Poet des Betons

Von Marietta Schwarz · 07.07.2009
Charles-Edouard Jeanneret, genannt Le Corbusier, gilt als einer der bedeutendsten wie auch umstrittensten Architekten des 20. Jahrhunderts. Dabei wurde er mehr durch seine provokativen Schriften und rigiden Abriss- und Neubaupläne für ganze Städte berühmt als durch seine knapp 80 realisierten Bauwerke. Im Berliner Gropiusbau versucht eine Ausstellung eine Annäherung an den Baumeister des Betons.
Wäre man für sich alleine in den Ausstellungsräumen des Gropiusbaus, würde es einen vielleicht zur Anbetung auf die Knie ziehen. Alles ist so schön, die Farben der großformatigen Ölgemälde wie gerade erst aufgetragen, die Holzskulpturen so wunderbar wollüstig und sinnlich. Schellack glänzt auf den dunklen Modellen und selbst der rostige Gartenstuhl, den der gute alte Corbusier gar nicht entworfen, sondern nur gerne eingesetzt hat als Möbelstück für seine Neubauten, verströmt so etwas von ehrlicher Patina.

Aber war da nicht noch was? Ein gewisses Fremdeln mit dem allzu "ehrlichen" Einsatz des Baustoffes Beton? Ein Unverständnis generell mit Corbusier-Architektur, etwa der Berliner Unité d'Habitation oder der Planungen für die indische Stadt Chandigarh?

"Le Corbusier hat immer polarisiert. Es gab immer Leute, die ihn grandios und genial fanden, und andere, die ihn radikal ablehnten, er hat niemanden kalt gelassen."

...sagt Mateo Kries, einer von drei Kuratoren der Ausstellung "Le Corbusier - Kunst und Architektur".

Provokation ist ein Begriff, der fallen muss, wenn man von Le Corbusier spricht, sagt auch der Co-Kurator Stanislaus von Moos, der bereits kurz nach dessen Tod 1965 ein Standardwerk über den Architekten und Künstler verfasst hat. Doch von Moos schränkt auch ein: Nicht alles wurde so heiß gekocht von Le Corbusier, wie er es in seinen programmatischen Schriften festhielt:

"Der Corbusier war der erfolgreichste Begriffspräger und Stichwortgeber der modernen Architektur und des Städtebaus. In der Umsetzung sind die Sachen ja dann eigentlich immer anderes geworden, als die Stichworte es hätten vermuten lassen... Und so muss man bei Corbusier immer sehr deutlich unterscheiden zwischen dem, was er sagt und was er macht."

Was die Kuratoren verschweigen: Dass Le Corbusier es einem nicht unbedingt leicht macht mit der Annäherung an sein Werk. Architekturstudenten im 1. Semester, jene also, die durchaus willens sind, sich ernsthaft mit Baugeschichte auseinanderzusetzen, schreien auf, wenn ihnen die Kapelle von Ronchamp als Meisterwerk der modernen Baukunst präsentiert wird, und sie lachen nur noch, wenn sie seine Pläne für ein neu zu bauendes Paris aus den 20er Jahren sehen: Nichts als Punkthochhäuser über kreuzförmigem Grundriss. Monotonie anstelle von Stadthistorie. Autobahnschneisen statt Fußwege.

Zum Genie wird Le Corbusier, jener Mann mit der schwarzen Brille, erst durch ästhetische Schulung. Und seinen Kampf für die lichte Deckenhöhe von 2 Meter 26 versteht auch nur, wer sich ausgiebig mit sozialem Wohnungsbau und dem von Corbusier erfundenen Proportionssystem "Modulor" beschäftigt hat.

Und doch bleibt uns Le Corbusier in dieser Ausstellung, die eher assoziativ als chronologisch aufgebaut ist, kein Fremder. Vielleicht auch deshalb, weil die Kuratoren die Dinge hinter seinen Entwürfen zeigen, Tagebucheinträge, Skizzen, Buchveröffentlichungen.

Mateo Kries: "Bisher hat man sehr viel die Endprodukte von Le Corbusiers Werk angeschaut und weniger den Weg dorthin. Das ist sicher ein Versuch, den wir unternehmen, dass wir zeigen, wie konnte sich so etwas überhaupt herausbilden? Etwas anderes ist die Bedeutung von Malerei und Kunst. Wir zeigen viele Originalgemälde und Skulpturen, und versuchen sie so zu zeigen, dass sie mit der Architektur konfrontiert werden und man die gegenseitigen Bezüge an den Werken ablesen kann."

Genug also vom Bild des auch als "größenwahnsinnig" gescholtenen Charles-Edouard Jeanneret, der für sich selbst schon sehr früh den Kunstnamen Le Corbusier ersann. Denn ein Fassadenplan der bereits erwähnten Chapelle de Ronchamp mit den tiefen Fensterschächten und deren Schattenwürfen oder ein Modell der erst vor kurzem fertig gestellten Kirche in Firminy zeigen, wie wenig dieser Mann Technokrat, und wie sehr er Poet war. "Ich bin ein Formenakrobat", so schrieb er über sich selbst. "Ich kreiere Formen und spiele mit ihnen. Formen sind Ausdruck von Emotion, auch des Bewusstseins."

Soweit Le Corbusier, und man möchte hinzufügen: Beton ist Ausdruck der neu gefundenen Freiheit. Denn erst die großen Spannweiten des damals weitgehend unerforschten Materials machten Le Corbusier sein Formenspiel, und damit auch das Spiel von Licht und Schatten, möglich. Ohne dies sind gerade seine späteren Werke gar nicht denkbar. Erst Le Corbusier machte die bis heute gängige industrielle Bauweise mit Beton salonfähig. Kaum einem Architekten nach ihm, auch das zeigt die Ausstellung, ist ein ähnlich kunstvoller Umgang mit dem Baustoff gelungen.

Service:
Die Ausstellung "Le Corbusier - Kunst und Architektur" ist vom 9.7. bis 5.10.2009 im Berliner Martin-Gropius-Bau zu sehen.