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Matthias Spielkamp im Gespräch mit Christine Watty · 12.03.2013
Wer autoritäre Staaten kritisiert, muss mit Zensur und Verfolgung rechnen. Um das Web nach unliebsamen Inhalten zu durchforsten, nutzen die Machthaber neueste Technologien. "Reporter ohne Grenzen" setzt eine Plattform dagegen, auf der zensierte Texte doch noch erscheinen können.
Christine Watty: Der Welttag gegen Internetzensur, der heute ist, ist ein noch ziemlich junger Jahrestag: Zum fünften Mal wird damit auf die weltweit zunehmende Internetzensur und Repression gegen Blogger und Internetnutzer aufmerksam gemacht. Neben dem theoretischen Erinnern hat sich die Organisation Reporter ohne Grenzen – Initiatorin dieses Tages – aber auch ein praktisches Onlinewerkzeug ausgedacht, um was gegen die Zensur weltweit zu tun, und zwar die Website www.wefightcensorship.org.

Die ist dafür da, jegliche zensierte Inhalte zu veröffentlichen, also Artikel, Fotos oder Videos. Der Autor wird anonymisiert, soweit das sein muss, der Text in Originalsprache veröffentlicht, plus kontextualisierende Anmerkungen für ein besseres Verständhrisnis, was da überhaupt warum zensiert wurde.

Über diese Website und die Verbreitung von Internetzensur im Allgemeinen spreche ich jetzt mit Matthias Spielkamp vom Vorstand von "Reporter ohne Grenzen" Deutschland. Herr Spielkamp, heute erscheint der neue Bericht über Internetzensur, und die traurigen Top Five sind China, Iran, Vietnam, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate. Was tun denn diese Länder gegen eine freie Berichterstattung in einem freien Internet?

Matthias Spielkamp: Das ist natürlich sehr unterschiedlich bei den verschiedenen Ländern und hat auch unterschiedliche Härtegrade, wenn man so will. Also wer die Situation in Syrien ein bisschen verfolgt hat, und da kommt man ja im Grunde genommen nicht drum herum, da wird einerseits eben versucht, das Internet so zu überwachen, dass man tatsächlich mitbekommt, sprechen Dissidenten oder Aktivisten, Journalisten jetzt mit Ausländern, sprechen sie untereinander, über welche Themen? Wenn man dann rausfinden kann, dass das etwas ist, was der Regierung nicht gefällt, dann kann es passieren, dass die Leute verhaftet, gefoltert werden, vielleicht sogar verschwinden.

An anderen Stellen ist es so, dass sich vielleicht die Menschen nicht gleich davor fürchten müssen, verhaftet und eingesperrt zu werden, aber zumindest verhört zu werden, in einem Land wie Bahrain etwa, wo die Regierung eben auch Spionagesoftware einsetzt – zumindest vermuten wir das – die auf den Geräten von Menschen installiert wird, also etwa auf einem Smartphone, und dann mitschneiden kann, welche E-Mails schreibt man, welche SMS schreibt man und dergleichen mehr. Also welche verschiedenen Mittel die Länder ergreifen, ist eben auch unterschiedlich, aber es ist so, dass sie alle versuchen, den freien Fluss der Informationen im Netz zu unterdrücken.

Watty: Das sind alles Zensurfälle, die von den Regierungen der Länder ausgehen oder drohen auszugehen, Sie haben diesmal aber auch Firmen mit auf die Liste gesetzt, die quasi dabei helfen, dass Regierungen das Netz besser überwachen können. Was tun denn diese Firmen?

Lohnendes Geschäft für Software-Hersteller
Spielkamp: Ein prägnantes Beispiel ist der Hersteller Gamma, das ist eine britisch-deutsche Firma, die stellt nämlich genau solche Software her, mit der tatsächlich die Smartphones und die Tablet-Computer von Leuten überwacht werden können. Und an anderen Stellen ist es dann eben so, dass diese Firmen Technologie herstellen, mit der insgesamt das Netz überwacht werden kann, also etwa rausgefunden werden kann, wann bestimmte Schlüsselbegriffe in Unterhaltungen genannt werden. Auch da können das Unterhaltungen per E-Mail sein, oder es können Unterhaltungen per Internettelefonie oder anderes sein.

Watty: Man könnte dann ja aber auch sagen, diese Firmen, die reiben sich natürlich die Hände, tolle neue Geschäftsmodelle haben die aus der Entwicklung der digitalen Welt zaubern können, und die Bösen sind die Auftraggeber, also die Regierungen. Aber Reporter ohne Grenzen hat vor Kurzem gegen zwei dieser Firmen mit Menschenrechtsorganisationen eine offizielle Beschwerde bei der OECD eingelegt. Mit welcher Begründung gegen die Firmen gerichtet und nicht gegen deren Auftraggeber?

Spielkamp: Wir sagen natürlich, dass solche Technologie nicht in Länder exportiert werden sollte, in denen wir davon ausgehen müssen, dass die demokratischen Kontrollen einfach nicht funktionieren, und das ist natürlich bei Ländern wie Syrien so, das ist aber auch bei Ländern wie Bahrain so. Man kennt die Diskussionen ja auch aus den klassischen Kriegswaffengeschäften: Werden Panzer nach Saudi-Arabien geliefert oder nicht? Nur, der Unterschied ist eben bei den Dingen, die bis jetzt als Kriegswaffen klassifiziert sind, da gibt es sogenannte Exportkontrollen, das heißt, da gibt es auch ein Gesetz, was darüber bestimmt, dass bestimmte Dinge eben genehmigt werden müssen vor der Ausfuhr, und das gibt es bei diesen Überwachungs- und Zensurtechnologien nicht, und da sagen wir, da sind aber selbstverständlich auch die Unternehmen gefordert. Dass die sich da rausreden und sagen, na, ist nicht unser Bier, das ist schön und gut, aber dabei müssen wir es ja nicht belassen.

Watty: Am Welttag der Internetzensur sprechen wir mit Matthias Spielkamp von Reporter ohne Grenzen, und wir schauen jetzt auf die Seite wefightcensorship.org, die initiiert wurde von Reporter ohne Grenzen, seit Ende des letzten Jahres in Betrieb ist. Und diese Seite gibt die Möglichkeit, zensierte Inhalte, Videos, Audios, Artikel dort hochzuladen, und mithilfe dieser Seite quasi neu zu verbreiten. Woher kommen diese Artikel und wie garantieren Sie dort dann Anonymität?

Spielkamp: Na, das ist ein komplizierter Prozess. die Artikel kommen zum Teil dadurch zustande, dass die Menschen, die selber zensiert werden in ihren Ländern, Informationen an uns schicken. Und dann kann man sich anschauen, ob das veröffentlichungswert ist. Es kann aber auch sein, dass die Rechercheure von Reporter ohne Grenzen irgendwo Themen oder tatsächlich spezielle Artikel identifizieren – es können auch Fernsehbeiträge sein, von denen sie sagen, die müssten hier eigentlich gezeigt werden, werden aber nicht gezeigt, und die stellen wir dann auf die Website. Und Anonymität muss zum Beispiel gar nicht immer garantiert werden, denn es gibt durchaus Journalisten, die ihre Geschichten öffentlich machen wollen und da auch dazu stehen mit ihrem Namen, vielleicht sogar gar nichts zu befürchten haben, dass sie dann eben gefoltert oder eingesperrt werden, sondern eben nur einfach nicht veröffentlichen können. Und denen helfen wir dann dabei über diese Website.

Watty: Oder ich fragte nach der Anonymität, weil tatsächlich könnte es doch sein, dass ein zensierter Artikel dann wiederum auf der Seite auftaucht, aber dann gefunden wird eben auch von Leuten, Regierungen, die eben diese Journalisten zum Beispiel bedroht haben, weil die versucht haben, mit gewissen Hintergründen an die Öffentlichkeit zu geraten, das könnte man im Internet ja dann relativ schnell nachvollziehen.

Durchschnittlich eine Geschichte pro Woche
Spielkamp: Also es gibt die Fälle, bei denen die Autoren keinen Wert auf Anonymität legen, sondern für die es nur wichtig ist, veröffentlichen zu können. Es gibt aber auch die Fälle, die Sie nennen, und da ist es so, dass Reporter ohne Grenzen natürlich einen ziemlichen Aufwand treiben muss. Uns ist bekannt, wer die Quelle ist, das heißt, wir akzeptieren keine Informationen, bei denen wir nicht wissen, woher die kommen, aber wir überprüfen dann eben ausführlich, ob das alles glaubwürdig und verlässlich ist, und es kann dann eben auch sein, dass wir das auf dieser Seite wefightcensorship.org anonym veröffentlichen, sodass eben nicht nach außen dringt, wer die Informationen uns zugespielt hat.

Watty: Das heißt, da sitzt auch ein relativ großer Pool an Leuten oder eine Redaktion da, die dann auch wirklich versucht, diese Seriosität der Geschichten zu überprüfen?

Spielkamp: Also das funktioniert so, dass diese Stelle bei uns im internationalen Sekretariat in Paris angesiedelt ist, und es gibt tatsächlich im Moment eine Person, die da das Projektmanagement macht. Das hört sich natürlich jetzt so an, als könnte der das überhaupt nicht schaffen, aber er kann natürlich auf den Pool der Reporter-ohne-Grenzen-Rechercheure und -Korrespondenten zurückgreifen, und davon haben wir eben mehr als 30 in der ganzen Welt, die dann natürlich dabei helfen, diese Informationen dann auch wasserdicht zu machen.

Watty: Wie kann denn Reporter ohne Grenzen dann weiterhelfen? Dann sind einerseits diese Geschichten an die Öffentlichkeit gebracht und verbreiten sich dann, wenn es gut läuft, quer durch die Welt weiter, aber was passiert mit den Journalisten, die zum Beispiel bedroht werden? Hat Reporter ohne Grenzen dann da auch eine Hilfsstelle quasi?

Spielkamp: Es gibt das, das ist jetzt aber nicht unbedingt direkt mit dieser Seite wefightcensorship.org verbunden. Es gibt einfach die Nothilfe von Reporter ohne Grenzen, an die sich Journalisten wenden können, die in ihren Heimatländern bedroht sind, deren Familien bedroht sind, die aus anderen Gründen entweder finanzielle Hilfe brauchen, gegen Gerichtsverfahren oder wegen Gerichtsverfahren, die vielleicht medizinische Hilfe brauchen oder die im schlimmsten Fall eben sogar ausreisen müssen. Da gibt es das Nothilfeprogramm, das steht aber allen Leuten offen, also allen Journalisten offen, die sich da hinwenden wollen, das ist jetzt nicht auf diejenigen beschränkt, die zum Beispiel mal was für diese Website eingereicht haben.

Watty: Kommen wir auf eine konkrete Geschichte, die man auf wefightcensorship.org gerade finden kann, die stammt aus Japan, und sie dreht sich um einen Journalisten, der über Atomkraft geschrieben hat und jetzt zu einer horrenden Geldstrafe verurteilt wurde. Was ist da passiert?

Spielkamp: Ja, das ist eine ziemlich schlimme Geschichte, finde ich. Das muss man auch aus unserer Perspektive aus Deutschland so sagen, denn man denkt natürlich jetzt erst immer mal, Japan ist eine ziemlich offene Gesellschaft mit demokratischen Verfahren und so weiter. Und dieser Minoru Tanaka, der freier Journalist ist, der hat viel Investigativberichte über die Atomenergiebranche geschrieben, und er hat eben vor Kurzem einen Artikel veröffentlicht, in dem er den Chef einer Firma, die Sicherheitssystem für diesen Atomstromkonzern Tepco herstellt – das ist der, den, glaube ich, inzwischen in Deutschland auch sehr viele Leute aus den Nachrichten kennen, weil die eben diese Atomkraftwerke betreiben, die in so große Schwierigkeiten geraten sind –, dass dieser Mensch eben mithilfe seiner politischen und wirtschaftlichen Kontakte tatsächlich illegale Gewinne gemacht hat, wenn man das mal so nennen will, also Bestechung würde man vielleicht einfach sagen, Vorteilsnahme, wie auch immer. Und der ist jetzt von diesem Manager, den er da beschreibt, auf 600.000 Euro Schadensersatz verklagt worden wegen angeblicher Verleumdung. Und das ist natürlich eine Summe, die wird der in seinem Leben nicht bezahlen können, das heißt, das ist eine massive Bedrohung seiner journalistischen Freiheit.

Watty: Jetzt ist diese Geschichte veröffentlicht worden. Und was ist jetzt mit ihm, haben Sie auch zu ihm direkt Kontakt und können Sie ihm helfen?

Anderer Ansatz als bei Wikileaks
Spielkamp: Also ich persönlich habe keinen Kontakt zu ihm, aber diejenigen, die die Website betreiben, haben Kontakt zu ihm, vor allen Dingen eben über unsere Korrespondentin in Japan. Und die berichtet uns, dass – sagen wir mal so – er sehr glücklich darüber ist, dass auf der Website darüber berichtet wurde, weil in Japan offenbar auch ein System herrscht, in dem freie Journalisten vergleichsweise wenig Anerkennung und Rechte genießen, also Rechte nicht unbedingt vor dem Gesetz, aber die sind nicht in bestimmten Journalistenvereinigungen zugelassen und dergleichen mehr. Und in Japan wird dieser Fall wohl einigermaßen totgeschwiegen, das heißt, da passiert nicht viel. Und er sagt, allein die Tatsache, dass jetzt einige internationale Medien über den Fall berichtet haben, gibt ihm da schon Hoffnung und Unterstützung, dass da ein gewisser Druck aufgebaut werden kann. Aber das Verfahren läuft, und wir wissen noch nicht, wie es ausgehen wird. Es kann sein, dass er am Ende zu dieser Geldstrafe verurteilt wird.

Watty: Die Resonanz auf www.wefightcensorship.org ist noch übersichtlich, es ist auch erst seit Ende des letzten Jahres aktiv, es gibt jetzt rund ein Dutzend, ein bisschen mehr, Einträge. Schauen wir mal kurz auf Wikileaks, das ist aus anderen Gründen nicht mehr wirklich aktiv, aber dennoch, das Konzept macht alles transparent, und dann ändert sich was in der Welt scheint sich trotzdem immer nur so kurzfristig durchzusetzen. Wie viel Hoffnung stecken sie nun in die Seite wefightcensorship.org?

Spielkamp: Es ist ganz klar ein Experiment für uns. Das heißt, wir müssen natürlich sehen, wie sich das entwickelt. Der Ansatz ist ja ein anderer als Wikileaks, wir sagen ja, die Sachen, die bei uns veröffentlicht werden, die sind eben vorher von uns überprüft, und wir hoffen, dass wir damit dann auch zu einer sehr hohen Glaubwürdigkeit beitragen und dazu, dass das vielleicht auch ein bisschen mehr Einfluss gewinnt. Das braucht aber Zeit, die Geschichten müssen kontrolliert, die müssen überprüft werden. Wir hoffen, dass wir jetzt in Zukunft ungefähr eine Geschichte pro Woche veröffentlichen können. Das haben wir bis jetzt noch nicht ganz geschafft, aber ich glaube, es sind 13 Geschichten, und seit November ist das eben erst aktiv, das braucht eine Zeit, um anzulaufen.

Watty: Danke schön an Matthias Spielkamp, Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen. Die Organisation hat sowohl den heutigen Welttag gegen Internetzensur ins Leben gerufen wie auch die Seite wefightcensorship.org.


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Weitere Infos im Netz:

We fight Censorship - Neue Website von "Reporter ohne Grenzen"
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