Planta: Kunst trifft auf Bauindustrie

Eine Art künstlerische Kreislaufwirtschaft

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Ein Besucher fotografiert die Installation „Double Bind“ des Bildhauers Juan Muñoz.
Mit Bill Viola, Juan Muñoz und Anselm Kiefer haben inzwischen drei große Namen der zeitgenössischen Kunstszene eigene Pavillons auf dem Sorigué-Gelände. Hier ist Muñoz‘ Installation „Double Bind“ zu sehen. © imago images / Agencia EFE / Adria Ropero
Von Julia Macher · 25.12.2019
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Das Unternehmen Sorigué nutzte die Wirtschaftskrise in Spanien für einen grundlegenden Wandel: Die neue Chefin wollte es statt mit Zement mit Kunst versuchen – und strukturierte nebenbei die Firma komplett um. Das Projekt "Planta" wurde geboren.
Draußen auf der Sandgrube rattert Geröll über gigantische Förderbänder. In der ehemaligen Fabrikhalle selbst herrscht fast sakrale Stille. Nur der Aufzug, der zwischen den Skulpturengruppen aus Juan Muñoz' berühmter Installation "Double Bind" verkehrt, quietscht leise.
Den Besuchern weht der scharfe Geruch von Zement, Staub und Sand um die Nase und gibt eine Art olfaktorischen Vorgeschmack auf das nächste Kunsterlebnis: einen Pavillon mit drei wandhohen, erdig wirkenden Anselm-Kiefer-Gemälden. Passend zum Materialmix auf der Leinwand tüfteln im benachbarten Labor Ingenieure an den Baumaterialien für morgen.

Jede Krise beinhaltet eine Chance

"Das Innovative, Avantgardistische an unserem Projekt ist, dass wir konsequent beide Welten verschränken: die Welt industrieller Fertigungsprozesse und die Welt der zeitgenössischen Kunst." Kunst trifft auf Bauindustrie und Bauindustrie auf Kunst, das ist bei "Planta" Konzept, sagt Ana Vallés, Vorstandsvorsitzende von Sorigué und Erfinderin des Kunstprojekts.
"Für uns bedeutet Kunst Kreativität", unterstreicht Vallés. "Kreativität ist gleichbedeutend mit Innovation im Unternehmerischen. Beides ist ein Instrument des Wandels." Und Wandel war dringend notwendig. Als Vallés 2011 das Unternehmen von ihrem Onkel übernahm, steckte es in einer tiefen Krise. Spaniens Wirtschaftskrise hatte die gesamte Baubranche schwer gebeutelt, Umstrukturierung war notwendig. Bloß wie?

Der Ort selbst ist eine Installation

Vallés, studierte Wirtschaftswissenschaftlerin und gut vernetzt in der Kunstszene, entschloss sich zum Querdenken: Wie viele katalanische Familienunternehmen hatte Sorigué sich über eine Stiftung als Mäzen betätigt. Warum die Verhältnisse nicht umdrehen und die Kunst ins Zentrum stellen? Platz gab es auf der Kies- und Sandgrube schließlich genug. Die Magie des Ortes überzeugte die Künstler von dem ungewöhnlichen Ausstellungsort.
"Wir befinden uns in einem aktiven Steinbruch: Man sieht, wie die Materie der Erde entnommen wird, wie das Gestein nach Größen sortiert und bearbeitet wird. Es passiert und verändert sich ständig etwas. Interessant sind auch die Geräusche: Die fallenden Steine hören sich manchmal an wie Wasser. Eigentlich ist der Ort selbst schon eine große Installation in ständigem Wandel: Eine Installation, die überrascht und in sich selbst schön ist", sagt Vallés.

Ortsspezifische Installationen von Viola, Muñoz und Kiefer

Mit Bill Viola, dem Spanier Juan Muñoz und Anselm Kiefer haben inzwischen drei große Namen der zeitgenössischen Szene eigene Pavillons auf dem Gelände. Teils wurden dafür leere Fabrikhallen umgebaut, teils neue Gebäude errichtet. "Ortsspezifische Installationen" nennt Ana Vallés sie. Andere Projekte sind im Aufbau.
Wim Wenders dreht einen 3-D-Film, die Japanerin Chiharu Shiota – bekannt für ihre riesigen Wollgespinste – arbeitet an einer Installation mit Stein und Geröll. "Planta" will aber mehr sein als bloßer Inspirationsquell: Die Erkenntnisse der Künstler, ihre kreative Auseinandersetzung soll auch in die Arbeit der Firma miteinfließen – wie beim Anthropozän-Projekt des Fotografen Armin Linke.
"Begonnen hat Armin Linke seine Arbeit bei uns", berichtet Vallés. "Hier hat er Bilder von der Geologie des Ortes gesammelt, jetzt reist er über alle Kontinente, um Zeugnisse davon zu sammeln, wie der Mensch im Zeitalter des Anthropozän auf die Natur einwirkt. Wir arbeiten seit vier Jahren mit ihm zusammen. Seine Arbeit hilft unserem Team zu verstehen, warum es wichtig und unternehmerisch vernünftig ist, jedes Mal nachhaltiger zu arbeiten - im Respekt vor der Natur."

"Die Kunst ist der Mäzen des Unternehmens"

Wer über die riesige Anlage fährt, versteht, was Ana Vallés damit meint. Hinter den Hügeln aus Sand und Kies schimmern silbern und grün lange Baumreihen: Die ausgebeuteten Brachen werden sukzessive in Olivenhaine verwandelt. Landschaftsplanung ist Teil des Geschäftsportfolios, Müllmanagement und Instandhaltung auch. Das Unternehmen wirtschaftet nach nachhaltigen Kriterien. Abfälle und Ausschuss sollen vermieden, Ressourcen wiederverwendet werden, so wie beim Kunstprojekt "Planta".
"Wir haben tatsächlich eine Art künstlerische Kreislaufwirtschaft. Früher hatten wir einfach nur eine Sammlung zeitgenössischer Kunst, jetzt geben die Künstler durch ihre Arbeit dem Unternehmen etwas zurück", merkt Vallés an. "Wir haben das klassische Verhältnis umgedreht: Die Kunst ist der Mäzen des Unternehmens."
Bisher findet lediglich ein kleines handverlesenes Publikum den Weg in die Sandgrube. Unternehmenschefin Vallés stört das nicht. Wichtiger als große Besuchergruppen sei die Idee selbst: Die großen Fragen der Zukunft, sagt sie, können nur mit Hilfe der Kunst beantwortet werden.
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