Plettenberg kauft eine Klinik

Von Volker Wagener · 12.01.2007
Der Sauerländer gilt als nachhaltig willensstark. So kam es denn, dass sich Lokalpatriotismus und Unternehmergeist in Plettenberg in einer Weise zeigten, die Nachahmer auch in anderen Gegenden deutscher Bundesländer finden könnten. Man rettete die Plettenberger Klinik vor der Insolvenz.
In den Plettenberger Metallbetrieben war schon so mancher Finger unter den Hammer gekommen und dann war es immer die Unfallabteilung des Plettenberger Krankenhauses, die schlimmere Folgen verhinderte. Als Dank sozusagen hat eine ungewöhnliche Bürgerinitiative Heilung ermöglicht. Sie hat das Krankenhaus einfach gekauft.

Hassel: "Ein dominierendes Thema als dieses hat es in den letzten 30 Jahren hier nicht gegeben…"
Kostewitz: "Für uns steht eindeutig fest, es soll ein Haus der Grundversorgung bleiben."
Fuchs: "Wenn es darum geht, Notwendiges zu erkennen und das Mögliche zu tun, dann…"
Müller: "…es ist wie mit dem verschmähten Kind: wenn es das Haus verlassen will, kämpft man darum, es zu halten."
Stahlschmidt: "…das wollen wir doch mal sehen, ob wir das nicht schaffen."

Die Geschichte um die eigenwillige Rettung des Plettenberger Krankenhauses hat viel mit Dietmar Auner und Erhard Fuchs zu tun, denn die beiden evangelischen Gemeinde-Pfarrer in dem sauerländischen Provinzstädtchen hatten den Stein erst ins Rollen gebracht. Und nicht nur das: Die Geistlichen der Pfarrgemeinde rund um die 800 Jahre alte Christuskirche hatten sogar lange die Rolle des Schwarzen Peter im Ringen um eine Zukunft des örtlichen Krankenhauses zu tragen. Vor allem der etwas impulsivere Erhard Fuchs hatte anfangs viel Bürgerschelte einstecken müssen.

Fuchs: "So ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, weil die Kirchengemeinde zweifelsohne den Veränderungsprozess eingeleitet hat. Allerdings nicht in allein seligmachender Form, sondern von Anfang an mit der Stadt als zweitem Träger."

Was war geschehen? – Die evangelische Kirchengemeinde Plettenberg ist seit 1894 in Besitz des heute 145 Betten zählenden Krankenhauses. Eine Klinik nicht nur der Grundversorgung, sondern auch eine mit einem anerkannten Ruf als Unfall-Krankenhaus. Mitte der 50er Jahre unterschrieben die Väter der Kirchengemeinde einen historischen Vertrag. Der Haftungsanspruch wurde auf 10.000 Euro begrenzt. Mittlerweile war die Stadt als zweiter Träger mit in der Verantwortung. Bis Ende der 90er Jahre bildeten Kirche und Stadt problemlos ein Tandem. Die Bilanzen stimmten, doch dann ging es abwärts mit dem Krankenhaus. Zuerst wurden 200.000 Euro Minus gemacht, dann 500.000, zuletzt gar 800.000 Euro. In der gleichen Periode türmten sich auch bei der Kirchengemeinde die Schulden. Kurz: Die Evangelischen in Plettenberg konnten sich ihren Krankenhausanteil nicht mehr leisten. Der Verkauf ihrer 49,85 Prozent war beschlossene Sache. In und um Plettenberg wurden die Protestanten zu Buhmännern, erinnert sich der Vorsitzende des Presbyteriums, Dietmar Auner.

Auner: "Es hat viele Meinungsäußerungen kompetenter und weniger kompetenter Menschen gegeben. Wir haben uns zu solchen Vorhaltungen nicht geäußert. Auf diesem Niveau haben wir uns nicht bewegt."

Dietmar Auner ist ein sehr vorsichtiger Zeitgenosse. Seine Worte wählt er mit Bedacht. Umso mehr lässt seine Bemerkung über den emotionalen Faktor der Krankenhaus-Diskussion erkennen, welchen Stellenwert die Debatte in der 30.000 Einwohner zählenden Kommune auf ihrem Höhepunkt vor wenigen Monaten hatte. Pfarrer Erhard Fuchs fühlt sich heute noch zu Unrecht geprügelt, da doch eine Schließung des Krankenhauses zu keinem Zeitpunkt zur Frage stand.

Fuchs: "Und wer sozusagen als spiritus rector einen solchen Prozess in Gang setzt, der wird natürlich in kritischen Phasen eines solchen Prozesses auch besonders in den Fokus genommen und das ist in der Tat geschehen."

Erhard Fuchs kann mittlerweile wieder entspannter in die Tasten greifen. Das Krankenhaus ist nicht nur gerettet, es wächst sich sogar zu einem Modell und Vorbild für andere Kommunen aus – zumindest für solche mit überschaubarer Größe. Die Gemüter haben sich wieder beruhigt, gibt Bürgermeister Klaus Müller, SPD, in seinem Büro im Rathaus zu Protokoll. Am höchsten schlugen die Wellen der Erregung, als Mitte 2006 der Verkauf beschlossen ward und eine Ausschreibung in Gang kam. Zu den Bietern zählte auch der Krankenhauskonzern Rhön-Kliniken, ein börsennotiertes Unternehmen, das schon in der Nachbarstadt Attendorn seit Jahren eine Klinik betreibt. Das Plettenberger Krankenhaus unter einer Rhön-Leitung, so die Ängste der Mehrheit der Bewohner, würde zu einem Satellit verkommen. Doch die Angebote waren wirtschaftlich solide, und die Stadtväter und Mütter hatten alles für den Verkauf in die Wege geleitet. Bis die Plettenberger selbst aktiv wurden, gibt Bürgermeister Müller immer noch etwas erstaunt über die Dynamik der Entwicklung zu.

Müller: "Bis die Diskussion sich noch einmal durch die Plettenberger Initiative verstärkte. Die Plettenberger wollten sich davor schützen, sich von irgendeiner anderen deutschen oder europäischen Stadt fremd bestimmen zu lassen."

Die "Initiative Plettenberger Krankenhaus" wurde gegründet, und nicht nur die einfachen Bürger machten mit und wurden Mitglied für 20 Euro Mindestbetrag. Es meldete sich auch der lokale Mittelstand zu Wort. In den letzten fünf Jahren hatte die Kommune rund 1000 Einwohner durch die so genannte Bildungsabwanderung verloren. Jetzt sollte nicht auch noch ein gewichtiger Standortfaktor kampflos gestrichen werden.

Müller: "Und vor diesem Hintergrund ist es natürlich wichtig, dass sich die Leute ortsnah behandeln lassen. Das ist wichtig für die Industrie aber auch als Wirtschafsfaktor überhaupt, dass in einer ländlichen Region eine Akutklinik vorhanden sein muss."

Der finanzstarke Plettenberger Mittelstand gilt als ausgesprochen selbstbewusst. Vor allem in der Metallverarbeitung und der Automobil-Zuliefer-Industrie ist Plettenberg seit Jahrzehnten eine Adresse. Das Städtchen zählt nur bescheidene sechs Prozent Arbeitslosenquote und Dinge des öffentlichen Lebens nehmen die lokalen Industriellen durchaus auch in die eigenen Hände. So auch jetzt beim großen Coup um das Krankenhaus. Der Bärenanteil zum Erwerb des "evangelischen Anteils" an der Klinik stammt von der "Reinhold-Mendrizki-Stiftung", die rund 1,3 Millionen Euro zum Erwerb bereitstellte. Die Stiftung aus dem Hause des gleichnamigen Stahl verarbeitenden Unternehmens und die Bürgerinitiative zusammen sind nun zu neuen Partnern der Stadt geworden. Die Klinik bleibt in kommunaler Hand und die Wirtschaftlichkeit scheint für die Zukunft gesichert. So viel Wertschätzung wurde dem Krankenhaus lange Jahre gar nicht zuteil, erinnert sich Bürgermeister Müller.

Müller: "Also in der Vergangenheit war es schon so, dass hohe Patientenquoten am Krankenhaus vorbei von den niedergelassenen Ärzten überwiesen wurden. Das hat verschiedene Gründe. Es ist wie mit dem verschmähten Kind. Wenn man merkt, es will das Haus verlassen, kämpft man darum, es zu halten. Es ist wichtig, eine Akutklinik vor Ort zu haben, denn im Zweifel liegt der Vorteil dann auch bei den entsprechenden Ärzten."

Mehr als die Hälfte der 2005 in Kliniken eingewiesenen Plettenberger landeten tatsächlich nicht in Plettenberg, sondern in Lüdenscheid, Attendorn oder Siegen. Das hat etwas mit den Spezialgebieten anderer Häuser zu tun, aber nicht nur. Viele niedergelassene Ärzte in Plettenberg haben in der Vergangenheit regelmäßig ihre Patienten nach "Auswärts" eingewiesen. "Wer nach Lüdenscheid überweist, nimmt die Krankheit seines Patienten ernster", heißt ein Bonmot eines Plettenbergers, der lieber nicht genannt werden möchte.

Dr. Michael-Alexander Reinke hat ab sofort eine besondere Verbindung zum Plettenberger Krankenhaus. Der Unfallchirurg mit eigener Praxis gehört zu den 37 von 40 "Niedergelassenen" in der Stadt, die einen Integrationsvertrag mit der Klinik unterzeichnet haben. Ein Kontrakt auf Gegenseitigkeit.

Reinke: "Wenn jetzt ein Unfall eingeliefert wird, ich habe da gerade das Beispiel eines Mädchens, das vor einem Monat verunglückt war, die ist nun aus der Klinik entlassen worden. Die schickt jetzt das Krankenhaus zu mir, denn die Nachbehandlung im Krankenhaus ist teurer als die beim niedergelassenen Arzt."

Ein so genanntes "Konsiliar-Honorar" bekommen Reinke und seine Kollegen in Plettenberg, wenn sie die Kundschaft des Krankenhauses nachbehandeln. Dafür schicken sie nun ihre Patienten zu aller erst ins örtliche Krankenhaus und sorgen somit für entsprechende Fallzahlen, die die Klinik braucht, um wirtschaftlich zumindest eine schwarze Null schreiben zu können.

Reinke: "Wir haben also versucht dieses Krankenhaus nicht an eine Aktiengesellschaft zu verkaufen. Wir haben das verhindert. Und wollen nun in Eigenregie zusammen mit der Stadt und das sind wir, die Bürger der Stadt, das Krankenhaus sanieren und versuchen zu erhalten."

Das große "Wir-Gefühl" in Plettenberg sorgte für Aufsehen. Kommunalpolitiker und Journalisten aus der ganzen Republik interessierten sich für das "Modell-Plettenberg". Und die Lokalpresse hatte Stoff für ein ganzes Jahr.

Hassel: "Dann geht man an der linken Spalte unter Zeitungsarchiv, dann Krankenhaus, dann Lokalausgabe… und dann Go! – Und bekommt dann alle Krankenhausartikel. Das sind bis jetzt 1519."

Horst Hassel, Lokalredakteur der Westfälischen Rundschau, hat ein anstrengendes Jahr hinter sich. Das Thema bescherte dem Blatt weit über 1000 Leserbriefe. Am deftigsten waren die Zuschriften, als mitten im Bieterverfahren ein schwedisches Unternehmen aussichtsreich im Rennen lag. "Das fehlte noch", so der Tenor vieler Briefeschreiber, "dass wir uns von ausländischen Mächten die ortsnahe Gesundheitsversorgung nehmen lassen." Die Ratsmitglieder blieben nicht unbeeindruckt. Die Dynamik der Entwicklung hatte einen Kursschwenk verursacht, bevor die Politik ihn auf den Weg gebracht hatte.

Hassel: "Also ich denke, dass vielen Ratsmitgliedern klar war, dass die nächste Wahl und das Ergebnis der Wahl sehr davon abhängt, wie das Ergebnis – pro oder contra Krankenhaus – ausfällt."

Die entscheidende Trumpfkarte im Kampf um die Klinik spielten letztlich die heimischen Unternehmer. An deren Spitze stand Reinhold Mendrizki mit seiner gleichnamigen Stiftung, die 1,3 Millionen Euro zum Erwerb des Kirchenanteils der evangelischen Gemeinde bereitstellte. Geschäftsführer der Stiftung und des Unternehmens Mendrizki ist Ernst Kostewitz. Und der nennt frank und frei einen zweiten, durchaus eigennützigen Grund neben der noblen Tat, warum die Metall verarbeitenden Unternehmer Plettenbergs ihr auf Unfälle spezialisiertes Krankenhaus unbedingt in Eigenregie erhalten wollten.

Kostewitz: "Für uns steht fest: es soll ein Krankenhaus der Grundversorgung bleiben. Was uns sehr wichtig ist: Es ist ein anerkanntes Unfall-Krankenhaus seitens der Berufsgenossenschaft. Das ist für uns als Metall verarbeitende Unternehmer sehr wichtig. Wir wollen kurze Wege für die Plettenberger Bürger erhalten und keine langen Fahrten."

Der "Fall Plettenberg" könnte in Zeiten knallharten Überlebenskampfes der rund 2200 deutschen Kliniken Nachahmer finden. Millionenstädte sind weniger geeignet, ihre Häuser durch Bürgerinitiativen und spendable Unternehmer aus den roten Zahlen zu führen, wohl aber Mittel- und Kleinstädte, in denen "man sich noch kennt", findet Unfallchirurg Reinke. Und Walter Stahlschmidt, der Vorsitzende des "Fördervereins Krankenhaus Plettenberg", sieht den Erfolg des Bürgerwillens auch in einer gehörigen Portion Heimatbewusstsein begründet.

Stahlschmidt: "Es war natürlich genau wie bei den Unternehmern, die eine gehörige Portion Geld zur Verfügung gestellt haben, eine ordentliche Portion Lokalpatriotismus im Spiel. Und der Gesichtspunkt: das wollen wir doch mal sehen, ob wir das nicht schaffen!?"

Und Stiftungsgeschäftsführer Ernst Kostewitz will im Plettenberger Lokalpatriotismus sogar echte sauerländische Tugenden entdeckt haben.

Kostewitz: "Die sauerländische Mentalität ist eine recht robuste, bodenständige. Eine nachhaltige Willenstärke. Kein Laissez faire, sondern: wenn er sich um was kümmert, dann nimmt er das mit aller Kraft in die Hand und das ist hier auch zum Ausdruck gekommen."