Polen

Entmachtung des Verfassungsgerichts?

Der Blick in die Halle des polnischen Sejm in Warschau während der Abstimmung des Parlaments über eine umstrittene Gesetzesänderung
Das polnische Unterhaus hat eine umstrittene Neuordnung des Verfassungsgerichts verabschiedet. © picture alliance / dpa / Orestis Panagiotou
Von Florian Kellermann · 23.12.2015
Die Arbeit des polnischen Verfassungsgerichts dürfte zukünftig deutlich schwieriger werden: Das Parlament hat ein Gesetz beschlossen, das unter anderem eine Zweidrittel-Mehrheit der Richter bei Urteilen vorsieht. Die Opposition nennt das Gesetz verfassungswidrig.
Das Parlament schmetterte einen Änderungsantrag der Opposition nach dem anderen ab - die Abgeordneten der rechtskonservativen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit", kurz PiS, ließen sich durch die häufig stürmischen Wortmeldungen nicht beeindrucken. Sie verabschiedeten ein Gesetz, dass die Arbeit des Verfassungsgerichts deutlich erschweren wird. Demnach müssen künftig 13 der insgesamt 15 Verfassungsrichter an jedem Verfahren teilnehmen. Die Richter müssen ihr Urteil jeweils mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen fällen, bisher ist es die einfache Mehrheit.
Schon diese Regeln dürften die Arbeit des Gerichts erheblich verlangsamen. Außerdem soll das Gericht gezwungen werden, die Klagen in chronologischer Reihenfolge abzuarbeiten. Die Folge dieser Reform: Über Klagen gegen Gesetze, die der Sejm heute beschließt, wird das Gericht erst in einigen Jahren befinden können.
PiS hält Verfassungsgericht für politisch befangen
Das Gesetz lähme das Verfassungsgericht und sei offensichtlich verfassungswidrig, erklärte Krzysztof Brejza von der rechtsliberalen Oppositionspartei "Bürgerplattform":
"Die Parlamentsmehrheit hat zwei weitere bedrohliche Neuerungen eingebracht: Das Gesetz soll sofort in Kraft treten. Das heißt, das Verfassungsgericht wird es nicht mehr überprüfen können. Außerdem soll das Parlament befugt werden, Richter zu entlassen. Das ist ein klarer Bruch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung."
Der Vorsitzende der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski, hatte schon früher erklärt, dass er das Verfassungsgericht in seiner jetzigen Besetzung für politisch befangen hält. Es werde die Vorhaben der PiS blockieren, erklärte er. Welche Gesetzesprojekte das sind, ist jedoch bis jetzt unklar. Denn die sozialen Versprechen der PiS, die Kaczynski erwähnte, dürften kaum für verfassungswidrig befunden werden. In der Parlamentsdebatte warfen die PiS-Abgeordneten der Opposition Scheinheiligkeit vor, so Stanislaw Piotrowicz:
"Wie verlogen muss man sein, um sich hinter der Verfassung zu verstecken. Sie nehmen den Mund voll und tun so, als würde es Ihnen um die Bürger gehen. Dabei habt ihr in den acht vergangenen Regierungsjahren gezeigt, wie sehr ihr Euch um die Bürger sorgt. Ihr könnt nicht zugeben, dass ihr bestimmte gesellschaftliche Gruppen verteidigt, bestimmte Geldgeber. In Wahrheit geht es euch heute vor allem darum, den Staat zu destabilisieren."
Verfassungskrise könnte sich zur Staatskrise ausweiten
Dazu könnte es tatsächlich kommen, wenn die Verfassungsrichter dem Rat des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts, Andrzej Zoll, folgen. Er rät ihnen in dieser Situation nicht nur zum Protest, sondern zum aktiven Widerstand:
"Das Gericht hat eine Chance. Die Vorschriften sagen, dass die Richter nur durch die Verfassung gebunden sind, nicht durch einzelne Gesetze. Punkt. Sie sollten angesichts dieses Gesetzes, das der Verfassung widerspricht, zur Tagesordnung übergehen. Und einfach weiter nach den alten Regeln Urteile sprechen. Die Regierung wird die Urteile nicht veröffentlichen. Dann müssen die Richter eben andere Publikationsmöglichkeiten suchen, wie sie die Opposition in der kommunistischen Volksrepublik Polen gesucht hat."
Mit anderen Worten: Der Verfassungsjurist Zoll geht davon aus, dass sich die Verfassungskrise zu einer Staatskrise ausweiten könnte.
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