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Demografie und Demokratie
Wenn Gefühle der Vernachlässigung zu Politik werden

Die Auswirkungen des wirtschaftlichen und demografischen Wandels sind in ländlichen Gegenden besonders drastisch: Kirchen schließen, der Bus fährt nur noch selten, Gaststätten und Vereine machen dicht. Die Menschen fühlen sich abgehängt und vernachlässigt. Das hat auch Auswirkungen auf die Politik.

Von Alexandra Gerlach | 21.11.2016
    Ein alter Mann fährt am Mittwoch (28.03.2012) auf einer Landstraße nach Schwarzkollm in Ostsachsen.
    Alter Mann auf Landstraße in Ostsachsen. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen )
    "Als in der Industrie ganz viele Arbeitsplätze weggebrochen sind, die Jugend hier keine Alternativen mehr gefunden hat, also man merkt es sehr, also so die 30-, 40-Jährigen fehlen sehr. Es sind ganz viele weggegangen und die Jugend natürlich auch, die Mädels vor allem, wo man sagt, die haben halt hier keine Lehrstellen gefunden und sind dann viele fort. Jetzt fehlen sie natürlich irgendwo auch."
    Gemeinderätin Karin Matthes sitzt konzentriert und freundlich lächelnd an einem Tisch im alten Pfarrhaus von Pfaffroda, Erzgebirge. Schon seit zehn Jahren wohnt hier kein Pfarrer mehr. Zu DDR-Zeiten war das noch ganz anders. Jürgen Löwe, gebürtig in Pfaffroda, gelernter Koch und Wehrleiter der Freiwilligen Feuerwehr im Ort, erinnert sich:
    "Ja, da war noch richtig viel los. Die Schule selber war im Ort, Kindergarten hatten wir, Gaststätte, Jugendklub, da war noch ein HO-Laden, Textil, Feuerwehr sowieso, Fußballverein, Reitsport, Tischtennis, Leichtathletik, Frauensport, Volleyball. Also es war ein weitgefächertes Vereinsleben."
    Frage: "Wie hat sich das dann nach dem Mauerfall verändert?"
    "Oh! Der eine oder andere ist halt fortgezogen, berufsbedingt, arbeitsmäßig, wollte erst mal was Neues kennenlernen, wie auch immer, ist dann zugemacht worden, der Gasthof, der steht nimmer."
    Der Dorfladen ist längst wichtiger Kommunikationsort
    Seit der ersten Fusion mit benachbarten Dörfern im Jahr 1999 gibt es keine Schule mehr im Ort, geblieben ist der Kindergarten. Auch zwei Bäcker gibt es noch und einen Dorfladen, um dessen Einrichtung und Existenzberechtigung lange und intensiv bis heute gekämpft wurde und wird.
    Dicht an dicht stehen die Regale im ehemaligen Speisesaal der alten Schule am Fuße des Schlossberges von Pfaffroda. Unüberhörbar brummen die Kühlregale. Hier im Dorfladen gibt es alles für den Haushaltsgrundbedarf, wie die blonde Kassiererin freundlich erläutert:
    "Also wir bieten Obst und Gemüse an, Trockensortiment. Also dazu gehört Zucker und Mehl, Kaffee, Tee, dann auch Backsachen, wir haben Cornflakes, Knödel, Paniermehl und Knödelpüree."
    Ein verfallenes und leerstehendes Gebäude, aufgenommen am 01.04.2015 in Sassnitz (Mecklenburg-Vorpommern) auf der Insel Rügen. Foto: Stefan Sauer
    Verfallenes leerstehendes Gebäude in Sassnitz/Mecklenburg-Vorpommern auf der Insel Rügen (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    Der Dorfladen, der inzwischen auch ein tägliches Imbissangebot bereithält, ist längst auch wichtiger Kommunikationsort im Dorf geworden, zumal der nächste Supermarkt erst in rund sieben Kilometern Entfernung zu finden ist.
    "Es fährt zwar noch eine Buslinie, aber es ist jetzt auch nicht mehr so, es sind ja ältere Dorfleute, die jetzt nicht selber mit dem Fahrzeug unterwegs sind, die eben auf den Bus angewiesen sind. Die sind ja besonders erfreut, dass es hier noch einen Laden gibt."
    Frage: "Und die kommen gerne hierher?"
    "Die kommen gerne hierher und die lassen uns das auch spüren, dass sie dankbar sind, und das auch gerne annehmen. Aber gemessen an der Gesamtbevölkerung hätten wir manchmal den Wunsch, dass eventuell doch der ein oder andere hier noch einkaufen käme."
    Die stolze Dorfgeschichte von 800 Jahren Eigenständigkeit endet
    Seit dem Mauerfall hat Pfaffroda einen heftigen Aderlass verkraften müssen. Mehr als 1.000 Menschen haben die Gemeinde verlassen und sind weggezogen - der Arbeit hinterher. Verblieben sind rund 2.500 Einwohner verteilt auf sieben Dörfer. Zum 1. Januar 2017 endet die stolze Dorfgeschichte von 800 Jahren Eigenständigkeit. Pfaffroda fusioniert mit dem benachbarten Olbernhau. Die Gefühlslage im Dorf ist gemischt, wenngleich fast allen klar ist, dass es ohne die Fusion keine Zukunft gibt. Bauchschmerz bereitet die Entscheidung trotzdem, sogar dem stellvertretenden, ehrenamtlichen Bürgermeister, Michael Rudolph, der die Fusion mit ausgehandelt hat:
    "Es geht in die richtige Richtung und wir hoffen, dass es auch so geht, wie die letzte Fusion gelaufen ist. Ich bin davon überzeugt und ich empfinde es doch als Mangel in meiner Vita, dass ich ausgerechnet nach über 800 Jahren Pfaffroda einer der Verantwortlichen bin, der das Dorf abwickelt, weil das ist Identität, das war ... Pfaffroda war mal ein Stützpunkt im Erzgebirge. Also das hatte eine große Ausstrahlung. Aber wenn Du verantwortlich handeln willst, kannst Du es nicht anders machen, und es ist sicher auch nicht jeder davon begeistert, aber willst Du es laufen lassen?"
    Aus Sicht des Kommunalpolitikers Rudolph, der von Haus aus ein Liberaler ist, hat die Landespolitik des Freistaates Sachsen die Weichen schon vor Jahren falsch gestellt. Mit der Konzentration auf die urbanen Ballungszentren seien die ländlichen Regionen ins Abseits gestellt worden. Das habe nun gravierende Folgen, sagt Michael Rudolph und führt an:
    "Diese Konzentrierung auf Mittelzentren, auf Oberzentren, das, wo Du wirklich davon sprechen kannst, dass Du abgehängt wirst, das wird nicht ewig weiter gut gehen! Auf der anderen Seite müssen wir aber irgendwann auch einmal sagen: 'Leute, wir gehören zum Land auch dazu.' Ich habe einfach Angst, dass irgendwann mal ein Erwachen kommt und dass die Leute sagen: Wenn Ihr uns nicht braucht, brauchen wir Euch auch nicht."
    Signifikantes Abschmelzen der lokalen Infrastruktur
    Diese Sorge sei berechtigt, meint Prof. Everhard Holtmann, Forschungsdirektor des Zentrums für Sozialforschung in Halle an der Saale:
    "Also, es gibt einen Zusammenhang zweifellos zwischen demografischer Entwicklung, vor allen Dingen etwa auch zwischen beiden Faktoren Abwanderung beziehungsweise Alterung der Gesellschaft einerseits und den Potenzialen, den Reserven, der Bereitschaft, sich politisch und bürgerschaftlich zu engagieren andererseits."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Dorfläden werden zum Zentrum der Gemeinschaft, hier in Brandenburg. (picture alliance / ZB)
    Besonders kritisch sei es, wenn die negative demografische Entwicklung ein signifikantes Abschmelzen der lokalen Infrastruktur nach sich ziehe, sagt Politologe Holtmann. Zwar gebe es derzeit noch keine belastbaren empirischen Belege dafür, dass ein gravierender Bevölkerungsschwund und dem Abbau der Infrastruktur vor Ort einen deutlichen Effekt auf die Wahlentscheidungen der Bürger entfalte. Aber es gebe durchaus Beobachtungen, die derartige Schlüsse möglich erscheinen ließen, formuliert Holtmann vorsichtig.
    "Das ist ein ganz kritischer Punkt, der in den letzten Jahren besonders stark in das Bewusstsein gerückt ist, auch vor dem Hintergrund, dass die Quote der Nichtwähler ja doch signifikant angestiegen war und das dann umgekehrt auch bei den jüngsten Wahlen sich aus diesem Nichtwählerpotenzial doch viel zu einem Votum für rechtspopulistische Angebote entschlossen haben, also das spielt eine vergleichsweise große Rolle, ja!."
    "Die Autobahn ist weit weg, es kommt keiner hier rauf"
    Gerade die Nichtwähler machen auch dem stellvertretenden Bürgermeister von Pfaffroda große Sorgen. Wenn 50 Prozent nicht mehr wählen, sagt Michael Rudolph, haben wir diese nicht nur verloren, sondern abgehängt. Doch wer wird davon profitieren?
    Selbst der Politiker, der die schmerzhaften Anpassungsprozesse seiner Gemeinde gestalten und auch durchsetzen muss, hadert von Zeit zu Zeit mit dem System. Unterstützung oder gar Wertschätzung für die harte Kärrnerarbeit gebe es kaum, sagt er, und gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise werde es schwer, der Landbevölkerung zu vermitteln, dass es zwar kein Geld für den öffentlichen Nahverkehr, wohl aber Millionen für die Flüchtlingshilfe gebe. Was die Gemeinde Pfaffroda für die Zukunft brauche, sei ein klug durchdachtes Siedlungsprogramm. Ohne attraktive Bedingungen kämen keine neuen Familien in die Region, sagt Rudolph und Gemeinderätin Matthes stimmt ihm zu: "Das ist ein Teufelskreis!"
    "Weil wir so weit weg vom Schuss sind, die Autobahn ist weit weg, also es kommt keiner hier rauf. Tourismus ist auch nicht verwurzelt. Also es ist so eine Sache, wo mich dann auch wieder der Zynismus ärgert, wenn Leute, die so über die Zukunft der Dörfer denken, na, ja, also eigentlich können wir so langsam die Dörfer abschaffen. Das ist schon erschreckend, wir sind doch nicht hier irgendwo JWD in der Prärie, dort brauchen wir keinen Bus mehr hin!"
    Politik muss darauf achten, dass sich diese Spaltung nicht vertieft
    Michael Rudolph: "Wenn das jetzt noch zehn Jahre so geht, kriegen wir Probleme, die werden wir nicht mehr beherrschen."
    Das Gefühl, abgehängt zu sein, obwohl die Menschen vor Ort noch so viel Engagement einbringen, ist bitter. Noch funktioniert der Dorfzusammenhalt, doch die fortschreitende Alterung der Menschen im Ort setzt Fragezeichen. Wie lange noch? In diesen Tagen räumt das Alten- und Pflegeheim seinen langjährigen Standort im Schlossbau von Pfaffroda. 50 Arbeitsplätze fallen damit weg. Die Gemeinde bemüht sich intensiv um eine neue Nutzung für das große Haus, doch alleine kann sie das nicht bewältigen.
    Wie Pfaffroda geht es vielen Dörfern - nicht nur im Erzgebirge. Die Unsicherheit schafft Unzufriedenheit bei den Bürgern, die auch Wähler sind. Aus Sicht des Hallenser Politologen Everhard Holtmann muss die Politik hier handeln:
    "Da muss Politik glaube ich stärker als bisher und vielleicht auch systematischer als das bisher angegangen worden ist, den Blick darauf lenken, denn zwischen einer pessimistischen und auch unzufriedenen Wahrnehmung der eigenen Lebensbedingungen, die in einem hohen Maße aber auch durch berufliche Herausforderungen vermittelt wird auf der einen Seite, und dem Ausmaß Politik, Politiker zumal zu akzeptieren und ihnen das für Demokratien unabdingbare Grundvertrauen entgegenzubringen, da besteht offenbar ein starker Zusammenhang. Und hier muss Politik darauf achten, dass sich diese unterschwellige Spaltung zwischen Unzufriedenheitsgefühl und Gefühl der Besorgnis auf der einen Seite und der Politik, dem sogenannten System auf der anderen Seite, dass sich diese Spaltung nicht weiter vertieft."
    Jüngere Leute leben eher in urbanen Räumen
    Wissenschaftler beobachten, dass Bürger in ländlichen Regionen eher konservativ, im Sinne von "das Gewohnte" wählen. Die politische Präferenz der Wahlentscheidung und auch die Wahlbeteiligung selbst hängen einerseits stark vom Lebensalter ab, andererseits spielt die politische Sozialisation durch das Elternhaus, den Freundeskreis und das soziale Umfeld eine große Rolle. Ältere gehen eher zur Wahl als Jüngere und je nachdem, welche Bevölkerungsgruppe eine Region verlasse, könne das einen Effekt auf den Ausgang einer Wahl oder eines Referendums haben, so wie man es zuletzt in Großbritannien beobachten konnte, sagt Frank Meyer, Diplom-Geograf und Doktorand am Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde:
    In dem Ständer klemmen der Tagesspiegel, die Berliner Morgenpopst und die Süddeutsche Zeitung. Im Hintergrund unscharf Süssigkeitenregale.
    Zeitungen mit Schlagzeilen zum Brexit. Die ländlichen Gebiete wollten die EU verlassen. (dpa / Klaus-Dietmar Gabbert)
    "Wir haben das Beispiel 'Brexit'. Ländliche Räume eher 'Leave', urbane Räume, gerade die City of London eher 'Remain'. Aber jüngere Leute leben eher in urbanen Räumen und ältere Leute eher in ländlichen Räumen aufgrund der Migrationsproblematiken. Gleichwohl sind jüngere Leute in weniger hohem Ausmaß zur Wahl gegangen. Hier überlagern sich sehr schön, sehr offensichtlich Prozesse, und das manifestiert sich regional. Wir können das in Karten abbilden, aber diese Karten widerspiegeln nicht die Komplexität der Prozesse im Hintergrund wieder."
    Einigkeit besteht in der Wissenschaft, dass die Wahlentscheidung stark geprägt wird von eigenen Interessen, der persönlichen Lebenssituation und der Frage, ob die zur Abstimmung stehenden politischen Positionen für die eigenen Belange förderlich sind oder nicht.
    Berufsperspektiven sind woanders besser
    Das könnte ein wichtiger Ansatz sein, um das Wahlverhalten vieler US-Bürger bei der Präsidentschaftswahl in den USA zu verstehen. Für Dr. Judith Miggelbrink, Geografin und Projektleiterin am Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde, ergeben sich mit Blick auf das Abstimmungsverhalten im sogenannten "Rust Belt" der USA – einer ursprünglich sicheren Bank für die Demokratische Partei - interessante Hinweise und Parallelen zu gewissen Entwicklungen auch in Deutschland. Im Rahmen einer empirischen Forschungsstudie zur Lebensqualität und Zukunftsperspektiven hat sich Ihr Forscherteam seit 2013 drei Jahre lang mit dem ostthüringer Landkreis Altenburger Land beschäftigt. Einer Region, die nach dem Mauerfall stark deindustrialisiert wurde und die von hoher Abwanderung gezeichnet ist.
    In manchen Siedlungen des Altenburger Landes leben heute 75 Prozent weniger Jugendliche, als noch vor 20 Jahren. Die Berufsperspektiven sind woanders besser. In der medialen Berichterstattung erscheint die Region abgehängt.
    "Da passt ja durchaus wieder die Analogie mit den Vereinigten Staaten und der De-Industrialisierung, die ja im Rust Belt seit über 40 Jahren zu beobachten ist. Das sind ja durchaus lange Prozesse, das sind ja nicht Reaktionen auf sehr kurzfristige Sachen. Die mögen natürlich auch immer eine Rolle spielen, aber offensichtlich sind die Prozesse, die wir auch in Rechnung stellen müssen, sehr langfristige Sachen, die dann in einem Moment an die Oberfläche kommen, aber schon lange, lange da gewesen sind."
    Wie weit darf sich ein Staat überhaupt zurückziehen?
    Wie erfahren Menschen das Leben in einer derart benachteiligten Region? Und was für eine Wirkung entfalten die Negativ-Schlagzeilen über den Standort auf den Einzelnen? Das waren Kernfragen, die die Leipziger Wissenschaftler erforschen wollten. Judith Miggelbrink:
    "Also unter anderem die Frage, was bedeutet es für Jugendliche, die ihr Leben lang erfahren, dass sie in einer Region wohnen, die nur schrumpft, die nur schlecht abschneidet, die keine wirtschaftliche Perspektive zu haben scheint. Was passiert mit denen, wie entscheiden sie sich? Bleiben die da oder gehen sie weg?"
    Am Anfang seien ihnen die Interviewpartner mit größter Vorsicht begegnet, sagen die beiden Geografen Judith Miggelbrink und Frank Meyer. Doch dann hätte sich sowohl in den Einzelinterviews als auch in den Gruppendiskussionen immer mehr gezeigt, dass viele der Befragten die Interviews als geradezu befreiend empfunden hätten. Hier konnten sie ihre Sorgen endlich einmal zum Ausdruck bringen. Ein Interview als Ventil? "Ja", meint Frank Meyer, der viele dieser Interviews geführt hat.
    Zugleich werfe die Studie erneut die Frage auf, wie weit sich der Staat überhaupt zurückziehen dürfe, sagt Projektleiterin Miggelbrink. Diese Debatte laufe schon länger in der Wissenschaft unter dem Stichwort "Selbstverantwortungsräume" und sei auch dort hoch umstritten:
    "Weil es natürlich erst mal ganz viele auch rechtliche Implikationen nach sich zieht. Also wie weit darf sich ein Staat auch überhaupt zurückziehen? Wie steht es mit der Garantie gleichwertiger Lebensbedingungen? Das ist ja zumindest in der Bundesrepublik ein Jahrzehnte laufendes Thema gewesen, da gab es ja auch explizite politische Programmatiken, die dagegen gesteuert haben und die stehen natürlich auch alle immer wieder mal zur Disposition."
    Kürzung von Pfarrstellen schafft Unsicherheit
    Besonders überrascht hat die beiden Wissenschaftler die Reaktion der Befragten auf die Einsparungen bei der Kirche. Die Kürzung von Pfarrstellen schaffe größte Unsicherheit, so ihr Befund:
    "Und wir haben die Wahrnehmung dieser Entwicklung, dass Menschen dies eben als Zeichen deuten, dass das Leben in dieser Region eben nicht mehr so von Vorteil zu sein scheint."
    Einzelne Frau auf sonst leeren Kirchenbänken - von Generation zu Generation verliert die Kirche an Bedeutung.
    Von Generation zu Generation verliert die Kirche an Bedeutung. Viele Gotteshäuser schließen. (imago/epd)
    "Wenn im Pfarrhaus kein Licht mehr brennt, dann sind wir eigentlich von allen verlassen! Also diese Frage der kirchlichen Zugehörigkeit, die ist vielleicht statistisch gesehen gar nicht so bedeutsam, aber die Symbolik, die damit einhergeht, wenn bestimmte Dinge einfach nicht mehr vorhanden sind, nicht mehr genutzt sind, wenn etwas, was anwesend war, nicht mehr anwesend ist, das hat so eine ganz hohe symbolische Bedeutung, die uns da auch immer wieder präsentiert worden ist."
    Evangelische Kirche baut Stellen ab
    Da muss der jüngste Beschluss der evangelischen Landessynode Sachsens in den Ohren vieler Bürger wie eine Hiobsbotschaft klingen. Die Kirche plant bis 2040 einen drastischen Abbau bei den sächsischen Pfarrstellen um 40 Prozent. Von den derzeit 550 Gemeindepfarrern bleiben dann nur noch 320 im Freistaat übrig. Der Grund: In den kommenden 25 Jahren rechnet die evangelische Kirche in Sachsen damit, knapp 300.000 Mitglieder zu verlieren.
    Die Kirche auf dem Schlossberg von Pfaffroda ist schön restauriert. Um die Finanzierung der Sanierung zu unterstützen, hat das Dorf gesammelt.
    "100 x 100 Euro" hieß die Aktion. Das Geld gaben Gläubige und Atheisten gleichermaßen, erzählt Gemeindepädagoge Jörg Bochmann verschmitzt und fügt hinzu:
    "Wir brauchen so Kommunikationspunkte. Vorhin wurde schon gesagt, der Dorfladen ist so ein Kommunikationspunkt. Man geht einkaufen, aber man trifft auch Menschen. Und es werden eigentlich mehr gebraucht. Wenn man mit alten Leuten sich unterhält, die vielleicht noch zum Einkaufen herauskommen, aber ansonsten nicht mehr mobil sind. Die warten einfach darauf, dass jemand kommt, denn fast alle sind mit dem Auto unterwegs, also auch selbst wenn sie sich sozusagen vor ihr Haus stellen, treffen sie keine Menschen mehr. Und, ja, sie vereinsamen. Junge Leute überlegen natürlich dann, wenn sie so langsam zum Schulabschluss kommen, was werde ich mal machen? Wird meine Zukunft noch hier sein? Und jeder der irgendwo zum Studium, dem ist es klar, ich werde dann woanders leben."
    Gefühle der Vernachlässigung entstehen
    Festzuhalten ist: Der demografische Wandel führt zunehmend zu einer Schwächung des ländlichen Raumes. In Zeiten großer ökonomischer Umbrüche, einer rasanten Digitalisierung, sicherheitspolitischer Unsicherheiten und vieler anderer Ungewissheiten, reagieren die Bürger besonders empfindlich auf den Abbau von Infrastruktur in ihren Gemeinden. Gefühle der Vernachlässigung entstehen, die sich schnell in Ohnmacht und Wut verwandeln können. Eine Steilvorlage für Populisten und eine Gefühlslage, die – wie Frank Meyer vom Leipziger Leibniz-Institut für Länderkunde bilanziert – ihre Wurzel in den 25 Jahren des Wiederaufbaus hat.
    "Wir haben im Osten Deutschlands noch den Sonderfall, dass der Rückzug der DDR und das, was ökonomisch und arbeitsplatzbezogen Anfang der 90-er passiert ist, als ein gesellschaftliches Rahmen-Narrativ im ländlichen Raum, ein Fakt ist. Leute werden immer wieder, wenn Sie das erfahren haben oder davon erzählt bekommen, darauf zurückführen, dass ja wieder ein Ausverkauf bevorsteht. Erst kamen die Wessis, jetzt kommt jemand anders. Ob das so wahr ist und ob das so gewesen ist, spielt keine Rolle mehr. Es ist ein gesellschaftliches Narrativ in bestimmten Schichten."
    Diese Aussage könnte ein wichtiger Fingerzeig sein für Parteien, Strategen und Politiker, mit Blick auf die nächste Bundestagswahl 2017. In Sachsen wird 2019 ein neuer Landtag gewählt.