlingen könnten sich Terroristen befinden:
"Man kann sagen, dass unter der PiS-Regierung die Sicherheit eine größere Rolle spielt. Es gibt mehr sozialen Druck aus der Gesellschaft. Und die Regierung reagiert auf die Stimmen der Gesellschaft."
So sieht es Rogala. Man könnte aber auch sagen: Die PiS schürt die Ängste. So warnte Parteichef Jaroslaw Kaczynski vor - Zitat - "Scharia-Gebieten in Großstädten". Und dass Ausländer Krankheiten übertragen könnten. Er sei kein Soziologe, sagt Ausländeramtsleiter Rogala, aber die polnische Gesellschaft sei nun mal sehr homogen, der Ausländer-Anteil liege unter einem Prozent. Polen werde daher auf absehbare Zeit keine muslimischen Flüchtlinge aus dem Nahen Osten aufnehmen.

Ein Prälat lernt Arabisch

In Opole holt Arnold Drechsler erst einmal tief Luft. Dann schaut er auf den kleinen Zettel in seiner Hand: "Salam, das ist das wichtigste, schalom, das ist hebräisch. Und syrisch: salam."
1987477508_Zuflucht bei der Kirche - syrische Flüchtlinge mit Prälat Drechsler (Foto - Grenzgänger).JPG
Das syrische Ehepaar Lina und Nidal mit Prälat Arnold Drechsler aus Opole© Ernst-Ludwig von Aster
Fragend blickt der grauhaarige Endfünziger hinüber zu Lina. Die sitzt auf der anderen Tischseite. Die kleine Frau im bunt geringelten Pullover lächelt aufmunternd: "Very good. At English and Arabic, Arabic the pronounciation is very good." Auch ihr Mann Nidal nickt. Das syrische Ehepaar ist zufrieden. Drechsler blickt noch einmal auf seinen Spickzettel: "Salam. Salam rabe, salam lakom."
Wenn er nicht gerade Vokabeln büffelt, leitet Prälat Drechsler die Arbeit der Caritas in Opole. Er ist Linas erster und einziger Arabisch-Schüler: "I hope to teach more Arabic than English."

Eine christliche Familie aus Syrien

In Damaskus hat Lina Englisch-Stunden gegeben. Jetzt würde sie gerne Arabisch unterrichten. Vor gut anderthalb Jahren flüchtete sie mit Mann und erwachsenem Sohn nach Polen. Eine private Stiftung kümmerte sich um die Formalitäten, versprach ein Jahr Unterstützung. Die einzige Bedingung: Die Familie musste christlichen Glaubens sein.
"Wir haben in Syrien mit Muslimen und Juden immer gut zusammengelebt", erzählt Lina. Dann kam der Krieg. Und änderte alles. Die IS-Truppen machten Jagd auf Christen und Juden, die Assad-Regierung befahl junge Männer zum Militäreinsatz. Da war das Angebot, nach Polen zu flüchten, ein Hoffnungsschimmer:
"In Polen gab es doch auch schon einmal Krieg. Die Menschen waren in einer ähnlichen Situation wie wir. Uns hat man gesagt, die Polen würden unsere Situation verstehen. Weil sie selbst schon einmal so gelitten haben."

"Wenn Du Arabisch sprichst, bist du für sie Terrorist."

Lina blickt kurz nach links. Da hängt ein großes Porträt von Johannes Paul II an der Wand. Gleich daneben blickt ungleich ernster Mutter Theresa aus dem Rahmen:
"Wir konnten kein Arabisch auf der Straße sprechen. Es gibt so viele radikale Menschen hier. Wir hatten Angst. Wenn du Arabisch sprichst, dann bist du für sie ein Terrorist. Und kein Christ. Darum tragen wir auch das Kreuz."
Silbern funkelt ein kleines Kreuz an der Kette über dem Pullover. Das christliche Symbol gibt ihr Kraft, sagt Lina. Die braucht sie im Alltag immer wieder:
"Unser Freund wurde in Poznan auf der Straße zusammengeschlagen. Auf Polnisch rief er 'Ich bin Christ'. Aber das half nichts. Er ist nicht blond, man sieht ihm an, dass er Araber ist. Und da haben sie ihn verprügelt. Als unser Sohn neulich abends von der Arbeit kam, rief er mich an. Wir sprachen arabisch miteinander. Und plötzlich hat ihn jemand geschubst. Er konnte sich nicht wehren."

Vielleicht die letzten Syrer in Polen

Lina wirkt gequält, als sie dies erzählt. Sie möchte ihre Gastgeber nicht verärgern, sie will nicht klagen, nicht undankbar erscheinen. Die meisten syrischen Familien, die mit ihnen nach Polen kamen, haben mittlerweile das Land wieder verlassen. Richtung Westen. "Vielleicht sind wir die Letzten, die noch hier sind", sagt Lina. Und blickt hinüber zu Arnold Drechsler. Mit gefalteten Händen hört der Priester zu. Er versteht kein Englisch. Drechsler hat Lina und ihrem Mann Arbeit bei der Caritas in Opole besorgt. Unterstützt sie, wo er kann. Drechslers Diözese wollte 50 Flüchtlings-Familien aufnehmen. So wie es der Papst bei seinem Besuch im Sommer 2016 von den polnischen Gläubigen gefordert hatte. Doch die Regierung stellte sich quer, erzählt er:
"Kirche hat eine eigene Rolle. Wir müssen kämpfen ein bisschen gegen diese schlechte Politik von Medien in Polen, die Medien, Presse, Radio, Fernsehen, die bilden meiner Meinung nach ein nicht richtiges Bild von Flüchtlinge. Das ist ein falsches Bild: Flüchtlinge als Gefahr, als Bedrohung. So sehe ich das nicht."

Christliche Nächstenliebe

Mittlerweile sammelt die Caritas Geld, um in Syrien Flüchtlings-Familien zu unterstützen. Nicht nur Christen, auch Muslime, die ihre Heimatorte verlassen mussten. Nächstenliebe in der Ferne, die zuhause nicht erwünscht ist. Weil die Regierung sie nicht zulässt, sagt Drechsler:
"Das ist ein Ausnahmezustand. Und mit Bedauern muss ich sagen, dass die Kirche, auch hier bei uns in Oppeln, muss den Flüchtlingen helfen in dieser Art, wie damals vor der Wende den internierten Politikern geholfen wurde."

"Das ist unsere Zukunft."

Damals, in den 80ern. Als die Jaruzelski-Regierung gegen die Solidarnosc-Bewegung vorging. Und die Kirche die Verfolgten unterstützte:
"Das heißt, wir müssen viel tun und wenig sprechen darüber, um diese negativen Gefühle nicht zu erhitzen in der Gesellschaft. Also viel tun, wenig sprechen. Aber doch effektiv handeln."
Lina und ihr Mann hören zu. Aber sie verstehen kaum etwas. Arnold Drechsler greift noch einmal zu seinem kleinen Zettel. Und holt tief Luft: "Diese zwei Worte: salam lakom, das ist unsere Zukunft. Und so bleiben wir, heute, und auch für morgen."
Mehr zum Thema