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Verkehrswende
Coronakrise als Chance für lebenswerte Städte

Die Coronakrise hat Fortbewegungsgewohnheiten schnell verändert. Das ist ein Ergebnis einer Studie, die der Deutsche Städtetag, der Städte- und Gemeindebund und der Verband deutscher Verkehrsunternehmen in Auftrag gegeben haben. Die Verbände wollen den Trend nutzen, und Autos aus den Städten zurückdrängen.

Von Philip Banse | 15.09.2020
Auf einer digitalen Anzeigetafel in der Dresdner Innenstadt ist "dresden.de/corona" zu lesen während zwei Fahrradfahrerinnen auf dem Radweg vorbei fahrenung weltweit
Die Corona-Pandemie hat zu Beginn Verkehrsgewohnheiten verändert: Wenig Autoverkehr, viel Platz für Radfahrer und Radfahrerinnen (dpa/Robert Michael)
Die 50-seitige Studie untersucht, was Städte und Gemeinden, die ihren Verkehr menschen- und klimafreundlich umbauen wollen, aus der Coronakrise lernen können. Zunächst zieht das Papier aber ein Zwischenfazit: Wie hat Corona eigentlich den Verkehr in unseren Städten und auch auf dem Land verändert?
Corona verändert Fortbewegungsgewohnheiten
Tilman Bracher vom Deutschen Institut für Urbanistik und Co-Autor der Studie sagt, die Wissenschaft sei bisher immer davon ausgegangen, dass die Fortbewegungsgewohnheiten der Menschen kaum oder nur ganz langfristig zu verändern sind. Das sei jetzt widerlegt: "Wir haben vor allem beim Fußgängerverkehr überraschend große Zuwächse gehabt. Das waren Zahlen, die wir so nicht kannten." Auch der Radverkehr sei zumindest an einigen Orten stark gewachsen.
Stadtentwicklung - Wie die Corona-Pandemie unsere Städte verändert
Plötzlich entstanden Pop-up-Radwege, der Autoverkehr wurde eingeschränkt und das öffentliche Leben in den Städten verlagerte sich in die Parks. Was die Corona-Pandemie für Stadtentwicklung und Architektur bedeuten könnte, zeichnet sich schon jetzt ab. Ob die Veränderungen von Dauer sind, muss sich noch zeigen.
Diesen Trend gelte es aufzunehmen und zu stützen, sagt Anne Klein-Hitpaß vom Thinktank "Agora Verkehrswende": "Wir brauchen einen sicheren und schnellen Ausbau der Infrastruktur für Rad- und Fußwege. Der Fußverkehr muss viel stärker in das Bewusstsein rücken von den Menschen und den Verwaltungen, die das umsetzen. Entsprechende Mittel sind hierfür bereitzustellen." Eine gerechtere Verteilung des öffentlichen Raums sei einer der wichtigsten Pfeiler für eine Verkehrswende.
Deutscher Städtetag will Autos zurückdrängen
Das sieht auch der Lobbyverband der Städte und Gemeinden so. Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag will Autos zurückdrängen: "Wir werden auch zu einer Flächenneuzuordnung kommen müssen. Zumindest im städtischen Verkehr wird sich das nicht vermeiden lassen. Und damit auch zu harten Entscheidungen, die das Parken vor der Haustür im öffentlichen Raum, die das Hineinfahren in die Städte bis vors Geschäft und die motorisierte individuelle Mobilität als ein Menschenrecht wahrnehmen."
Doch durch Corona steigen die Menschen wieder mehr ins Auto und fahren massiv weniger Bus, Bahn, U-Bahn, Straßenbahn. Dieser so genannte öffentliche Personennachverkehr, ÖPNV, sei im Frühjahr teilweise um über Zweidrittel geschrumpft. Dabei sollen S-Bahnen, Busse und Straßenbahnen das Rückgrat der Verkehrswende sein. Dafür müsse der ÖPNV aber ausgebaut werden, so die Studie: Mehr Strecken ins Umland, mehr Züge, mehr Personal, massive Investitionen in Digitalisierung und clevere Ticketsysteme.
Änderung der Straßenverkehrsordnung notwendig
Wie soll das gehen, wenn jetzt weniger Menschen fahren und damit eine wichtige Säule der Finanzierung bröckelt? Die Studie fordert mehr Steuergeld. Nur so sei der Umbau zu stemmen. In der Krise, so die Studie, hätten sich viele Kommunen aber auch erstaunlich agil und flexibel gezeigt: Improvisierte Pop-Up-Radwege in Berlin, München, Köln und anderswo; temporäre Spielstraßen und Fußgängerzonen. Mehr davon, fordert Anne Klein-Hitpaß vom Thinktank "Agora Verkehrswende": "Denn erfolgreiche Experimente sind immer auch ein Multiplikator-Effekt: Was in der einen Stadt funktioniert, möchte die andere Stadt auch haben."
Städte könnten über höhere Parkgebühren und teure Bewohnerparkausweise Autos heute schon zurückdrängen, sagt Hilmar von Lojewski vom Deutschen Städtetag. Um aber wirklich den Stadtverkehr für Fahrrad und Fußgänger zu optimieren, müsse die Straßenverkehrsordnung geändert werden, die aktuell vor allem noch die reibungslose Fahrt von Autos im Blick hat: "Natürlich hat die heutige Botschaft auch den Zweck, klar zu machen: Da muss jetzt wirklich schnell etwas passieren."
"Corona kann ein Kickoff, die Städte wirklich lebenswerter zu machen"
Wie sich der Stadtverkehr in Zukunft entwickelt, hängt aber von vielen offenen Fragen ab: Wird das Homeoffice wirklich dauerhaft zu einem Massenarbeitsplatz? Und ziehen dann die Leute alle aufs Land und pendeln? Die wichtigste Erfahrung der Corona-Zeit sei aber, sagt Timm Fuchs vom Deutscher Städte- und Gemeindebund: Die Menschen hätten erlebt, wie leise, schön und sicher eine Stadt sein kann mit wenig Autos, viel Platz für Radfahrerinnen und Orten der Erholung: "Da sind wir erst am Anfang einer Reise, aber ich glaube, Corona kann ein Kickoff, ein Impuls dafür sein, die Städte wirklich lebenswerter zu machen."