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"Almadraba" vor der Küste Andalusiens
Thunfischfang mit System und Tradition

Der Thunfischfang vor der Küste Andalusiens hat eine lange Tradition: Bereits die Phönizier fischten hier vor 3.000 Jahren mit der Almadraba genannten Fangtechnik. Sie hatten ein Ritual entdeckt: Jedes Frühjahr ziehen riesige Thunfischschwärme vom Polarmeer kommend dicht an der Küste Andalusiens vorbei, um im warmen Mittelmeer zu laichen.

Von Christoph Voigt | 12.06.2016
    Thunfischfang vor der Küste Andalusiens hat eine lange Tradition
    Thunfischfang vor der Küste Andalusiens hat eine lange Tradition (deutschlandradio.de / Christoph Voigt)
    Morgens um 6 Uhr im Hafen von Barbate. Fischer und Helfer machen ihre Boote klar. Die Stimmung ist euphorisch, gleich geht es auf Thunfischfang. Endlich, denn die letzten Tage war das Wetter zu schlecht dafür. Die See zu stürmisch.
    Volle Kraft voraus! Zwei Motorschiffe ziehen, an Tauen befestigt, lange, hölzerne Kähne hinter sich her. Die Männer darauf, knapp vierzig an der Zahl, stehen! Die langsam aufgehende Sonne gibt der Szenerie etwas von einem Abenteuerfilm - wie Captain Ahab auf Walfang:
    "Wenn wir hinausfahren können, bin ich jedes Mal sehr glücklich. Das Meer ist mein Leben. Aber Tage wie heute bedeuten für uns Fischer vor allem, Arbeit, endlich Geld verdienen. Die Fangsaison für den roten Thunfisch ist kurz, nur knapp ein Monat. Doppelt solange haben wir gebraucht, um die Netze auf dem Meer zu positionieren und zu verankern. Ist die Fangsaison zu Ende, müssen wir alles wieder abbauen und uns mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten," sagt Kapitän Jesus Aragon Varo.
    Braungebrannt, die selbstgedrehte Zigarette im Mundwinkel und einem Strohhut auf dem kahlen Schädel, steuert Jesus das Ziel an: die Almadraba. Ein Kilometer langes System aus Stellnetzen. Auf der Wasseroberfläche tanzen schier endlose rote und gelbe Bojenketten. Sie lassen das Ausmaß des Fang-Systems erahnen, fünf Kilometer von der Küste entfernt:
    "Wenn der Thunfisch im Frühjahr vom Atlantik ins Mittelmeer kommt, um zu laichen, schwimmt er an der Küste entlang. Und wenn wir Glück haben, geraten die Schwärme in unsere Netze. Die stehen wie riesige, grobmaschige Gardinen senkrecht im Wasser und fangen nur Tiere um die 100 Kilo. Am Ende des Netzlabyrinths befinden sich große Kammern, die miteinander verbunden sind und sich öffnen lassen. Die letzte Netzkammer, unten geschlossen, heißt copo."
    Bolzenschussgeräte statt Harpunen und Messern
    Daraus sollen die Thunfische später abgefischt werden. Sie können bis zu 700 Kilogramm schwer und viereinhalb Meter lang werden. Die Holzkähne haben sich bereits seitlich entlang des runden Netzes positioniert. Dann packen die Fischer den Rand und ziehen das Netz über Seilwinden langsam höher. Schwerstarbeit. Plötzlich halten sie inne: Ein Taucher klettert aus dem Wasser an Bord:
    "Wir haben ungefähr 50 bis 60 Thunfische im Netz. Da sind richtig große dabei! Acht davon werden wir heute fangen," verkündet Juan Diego. Seine blauen Augen strahlen. Juan ist schon über 20 Jahre im Geschäft und einer von insgesamt vier Männern im Tauch-Team der Almadraba. Jeden Morgen, so wie heute, fahren sie als Erste zu den Netzen, kontrollieren sie und melden über Funk, wie viele Fische sich darin befinden. Juan schnallt sich eine Art Patronengurt um und schnappt sich eine lange Aluminiumstange:
    "Am Ende der Stange ist eine Art Bolzenschussgerät montiert. Unter Wasser visieren wir den Fisch an und schießen ihn damit in den Kopf. Er ist sofort tot."
    Noch vor wenigen Jahren kamen Harpunen zum Einsatz, Messer und Haken, mit denen die Fische an Bord gehievt und dann erstochen wurden. Eine sehr blutige und für die Tiere qualvolle Angelegenheit:
    "Als wir noch die alte Methode verwendeten, wurden auch viele Fischer, teils tödlich, verletzt. Entweder weil sie ins Wasser gesprungen sind, um dem Fisch den Todesstoß zu versetzen, oder an Bord. Ich sage dir, wenn so ein 300, 400 Kilo Monster außer Kontrolle gerät und mit seiner Flosse um sich schlägt, ist das verdammt gefährlich."
    Bolzenschussgeräte beim Thunfischfang? Sie kommen in erster Linie nicht zum Einsatz, damit die Tiere weniger leiden. Es geht vielmehr ums Geld. Hat der wertvolle Fisch im Todeskampf Stress, mindert das die Fleischqualität. Die Japaner als wichtigste Kunden, verlangen beste Ware und zahlen auch dafür.
    Der Funk meldet: schlechtes Wetter im Anmarsch. Die Fischer müssen sich beeilen. Juan springt bewaffnet ins Wasser, dort warten seine Kollegen bereits. Jetzt kann die Levantá, das Heben des Netzes, weitergehen. Die massigen blaugrauen Körper schießen durchs seichte Wasser und bringen es zum schäumen. Die Taucher machen ihren Job, acht Mal! Nach knapp einer halben Stunde ist alles vorbei.
    Immer mit an Bord: Kontrolleure der ICCAT
    Die Taucher ziehen die toten Körper Richtung Schiff. Eine Fahne aus Blut verliert sich im Meer. Plötzlich aufkommender Nebel verleiht dem Schauspiel zusätzlich Dramatik. Vertäut an ihrer Schwanzflosse dümpeln die Fische, einer neben dem anderen, an der Bordwand. Ein Kran hievt die hunderte Kilo schweren Leiber dann an Bord. Wegen des enormen Gewichts neigt sich der Kutter jedes Mal ordentlich zur Seite.
    Sebastian Vela ist der Chef der Almadraba von Barbate und heute ebenfalls auf dem Schiff. Hoch konzentriert schaut er, dass die Leiber nicht beschädigt werden. Das mindert den Preis. Pausenlos klingelt sein Handy. Diesmal ist ein japanischer Kunde dran.
    "Die Japaner sind circa eine Seemeile von der Almadraba entfernt. Dort ankern ihre Kühlschiffe. Wenn wir auf Fang gehen, fragen sie uns telefonisch an, wie viel Tonnen wir liefern können. 40 oder 50 Tonnen? Unser Thunfisch wird dann von hier aus direkt zu den Kühlschiffen gebracht. Dort kontrollieren sie dann die Qualität. Bis jetzt haben sie sich noch nicht beschwert."
    Kein Wunder, denn der wilde Rote Thunfisch, der hier vor der andalusischen Küste gefangen wird, hat beste Qualität. Auf dem hiesigen Markt kostet das Kilo um 30 Euro, auf der Fischbörse in Tokio, ein Vielfaches davon.
    Immer mit an Bord sind auch zwei Kontrolleure von der ICCAT, der internationalen Kommission des Atlantischen Thunfisches. So auch an diesem Tag. Mit Maßband bewaffnet, haben sie ein Auge auf die Größe der erlegten Tiere und kontrollieren deren Gewicht. Der Fang des wilden Thunfisches wird, zumindest im Mittelmeer, durch ein Abkommen seit 2006 äußerst streng überwacht.
    Nach fünf Stunden auf See ist das Spektakel vorbei. Die acht toten Fische werden in riesige, mit Eis gefüllte Boxen verstaut, dann nimmt Kapitän Juan Diego Kurs auf den Hafen von Barbate.
    "Wir fischen nach Bestellung - on demand"
    Dort warten schon die Transporter, die die Ware zum Kunden bringen. Am Kai überwacht Chef Sebastian Vela das Ausladen der Kühlboxen. Die Gabelstapler, die die teure Fracht in die Laderäume der Laster balancieren.
    "Wir fangen nicht alle Fische, die in unseren Netzen sind. Wir fischen nach Bestellung - on demand. Der Frische wegen. Insgesamt haben wir letztes Jahr 5.000 Thunfische gefangen. 20.000 Tiere haben wir wieder frei gelassen, weil wir sonst die Quote überschritten hätten. Dieses Jahr hat sich die Fangquote in Barbate zwar etwas erhöht, das liegt jedoch daran, weil jeder der insgesamt vier Almadrabas an der Küste seine Quote an den jeweils anderen verkaufen kann."
    Noch vor zehn Jahren fürchteten die Fischer an der Costa de la Luz um ihre Existenz. Dank Quotenregelung und strenger Kontrolle hat sich der Bestand des Roten Thunfisches mittlerweile erholt. Darüber ist auch Juan Maria glücklich. Zusammen mit seiner Frau betreibt seine Familie seit Generationen ein kleines Restaurant in Conil. Ein Nachbarort von Barbate mit eigener Almadraba. Nicht nur auf seiner Speisekarte finden sich während der Thunfisch-Saison Gerichte in allen Variationen.
    "Früher wurde der Thunfisch größtenteils nach Japan verkauft oder in Konservenfabriken verarbeitet. Seit einigen Jahren bleibt der gefangene Fisch auch hier bei uns, das ist gut. Außerdem hat sich eine neue, junge Gastronomie Szene entwickelt, die den Thunfisch als kulinarisches Erlebnis zelebriert und zubereiten kann."
    Was wiederum Touristen anlockt.
    Wenn das Wetter morgen mitspielt, wollen die Thunfischer wieder hinaus aufs Meer fahren und fette Beute machen. Denn Anfang/Mitte Juni endet die Almadraba - bis zum Herbst. Dann ziehen die Schwärme wieder vom Mittelmeer in den Atlantik.