Pöbeleien bei Einheitsfeier

Wenn der Rahmen für Respekt fehlt

Eine Hand hält ein Schild mit der Aufschrift "Merkel muss weg" in die Höhe, dahinter eine deutsche Flagge.
Demonstranten machen in Dresden Stimmung gegen Kanzlerin Merkel. © dpa/Arno Burgi
Kathrin Röggla im Gespräch mit Vladimir Balzer · 04.10.2016
Pöbelnde Demonstranten in Dresden: Die Kanzlerin und der Bundespräsident mussten sich bei der Einheitsfeier hefige Beschimpfungen gefallen lassen. Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla spricht in diesem Zusammenhang von einer "Reaktion aus den Untiefen der Geschichte".
Die Einheitsfeiern in Dresden wurde durch pöbelnde Demonstranten gestört. Die Beschimpfungen waren ausgesprochen rüde und richteten sich gegen Autoritäten wie die Kanzlerin oder den Bundespräsident. Wie steht es um unsere politische Kultur, um Respekt? Wo ist die Grenze, wie viel ist erlaubt?
Für die Autorin Kathrin Röggla, die auch Vizepräsidentin der Berliner Akademie der Künste ist, hat ein derartiges Verhalten größerer gesellschaftlicher Gruppen eine längere Vorgeschichte.
Wir seien über mindestens zwei Jahrzehnte zu einer Gesellschaft geworden, in der Konkurrenzverhalten und Ellenbogengebaren als erstrebenswert verkauft wurden, meint sie. Der Turbokapitalismus sei das Leitbild:
"Der Punkt ist natürlich der, dass in einer Gesellschaft, in der man seit 20 Jahren beigebracht bekommt, dass diese Ellbogenhaltung die beste ist und dass Konkurrenz das herrschende Modell ist und sozusagen soziale Fähigkeiten eigentlich zu vernachlässigen sind, es schwerfällt natürlich, dann irgendwann diesen Respekt einzufordern – etwas, das eben nicht ausreichend geübt wurde. (…)
Die Rahmen für Respekt wurden nicht unbedingt hergestellt. Und es ist dann so eine Art Oberflächengeplänkel, zu sagen, die Leute müssen Respekt haben, wenn sie das einfach nie gelernt haben oder eben eher verlernen."

"Reaktion aus den Untiefen der Geschichte auf die Globalisierung"

Der Rückgriff auf das "Völkische" und "Nationale", wie er etwa von der AfD proklamiert werde, sei aber Realitätsverleugnung und Verleugnung der gesamten Gesellschaft.
Für Röggla ist das "eine Reaktion aus den Untiefen der Geschichte auf die Globalisierung, weil vielleicht andere Versuche der Globalisierung zu begegnen noch zu schwach sind beziehungsweise das Gefühl vorherrschend ist, in einem Verlust zu stehen, was ja überhaupt nicht unbedingt in Deutschland mit der Realität einhergeht".
Sie verstehe das Phänomen aber selbst noch nicht ganz, denn Deutschland habe schließlich eine sehr starke und aktive Zivilgesellschaft, die sich auch zu Wort melde:
"Es ist ja nicht so: Es gibt eine Klasse der Mächtigen und dann gibt es da den Rest, der schweigt. Das ist ja nicht die Situation."
(huc/hum)
Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla ist Vizepräsidentin der Berliner Akademie der Künste.
Die österreichische Schriftstellerin Kathrin Röggla© picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
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