Plastikmüll und Recycling

Hilft das neue Verpackungsgesetz gegen die Plastikflut?

Ein Supermarktregal mit Plastikverpackungen. Davor geht ein grauhaariger Mann mit einem Einkaufswagen.
Plastik- und Einwegverpackungen im Supermarktregal: Ihr Anteil ist zu hoch, kritisieren Experten. © picture alliance / Keystone / Jochen Zick
Von Jan-Uwe Stahr · 07.01.2019
Zu Jahresbeginn trat es in Kraft: Das neue Verpackungsgesetz verlangt deutlich mehr Wiederverwertung und soll Einweghüllen und -behälter reduzieren. Kritiker sehen in der Regelung nur eine neue Verpackung - für weiterhin zu wenig Umweltschutz.
Die Wolken hängen tief. Die Nordsee hat sich zurückgezogen, bis an den Horizont. Kalt und feucht erstreckt sich das Wattenmeer vor Sankt Peter Ording. Kein schöner Tag für eine Wanderung zwischen Salzwiesen, Sandbänken und Prielen.
Doch Jennifer Timrott will hier etwas zeigen: Strandgut, dass die Nordsee mit jeder Flut heranspült:
"Plastikflaschen, Badelatschen. Das ist offensichtlich eine Fleischsoße aus den Niederlanden. Das war eine chinesische Flasche …"
Plastikmüll. Wohin man auch schaut. Reste von Fischernetzen, Einweg-Rasierer, kleine, undefinierbare Plastikschnipsel. Und immer wieder: Kunststoff-Verpackungen, aus Holland, aus China, aus Deutschland.
"Das ist auch irgendwie eine Lebensmittel-Verpackung. Hier hat man noch etliche Süßigkeiten, würde ich annehmen, nee – Snack-Tomaten."

Müllsammlung nur an den Badestränden

An den öffentlichen Badestränden sammelt die Gemeinde den Müll aus dem Meer täglich weg. Doch hier, in den abgelegenen Salzwiesen und Vogelschutzgebieten, schafft sie es nicht. Vor fünf Jahren hat die gelernte Krankenschwester einen Verein gegründet: "Küste gegen Plastik". Regelmäßig organisiert sie freiwillige Müllsammlungen im Watt vor Sankt Peter Ording. Das Engagement der Bürger ist groß. Doch ihr Kampf gegen die Flut aus Plastikmüll ist nicht zu gewinnen. Denn das Meer ist voll davon. Und - das Material verrottet einfach nicht.
Plastik verrottet einfach nicht: Jennifer Timrott von "Küste gegen Plastik" am Strand.
Plastik verrottet einfach nicht: Jennifer Timrott von "Küste gegen Plastik" am Strand.© Grenzgänger Journalistenbüro / Anja Schrum
"Ja, das ist auch eine schöne Ansammlung von gruseligen Sachen: ein riesiger Jogurt-Eimer ist hier. Ja, das sieht aber auch sehr, sehr alt aus: 'Piz Buin' Sonnenmilch, weil da ist, da ist noch gar kein Barcode darauf. Also das würde ich hier für eine echte Antiquität halten."
Jennifer Timrott packt die alte Sonnenmilch-Flasche ein. Ein Erinnerungsstück, vermutlich aus den 60er Jahren, der Frühzeit des Plastik-Booms.
Die Chemie hat mit den Kunststoffen, den Polymeren die Welt verändert. Hat sie bunter gemacht, praktischer, auch die Verpackungen: Von Obst und Gemüse bis zu Autos - unzählige Produkte werden heute in Plastik verpackt. Hinter den Kunststoffen steht eine mächtige Industrie. Auch in Deutschland: 3300 Unternehmen mit rund 400.000 Arbeitnehmern. Haupteinsatzgebiet für das Material aus Erdöl: Verpackungen. Über drei Millionen Tonnen pro Jahr allein in Deutschland,die nach kurzem Gebrauch zu Abfall werden, der eingesammelt, entsorgt oder verwertet werden kann, aber doch vielerorts in die Umwelt gerät. Irgendwann im Meer landet und dort bleibt, über Jahrzehnte, Jahrhunderte sogar. Das Überraschungsei zum Beispiel: Spaß für wenige Minuten. Im Meer erhält es sich geschätzte 400 Jahre.

Neues Verpackungsgesetz soll Kreislaufwirtschaft stärken

Seit einigen Jahren hat die Plastikmüllflut auch das öffentliche Problembewusstsein erreicht. Als globale Umweltkatastrophe, gleichauf mit der Klimakrise. Dramatische Berichte aus aller Welt, Protestaktionen. Die Reaktionen: Maßnahmen-Kataloge aus der Politik, EU-Verordnungen, freiwillige Vereinbarungen mit der Industrie, neue Nationale Gesetze. Wie jetzt das neue Verpackungsgesetz, in Kraft getreten am 1. Januar. Es soll das Recycling von Kunststoffen deutlich erhöhen, die Kreislaufwirtschaft stärken. Abfall zu Rohstoff, dem Plastik ist der Kampf angesagt. Doch die Interessen der Beteiligten sind sehr unterschiedlich
Thomas Reiner: "Wenn Sie sich angucken, mit wie wenig Material wir Produkte schützen können, wenn Sie sehen, wie wenig Kraft wir aufwenden müssen, um etwas formstabil zu halten, wenn Sie sehen, wie sie einen Kunststoff dehnen können – also das ist schon so ein Multi-Talent, der Kunststoff."
So sieht es Thomas Reiner, ein Verpackungsentwickler.
"Wenn man im Supermarkt in der Obst- und Gemüseabteilung steht und sieht, dass 63 Prozent des Obst und Gemüses in Plastik und Pappe vorverpackt sind – das ist die aktuelle Zahl, die es dazu gibt – dann wird offenkundig, dass wir ein Problem haben und das zu viele unnötige Abfälle anfallen", sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe.
Und Gerhard Kotschik vom Umweltbundesamt stellt fest:
"Es nehmen so gut wie auf dem ganzen Markt die Verpackungsgewichte ab. Es werden Materialien von Verpackung eingespart und trotzdem haben wir einen Anstieg bei den Verpackungen, weil mehr Nahrungsmittel und Getränke verkauft werden."
Einige Plastikverpackungen müssen verboten werden, fordert der Manager eines Entsorgungsunternehmens:
"Ich halte das für zwingend erforderlich, dass wir Regulierungen finden, die den Einsatz von Kunststoffen insbesondere in dem Einmalgebrauch drastisch reduzieren."
Es muss mehr Kunststoff recycelt werden, fordert das neue Verpackungsgesetz, Verbote gibt es dort bisher nicht.

Wertvoller Verpackungsmüll zu DDR-Zeiten

"Hamse nicht noch Altpapier? Flaschen, Gläser oder Schrott? Klingelingeling, schnell geben Sie es mir! Sonst holt's sich die FDJ" (Lied aus der DDR)
Eine DDR-Mark pro Kilogramm Thermoplaste: Das bezahlte die staatliche Sekundär-Rohstoff-Verwertung SERO den Bürgern. Die Kunststoff-Verpackungen waren damals so selten wie wertvoll. Mit der Wiedervereinigung brach die SERO zusammen. Gleichzeitig rollte eine Flut heran, mit aufwendig verpackten Konsumgütern aus dem Westen. Zuviel für die kleinen Mülltonnen und Deponien der ehemaligen DDR.
Aber auch in den alten Bundesländern gab es längst Probleme, erinnert sich Günther Dehoust, Abfallexperte beim Ökoinstitut:
"Die Deponien waren voll. Müllverbrennungsanlagen waren wenig akzeptiert. Dann hat man gesagt, man muss zu mindestens einmal die Verpackungsabfälle, die stark zugenommen hatten, die ein großes Volumen ausmachten und auf der Deponie auch sehr viel Platz wegnehmen, die wollte man quasi dem Verursacher zur Behandlung geben."
Der erste gesamtdeutsche Umweltminister, Klaus Töpfer, musste reagieren. Erstmalig setzte er beim Verpackungsmüll konsequent ein Prinzip durch, das im Abfallgesetz längst angelegt war: Das Verursacherprinzip, erklärt Günther Dehoust:
"Das muss man ganz klar sagen, das war von Töpfer ein sehr geschickter Schachzug damals: Er hat gesagt: Ihr müsst dieses Problem lösen. Ihr entscheidet selbstständig wie ihr das löst. Das bleibt euch überlassen. Aber ihr müsst das Problem lösen. Dann gab es das Druckmittel: Wenn ihr kein eigenes System aufbaut, dann dürfen die Bürger die Materialien zurück in die Läden bringen. Das wollte niemand, das war klar."

Erste Verpackungsverordnung führt zu Dualem System

1991 wurde die sogenannte Verpackungsverordnung verabschiedet. Sie forderte, dass sich die Verpackungshersteller nicht nur um das Einsammeln der Verpackungsabfälle kümmern müssen. Sondern auch um deren - zumindest teilweise - Wiederverwertung. Die Wirtschaft war gezwungen, dafür ein entsprechendes System aufzubauen. Das sogenannte Duale System.
Gelbe Säcke stehen an einem Grundstück zur Abholung bereit am 11.03.2014 in Sieversdorf (Brandenburg).
Gelber Sack, gelbe Tonne und der Grüne Punkt: Für das Duale System war besonders Plastik eine Herausforderung.© picture-alliance / dpa / Patrick Pleul
Günther Dehoust: "Das Problem beim Dualen System war, dass man nur in Bezug auf einige Wertstoffe wie Glas, Papier und einigen Metallen auf bestehende Recyclingsysteme bauen konnte. Für Kunststoffe musste man sowohl das Sortieren als auch das Recycling von null aufbauen."
So wurde 1991 zum Geburtsjahr für die gelbe Tonne, dem gelben Sack und dem Grünen Punkt. Und zum Startpunkt für den rasanten Aufstieg einer privatwirtschaftlichen Entsorgungs- und Recyclingbranche.
"Rund 400 Tonnen Kunststoff-, Verbund-, Metall- und Aluminiumverpackungen kann die Anlage täglich verarbeiten. Zunächst wird das Material gelockert dann nach Größe und Fraktionen sortiert ...", so heißt es in einem Werbevideo der Alba-Group, einem der größten Unternehmen und Technologie-Führer in der Recyclingbranche. Mit modernsten Anlagen sortiert und verarbeitet man hier Verpackungsabfälle.
"Hightech ist auch die eingesetzte Infrarottechnik. Sie erkennt die Zusammensetzung diverser Kunststoffarten: PET, Polyethylen, Polystyrol und Polypropyläen landen so auf jeweils getrennten Bändern." (Alba-Werbevideo)

Boom für die Recycling- und Entsorgungsbranche

Von einem lokalen Berliner Familienbetrieb entwickelte sich das Unternehmen zu einem international agierenden Konzern mit Milliardenumsatz. Aber nicht nur Alba, sondern die gesamte private Entsorgungs- und Recyclingbranche erlebte seit den 1990er-Jahren einen sagenhaften Boom: Wurde über Jahre zur stärksten Wachstumsbranche in Deutschland - mit zweistelligen Wachstumsraten - und machte den Handel mit Altplastik aus Haushalten und Gewerbe zu einem weltweiten Geschäft.
Der Industrie-Hafen in Bremen: Sitz der Firmenzentrale von Nehlsen, der Nummer drei unter den großen deutschen Entsorgern. Geschäftsführer Hans-Dieter Wilcken hat sich Helm und Warnjacke übergezogen für einen Rundgang über den Betriebshof. Große Ballen aus gepresster Pappe und Plastik stapeln sich dort, fertig zur Verladung. Alles Verpackungen aus Industrie und Gewerbe, sagt Wilcken:
"Wir stellen Container auf bei den Kunden selbst. Und in einen zweiwöchigen, vierwöchigen Rhythmus, wie auch immer das vereinbart ist mit den jeweiligen Kunden, holen wir das Material ab, fahren es zu unseren Betriebshof wir in Bremen. Dort werden die Materialien gesichtet, gegebenenfalls sortiert und zu Ballen verpresst."
Gut 50 Prozent aller Verpackungsmaterialien fallen in Gewerbe und Industrie an. Wilcken zupft an einem der gepressten Folienballen. "98-2", sagt er. Die reinste Qualität, die bei Nehlsen sortiert wird, zu 98 Prozent transparente Materialien.
Daraus lassen sich problemlos neue Folien und verschiedene andere Produkte herstellen. Entsprechend gut sind sie zu verkaufen, an Verwerter in Deutschland zumeist. Aber auf dem Betriebshof stapeln sich auch andere, minderwertigere Qualitäten, erklärt Hans-Dieter Wilcken:
"In dem Moment, wo sie schwarze oder stark eingefärbte Folien haben, haben Sie natürlich bei der Mischung, wenn Sie ein neues Produkt herstellen wollen, eine Grundfarbe dran, die natürlich störend ist. Nichtsdestotrotz werden diese Folien verarbeitet in bestimmten Maßen."
In den vergangenen Jahren ließen sich die minderwertigen Qualitäten problemlos verkaufen, vor allem nach China. Man kaufte und sortierte vor Ort, mit billigen Arbeitskräften, so Hans-Dieter Wilcken:
"Man kann sich das praktisch schon so vorstellen, dass sehr viele Materialien, die nach China geliefert worden sind, dort manuell, das heißt von vielen kleinen Menschen-Händen auseinander sortiert worden sind."
Einen Großteil der angeblichen Wertstoffe aus den - um die halbe Welt transportierten Plastikabfällen – konnten aber auch die Chinesen nicht mehr gebrauchen, sagt Hans-Dieter Wilcken:
"Störstoffe, die nicht verwendet werden konnten, die sind dann auf Deponien gelandet oder eben gerade auch nicht auf Deponien, sondern in der Umwelt verblieben sind, was dazu geführt hat, dass die Behörden in China gesagt haben: diese Materialien wollen wir nicht mehr importieren."

Chinas Altplastik-Import schockt Entsorgungswirtschaft

China will seine Umweltprobleme nun gezielt angehen, auch beim eigenen Plastikmüll. Deshalb baut man jetzt eigene Sammel- und Recyclingsysteme auf. Und verhängte vor genau einem Jahr einen Importstopp für Altkunststoffe, ein Schock für die Entsorgungsbranche in ganz Europa, denn es geht um fast eine Million Tonnen pro Jahr. Material, das sich nun auf ihren Betriebshöfen aufstaute, zu riesigen Bergen. Doch inzwischen hat man Alternativen gefunden: In Malaysia, Vietnam, Indonesien, Ländern, die genug Probleme haben mit eigenen Plastikabfällen - und fragwürdige Alternativen in der Heimat.
"Der Rückstau wird dadurch abgebaut, dass minderwertige Sorten, die vorher verwertet worden sind, nicht mehr verwertet werden, sondern verbrannt werden", sagt Hans-Dieter Wilcken.
Unter Umwelt- und Nachhaltigkeit-Gesichtspunkten ist die sogenannte thermische Verwertung nur eine Notlösung. Sie erzeugt zusätzliche CO2-Belastungen und produziert große Mengen schadstoff-belasteter Asche. Deshalb verlangt das neue Verpackungsgesetz, das jetzt in Kraft getreten ist, mehr Recycling statt Verbrennung. Ab jetzt müssen 58,5 Prozent und ab 2022 sogar 63 Prozent aller eingesammelten Kunststoffabfälle stofflich verwertet werden. Das heißt, für neue Plastikprodukte.
"Diese Anforderung ist nicht ganz einfach. Was uns fehlt, in der Kette mit Versorgung von Recycling-Materialien generell, ist der Wille der Industrie, genau diese Kunststoffe, die nicht diesen hohen Reinheitsgrad wie neue Ware haben, um mehr einzusetzen."
Wilckens Vorschlag als Verbandssprecher der Entsorgungswirtschaft: Die Industrie muss zum Einsatz von Recyclingkunststoffen verpflichtet werden., am besten per Gesetz. Doch das hat der Gesetzgeber bisher nicht gewagt. Man setzt auf Freiwilligkeit.

Hochwertiges Granulat aus Kunststoffabfällen

Mancina Ulcnik-Krump: "Was ich hier habe, ist Granulat. Das ist so, was aus dem Extruder dann rauskommt, in dieser Form. Das ist auch unser Endprodukt. Das sind so kleine Brocken in runder Form, das ist wie geschnittene Spaghetti."
Recyclinggranulat der Alba-.Group in einer Hand
In Eisenhüttenstadt stellt die Alba-Group aus Plastikabfällen ein Recyclinggranulat her.© Alba-Group
Mancina Ulcnik-Krump aus Slowenien ist eine Frau, auf die sich viele Augen richten in der Entsorgungs- und Recyclingbranche. Denn die promovierte Chemikerin hat schon mehrfach Auszeichnungen bekommen. Für ein Granulat, das sie aus Plastikabfällen kreiert hat. Hergestellt wird es im Kunststoff-Verwertungsbetrieb der Alba Group, im brandenburgischen Eisenhüttenstatt. Der Name: Procyclen."
"Das Geheimnis ist, das Material, das kommt herein, hat eigentlich die Eigenschaften der eigentlich schon niedrigen Qualitäten und was machen wir hier: Wir dosieren dazu die verschiedenen Additive und Modifikatoren. Das sind chemische Substanzen und mit denen verbessern wir das so, dass das Material wirklich ein gutes, zweites Leben hat", erklärt die Chemikerin.
Der Kunststoffverwertungs-Betrieb in Eisenhüttenstadt ist voll ausgelastet: Produziert rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche, verarbeitet pro Jahr 50.000 Tonnen Plastikverpackungen aus Sortieranlagen der Alba Group zu hochwertigem Granulat - und soll jetzt noch erweitert werden. Denn das neue Verpackungsgesetz sorgt dafür, dass noch mehr Plastikabfälle aus dem Dualen System recycelt werden müssen.
Hochwertiges Recyclinggranulat, so wie das Procyclen, habe die gleichen Eigenschaften wie Neumaterial, sagt die Chemikerin aus Maribor, entsprechend gut sei es zu verkaufen, sogar nach China:
"Dieses Material in guter Qualität gibt es immer Abnehmer. Recyclingmaterial und Recyclingmaterial das sind zwei unterschiedliche Sachen. Wenn es gute Qualität ist, gibt es auch Abnehmer. Um mit unserer Qualität haben wir zurzeit keine Schwierigkeiten Material im Markt zu verkaufen, eigentlich im Gegenteil."

Verbraucher helfen bei der Kreislaufwirtschaft mit

Das liegt aber auch am günstigen Preis. Denn die Kosten für Sammlung, Sortierung und Verwertung der Rohstoffe aus gelben Tonnen und Säcken übernehmen, wie schon bisher, die Verbraucher. Mit jeder Verkaufsverpackung, ob im Supermarkt oder Onlineshop, werden Lizenzabgaben für die inzwischen neun Dualen Systeme fällig, bislang durchschnittlich zwölf Euro pro Jahr für jeden Bürger.
Aber, sagt die renommierte beachtete Altkunststoff-Expertin Ulcnik-Krump: Wenn künftig noch mehr recycelt werden muss, dann sollte sich auch das Ausgangsmaterial verändern:
"Weniger hoch aggressive Farben im ersten Leben, dann, wenn das möglich wäre, weniger Multi-Layer-Produkte, weil was heute ist: Das haben wir sogar in einer ganz einfachen Flasche, verschiedene Layer von Material. Das bedeutet verschiedene Kunststoffe. Weil, den Nachteil von Kunststoff ist, wir können nur dieselben Sorten von Material zusammen recyceln."
Kurz gesagt: Schon beim Design der Verpackungen sollten die Voraussetzungen für ein späteres Recycling mit eingeplant werden. Deshalb sucht die Recyclingwirtschaft jetzt das direkte Gespräch mit der Verpackungsindustrie. Doch die Verpackungswirtschaft verfolgt ihre eigenen Ziele.
Thomas Reiner: "Für uns ist immer wichtig, dass wir das auf der einen Seite, was schöpferisch möglich ist, ausschöpfen, denken und auch erfinden können. Auf der anderen Seite aber auch verstehen, ob es vom Verbraucher verstanden und gewollt ist. Und ob es technisch auch umsetzbar ist."
Kreativität und Realität verbinden. "Packaging Creality" hat man dieses Angebot getauft, bei der Berliner Unternehmensberatung Berndt und Partner. Denn Verpacken bedeutet viel mehr als nur Einpacken. Verpackungen haben eine "Querschnittsfunktion", sagt Thomas Reiner, Verpackungsingenieur und Vorstand:
"Das fängt beim Produkt an, es gibt Identität, schützt das Produkt. Geht über nachher, dass es auch eine Logistikaufgabe hat. Und dann geht es weiter: eine Marketing-, Verkaufsaufgabe. Und dann aber auch: es ist ein Preis. Es kostet natürlich auch Geld. Und damit berühren sie nahezu alle Unternehmensbereiche."

Moderne Verpackungsindustrie hat eigene Interessen

Die Verkaufsverpackungen bestimmen das Image der Produkte. Oft mehr als der Inhalt, erklärt Thomas Reiner:
"Wenn Sie den Lebensmittelbereich ansehen, wenn es darum geht, dass alles lecker und appetitlich rüberkommt, was man in neudeutsch 'Appetize-Appeal' nennt, hat Deutschland sicherlich eine Qualität erreicht, die sich überall in der Welt sehen lassen kann."
Deutsche Hersteller gelten als führend bei moderner Verpackungstechnik, sind ein wichtiger Player auf dem globalen Verpackungsmarkt, auf dem sich ständig neue Trends herausbilden, aktuell getrieben durch die Digitalisierung, der Trend zur individualisierten Verpackung. Sie soll den Konsumenten ganz persönlich ansprechen, mithilfe von aufgedruckten Codes und dem Internet.
"Sie haben eine Verpackung – Schokolade. Und dann gehen Sie darauf mit dem Smartphone. Die Verpackung ist individualisiert. Dann erzählen Sie eine Geschichte für ihre Schwester und dann schicken Sie die Verpackung rüber. Die geht mit dem Smartphone wieder auf den Code und bekommt Ihre individuelle Video-Grußbotschaft", erklärt Thomas Reiner.
Ein Barista legt den Deckel auf einen Einweg-Kaffeebecher voller Kaffee.
Konsumiert wird unterwegs: Coffee-to-Go ist das beste Beispiel für diesen Trend.© imago/Westend61
Ein anderer großer Trend, auf den sich die Verpackungsindustrie einstellt: Mobilität. Konsumiert wird unterwegs, Stichwort "Coffee-to-Go". Immer mehr Produkte werden direkt zum Kunden nach Hause geliefert, Stichwort "Online-Shopping". Dazu kommen immer kleinere Haushalte, wiederverschließbare Verpackungen, die Lebensmittel frischhalten, und, und, und. All das fordert Verpackung, neue, kreative und kostengünstige Verpackung. Oftmals die idealen Werkstoffe dafür: Kunststoffe, die auch kombiniert werden können.
Thomas Reiner: "Manchmal haben sie eine Folie, die ist halb so dick wie ein Haar und da haben sie sieben, acht, bis zu zwölf verschiedenen Lagen. Und diese Lagen brauchen Sie, um den idealen Schutz zu haben mit einem minimalen Materialeinsatz."

Dünne Multilayer-Folien lassen sich nicht recyceln

Die sogenannten Multilayer-Materialien helfen, Material zu sparen. Das heißt, eniger Rohstoff-Einsatz, weniger Abfall. Andererseits: Multilayer-Folien lassen sich nicht recyceln, und Recycling ist jetzt zunehmend gefordert, durch das neue Verpackungsgesetz.
Thomas Reiner: "Wenn wir also jetzt das Ganze umdrehen, und an Rezyklieren vorrangig denken, dann wird das in vielen Bereichen dazu führen, dass wir mehr Verpackungsaufwand betreiben, dass die Materialien wieder dicker werden. Und wir werden dann mehr Kunststoff brauchen, um die gleiche Verpackungsleistung zu erbringen, die wir heute mit dem Verbundmaterialien erbringen."
Weniger Neumaterial oder mehr Recyclingkunststoff – was ist nachhaltiger? Nicht immer sei das eindeutig zu klären, sagt Verpackungsentwickler Reiner, sagt auch das Umweltbundesamt. Gleichzeitig steigen die Erwartungen an die Verpackungsentwickler: Nachhaltigkeit fordert der Handel, Nachhaltigkeit fordern auch die großen Markenartikler. Neue Ideen sind also gefragt für den globalen Verpackungsmarkt.
Bei Berndt und Partner schaut man sich danach um. Sammelt innovative Beispiele aus aller Welt. Rund 3000 Verpackungen umfasst das Archiv. Thomas Reiner greift eine bauchige Flasche aus dem Regal, die Verpackung für einen Weichspüler:
"Was Sie hier sehen, ist der Versuch, eine Flasche aus Kunststoff weitestgehend außen durch eine Kartonlösung zu ersetzen, wie Eierkartons, in der Art. Die kriegen die gleiche Steifigkeit nur mit einem Bruchteil des Kunststoffes. Und das ist faszinierend, bei der Technik dahinter, für uns zu sehen: Aha – da hat einer die Technologie gelöst und es funktioniert schon."
Eine Kreation aus Österreich, die mithilfe von Pappe über ihr Inneres hinwegtäuscht – Plastik. Gut recycelbar sind die verbundenen Materialien aber nicht. Zwar gibt es auch schon etliche Beispiele für Verpackungen, die den neuen Anforderungen für Wiederverwertbarkeit genügen. Aber dennoch ist auch zukünftig noch viel "Packaging Creality" gefragt: die Kombination aus Kreativität und Realitätssinn.

Steigt die Nachfrage für wiederverwertete Kunststoffe?

Jährlich zehn Millionen Tonnen Recyclingkunststoffe könnten bis 2025 innerhalb der EU bereitgestellt werden, heißt es aus Brüssel. Das hätten Unternehmen im Rahmen einer Selbstverpflichtungskampagne zugesagt. Doch noch immer bleibt die Frage: Wohin damit? Denn auf der Nachfrageseite gibt es erst Zusagen für fünf Millionen Tonnen, also gerade mal die Hälfte. Wird der Markt das Problem allein lösen? Zweifel sind angebracht.
Auch das neue deutsche Verpackungsgesetz setzt auf die Selbstregulierung des Marktes. Ein "Zentrales Verpackungsregister" soll dabei helfen, getragen von einer privaten Stiftung der Entsorgungswirtschaft, des Handels und der Kunststoffindustrie. Jeder, der in Deutschland eine Verpackung auf den Markt bringt, muss diese nun im Zentralen Verpackungsregister anmelden. Zusammen mit dem Umweltbundesamt soll die Stiftung Mindeststandards für die Recyclingfähigkeit von Verpackungen erarbeiten. Die ersten Ergebnisse werden jedoch erst zum September dieses Jahres erwartet.
"Diese Mindeststandards sollen dafür sorgen, dass in Zukunft weniger Verpackungen in den Verkehr gebracht werden, die nicht mehr recyclingfähig sind. Allerdings haben wir Zweifel, ob das so funktionieren wird", sagt Thomas Fischer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe in Berlin.
Denn bei den Verkaufsverpackungen stünden nun mal die Marketingaspekte im Vordergrund. Gerade bei den Markenartikeln. Daran werden, so Fischer, auch die – je nach Recyclingfähigkeit gestaffelten - Lizenzgebühren nichts ändern. Auch zu dem obersten Ziel der Abfallpolitik, der Vermeidung von Abfällen, werde das neue Verpackungsgesetz wohl nicht viel beitragen. Denn freiwillig werden die Konsumgüter-Hersteller kaum auf ihre aufwändigen Verpackungen verzichten.
"Beispiel Zahnpastatube: Eine Zahnpastatube, die nur im Regal liegt, ohne Verpackung, ist für den Verbraucher nicht attraktiv. Da sieht man ja nicht mehr, dass das ein Markenprodukt ist. Da muss eine Papierschachtel drum herum und die muss dann natürlich auch noch glänzen, die muss in Silber ausgeführt sein. Und damit sich das dann auch noch schön anfasst, muss auch noch eine Folie über die Verpackung gezogen werden. Eine PE-Folie. Und so denken Verpackungshersteller", erklärt Thomas Fischer.
Letztlich seien die Verbraucher in der Verantwortung, meint man beim Umweltbundesamt in Dessau. Denn ihr Konsumverhalten und ihr Lebensstil entschieden auch über die Menge und die Art der Verpackungen.

Eine App gegen problematische Verpackungen

Zurück nach Sankt Peter Ording an der Nordsee, wo sich ein kleiner Verein gegen die Plastikmüllflut stemmt. Aber die Müllsammelaktionen im Vogelschutzgebiet allein reichen Jennifer Timrott, Aktivistin von "Küste gegen Plastik", nicht mehr. Der Widerstand gegen problematische Verpackungen muss früher beginnen, findet sie, im Supermarkt:
"Hier, in der Gemüseabteilung gibt es natürlich auch immer jede Menge im Plastik verpacktes Zeugs hier. Jetzt sehen wir gerade noch Erdbeeren. Das ist auch nicht gerade die Saison dafür. Oder Cranberrys in dicken Plastikverpackungen. Sehr viel von diesen To-Go-Verpackungen auch. Ein Jogurt mit Müsli im Deckel, das ist ja auch eine Riesenverpackung mit dem Jogurt hier extra. Dann hat man oben noch eine Müsli-Schale, eine extra Schale obendrauf, einen eingeschweißten Plastiklöffel."
Jennifer Timrott zückt jetzt ihr Smartphone aus der Jackentasche, wischt über den Bildschirm hin zu einem blauen Symbol. Darauf: Zwei Pfeile in entgegengesetzter Richtung, darunter ein englischer Text: "Replace Plastic".
"So, jetzt starte ich die App. So, jetzt kann man hier den Barcode-Scanner öffnen. Dann öffnet sich eben die Kamera vom Smartphone und man könnte jetzt so Produkte wie die Erdbeeren hier nehmen und den Barcode scannen", sagt Jennifer Timrott.
Nur zwei Sekunden, dann ist das Produkt in einer Online-Datenbank identifiziert. Noch ein Fingertippen und schon sendet das Smartphone eine Nachricht:
"Und man sendet mit einem Knopf eben eine Nachricht, die man auch über die App nachlesen kann. Das ist eine recht freundlich formulierte E-Mail, die der Anbieter dann auch erhält, wo unter anderem steht, dass wir Probleme mit dem Plastikmüll haben. Dass es sich in der Natur ebenso schädlich zeigt, dass aus diesen Gründen eben immer mehr Verbraucher sensibilisiert sind für dieses Thema. Und dass der Verbraucher, der das eine sendet, sich vom Hersteller wünscht, dass er sich eine Verbesserung einfallen lässt."

"Replace Plastic" ist ein Renner

"Küste gegen Plastik" sammelt die Einsendungen, leitet sie dann dem jeweiligen Hersteller oder Händler zu. Seit einem Jahr kann sich jeder die App "Replace Plastic" auf sein Smartphone laden. Bis jetzt habe man die Aktion noch nicht an die große Glocke gehängt. Und dennoch ist die Aktion ein wahrer Renner, das zeigt die aktuelle App-Statistik, so Jennifer Timrott:
"142.584 Einsendungen sind damit bisher erfolgt. Und 9600 E-Mails sind über das System an Hersteller und Anbieter jetzt schon versendet worden. Das heißt, bei den Verbrauchern kommt diese Möglichkeit, ganz schnell sich zu beschweren und eine Veränderung zu erbitten, sehr gut an."
Bei Aldi, Lidl und Penny ebenso in Biomärkten wie Allnatura: Überall stoßen Kunden auf Plastikverpackungen, die sie nicht mehr haben wollen. Reaktionen gibt es auch schon, sagt Timrott. Bei kleinen und mittleren Unternehmen, die sich nun Gedanken machen, wie sie auf Plastik verzichten können. Und auch bei einigen großen Konzernen:
"Da kommen wir in Kontakt mit den Leuten, die für die Nachhaltigkeits-Abteilungen arbeiten, auch bei den großen Konzernen. Und die dann eben sagen, dass sie sich freuen, Verbraucher- Feedback, das ihre Position als Nachhaltigkeit-Beauftragten oder Umweltmenschen im Unternehmen stärkt."
Trinkhalme aus Plastik
Trinkhalme und anderes aus Plastik: Bis zum Jahresende soll aus dem EU-Verbot deutsches Recht werden.© picture alliance / Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/ZB
Aber die Verbraucher und vor allem unsere Umwelt brauchen mehr. Sie brauchen die entschlossene Hilfe der Politik beim Kampf gegen die Verpackungs- und Plastikflut. Unvermeidbar sind dabei auch Verbote, so, wie sie jetzt die Europäische Union fordert, für Einweggeschirr, Strohhalme oder Wattestäbchen. Auch bei uns, im Land des Plastik-Wirtschaftswunders, will Umweltministerin Svenja Schulze endlich Ernst machen. Bis zum Ende dieses Jahr sollen diese Plastikverbote in deutsches Recht umgesetzt sein. Ein Anfang, immerhin.
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