Polemiker und Melancholiker

Rezensiert von Edelgard Abenstein · 16.12.2005
Er zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik - Kurt Tucholsky, der auch als Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter und Dichter berühmt wurde. Der Schauspieler Dieter Mann hat der Textauswahl seine Stimme geliehen. Ein rundum gelungenes Hörvergnügen.
" Man hat ja so allerhand erlebt in der letzten Zeit. Früher – war des jemütlich. ... Also des iss nu vorbei. "

Ein gemütlicher Autor war Kurt Tucholsky natürlich nie, und ein nostalgischer auch nicht. Heute ist es sonderbar still um ihn geworden. Dabei sind seine Texte durchaus aktuell. Schon im ersten Stück stellt sich Tucholsky als hellsichtiger Zeitkritiker vor, der die großen epochalen Bewegungen am liebsten aus der Warte des kleinen Mannes betrachtet, des Portiers im Reichskanzlerpalais etwa.

Idealisierungen freilich sind bei ihm nie im Spiel. Folklore auch nicht. Immer gesellt sich zur forschen Nüchternheit ein Hauch von Elegie: Die Regierungen kommen und gehen, der Pförtner bleibt.

" Eines Morgens, dann kam da so‘n Herr an mit’n Bart, mit’n Jesicht wie’n Bürovorsteher, er sachte, Morjen, ick bin hier Reichskanzler. Na, ich bin dann janz ruhig in meene Klause und dachte, na, mach‘ ma, wird dir bald über werden. Und dann jing det so, ne janze Weile... Und jeden Morjen, steh ick so am Fenster und kiek auf die leere Wilhelmstraße, und dann denk ick mir so: wer kommt nu? "

Wie Blüten aus dem Treibhaus der Berliner Republik heute kommen die politischen Feuilletons "Blick in ferne Zukunft" oder "Presseball" daher, wo Parvenues, fesche Anpassungskünstler, durchweht von der steifen Brise des Liberalismus, ihren Auftritt finden.

Das Capriccio "Parteiwirtschaft" könnte sogar ein Kommentar zum Misstrauensvotum oder zur großen Koalition sein. In diesem Kaleidoskop fehlen glücklicherweise auch nicht die berühmten Charakterbilder über die Spezies des Hauptstädters, der sich seit den 20er Jahren kaum geändert zu haben scheint.

" Der Berliner hat keine Zeit. Der Berliner ist meist aus Posen oder Breslau und hat keine Zeit. Er hat immer etwas vor, er telefoniert und verabredet sich, kommt abgehetzt zu einer Verabredung und etwas zu spät und hat sehr viel zu tun. In dieser Stadt wird nicht gearbeitet, hier wird geschuftet. Auch das Vergnügen ist eine Arbeit, zu der man sich vorher in die Hände spuckt und von der man etwas haben will. ... Er würde auch noch im Himmel, vorausgesetzt dass der Berliner in den Himmel kommt, um viere was vorhaben. Manchmal sieht man Berlinerinnen auf den Balkons sitzen ... und sie haben Pause. Sie sind gerade zwischen zwei Telefongesprächen... oder haben sich mit etwas, was selten vorkommt, verfrüht. Da sitzen sie und warten und schießen dann wie der Pfeil von der Sehne zum Telefon, zur nächsten Verabredung. "

Für den Berliner Kurt Tucholsky ist der Berliner Dieter Mann eine Idealbesetzung. Seine Stärke liegt in der stets hintersinnigen Lakonie. Das Sentimentale ist seine Sache nicht. Komödiant mit Leib und Seele geht er besonders gern das vertrackt Absurde an und scheut sich nicht, dabei alle Register in der Kunst des Entertainments zu ziehen.

So spricht er die "Geschichten vom Herrn Wendriner" genüsslich mit verteilten Rollen und auch den "Witz", den das sprichwörtlich gewordene "Ehepaar" in immer neuen Anläufen zu Ende zu bringen versucht, erzählt er in mindestens vier Stimmen.

" Ein Mann, - Walter, streu nicht die Asche auf den Teppich – also ein Mann, nein, nein ein Wanderer verirrt sich im Gebirge, der geht im Gebirge und verirrt sich in den Alpen. Was? Also in den Dolomiten, ist ja ganz egal. Er geht durch die Nacht und da sieht er ein Licht und geht darauf zu. Was? So lass mich doch erzählen, das gehört dazu. Und geht darauf zu. Und da ist eine Hütte und da wohnen zwei Bauersleute, der Bauer ist alt und die Frau ist jung und hübsch. Ja, sie ist jung und sie liegen im Bett. Nein, sie liegen noch nicht im Bett. – Meine Frau kann keine Witze erzählen. Lass mich mal ... Also ein Mann wandert durch die Dolomiten, nein, du machst einen ganz verwirrt, so ist der Witz gar nicht. Der Witz ist ganz anders. In den Dolomiten, so ist er ... "

Man merkt Dieter Mann, der hier einen Teil seiner Lieblingstexte versammelt hat, nicht nur den Hang zum Satirischen an, zur Parodie. Was gerade noch maliziös geklungen hat, wird im nächsten Moment zu einer Parade der Harmlosigkeit. Dieter Mann sucht stets mit Sorgfalt nach dem richtigen Ton. Stimmlage, Tempo und Satzmelodie stimmen kongenial mit den Texten überein. Er ist ein Künstler der Genauigkeit und der Zwischentöne. Von daher rührt seine große Nähe zum Werk des geschliffenen Polemikers Kurt Tucholsky, aber auch zu dem des zarten Melancholikers.

"Augen in der Großstadt" – Hildegard Knef hat es als Lied gesungen, auch Gisela May. Wenn Dieter Mann die Verse liest, wirken sie eigentümlich fremd, ohne Tremolo und beinahe schlackenlos minimalistisch.

" Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Braue, Pupillen, die Lider. Was war das? Vielleicht dein Lebensglück. Vorbei, verweht. "

Einziges Versäumnis bei diesem rundum gelungenen Hörvergnügen: Leider gibt der Verlag außer der nackten CD nichts an die Hand, nicht einmal eine Liste mit den jeweiligen Titeln. Bei einem Autor, der beinahe aus der Zeit gefallen ist, wären biografische Angaben durchaus wünschenswert gewesen. Eine verpasste Chance also, eine versäumte Gelegenheit oder, ganz so wie es im Titelgedicht heißt: "Unerledigte Konten". Da erweist sich Tucholsky genauso wie Goethe als umsichtiger deutscher Dichter, der weiß, was er seinen Lesern und Hörern schuldig ist, hält er doch wie für beinahe jede, so auch für diese enttäuschende Lebenslage einen Trostspruch bereit.

" Es ist immer das gleiche Lied. Wenn wir was brauchen, dann haben wir’s nicht, und wenn wir’s kriegen, dann wollen wir’s nicht. Lieber Gott, sei doch nur einmal gescheit und gib uns die Dinge zu ihrer Zeit. Amen."

Service:

Kurt Tucholsky, auch bekannt als Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel, zählt zu den bedeutendsten Publizisten der Weimarer Republik, ein Gesellschaftskritiker in der Tradition Heinrich Heines. Auch als Satiriker, Kabarettautor, Liedtexter und Dichter wurde er berühmt. Zum 70. Todestag am 21.12. hat der Patmos-Verlag ein Hörbuch mit Texten dieses vielseitigen Autors herausgebracht. Mit 19 Gedichten und Artikeln, die der Autor zwischen 1919 und 1931 veröffentlicht hat – in der "Weltbühne" -, deren kurzzeitiger Herausgeber er 1927 war, im "Berliner Tageblatt" oder in der "Arbeiter-Illustrierten-Zeitung".

Kurt Tucholsky,
Unerledigte Konten.
In Prosa und Gedichten.
Gelesen von Dieter Mann.
Patmos-Verlag 2005.
1 CD, 14,95 Euro