Plädoyer für verantwortungsvolle Elternschaft

06.12.2011
Als erster Arzt in Deutschland hat Matthias Bloechle illegal eine Präimplantationsdiagnostik (PDI) durchgeführt und sich später selbst angezeigt. 2010 wurde er freigesprochen. In seinem Buch berichtet er vom Rechtsstreit, PDIs und dem Wunsch nach einem gesunden Kind.
Was darf man künftigen Eltern zumuten, die eine unheilbare Erbkrankheit in sich tragen? Was müssen sie erdulden? Wo liegt die Grenze beim Wunsch nach einem gesunden Kind? Gibt es überhaupt eine? Nein, sagt Matthias Bloechle. Der Berliner Frauenarzt ist überzeugt: Es gibt sogar ein Recht auf ein gesundes Kind! So auch der Titel seines jetzt erschienen Buches, das von seinem zermürbenden Kampf um dieses Recht erzählt.

Matthias Bloechle hat als erster Arzt in Deutschland eine PID durchgeführt, eine Präimplantationsdiagnostik. 2006 war das. Damals kam ein Paar zu ihm, das bereits eine schwerbehinderte Tochter hatte und sich nun ein gesundes Kind wünschte. Die Chance, dies auf natürlichem Weg zu erreichen, war aufgrund der Erbanlagen der Partner sehr gering. Wahrscheinlicher war, dass jedes neue Kind schwer krank zur Welt kommen würde.

Matthias Bloechle suchte eine Alternative zum bisherigen Verfahren, das darin bestand, eine künstliche Befruchtung durchzuführen, die dennoch das Risiko barg, wieder ein behindertes Kind zu zeugen. Er bot den verzweifelten Eltern eine bis dahin in Deutschland verbotene PID an: Ein Verfahren, bei dem die künstlich befruchteten Embryonen vor ihrer Einpflanzung in den Mutterleib untersucht werden. Das Paar ging auf den Vorschlag ein.

In einem sehr frühen Stadium wurden drei Embryonen untersucht: Nur eines war gesund, die zwei andere wiesen Schäden auf. Die Frau entschied sich daraufhin, nur das gesunde Embryo einsetzen zu lassen. Die zwei überzähligen starben in der Petrischale. Nachdem Bloechle den Eingriff bei noch zwei weiteren Paaren durchgeführt hatte, zeigte er sich selber an und berief sich auf das Embryonenschutzgesetz, das einem Arzt verbietet, einen Embryo gegen den Willen einer Frau einzusetzen. Vier Jahre dauerte der Rechtsstreit, 2010 sprach ihn der Bundesgerichtshof frei.

Sein Buch, das sich wie eine Chronik dieses Rechtsstreites liest, ist stellenweise sehr pathetisch geschrieben, etwa dann, wenn Bloechle sich selbst so sehr überhöht, dass er sich gar mit Martin Luther King vergleicht. Nichts lässt der Arzt aus: Seine Arbeit, die Justiz, die Politik. Richtig gut wird es, wenn er seine Leser mit ins Behandlungszimmer nimmt: Wenn er Medizin fühlbar macht und die Leser zu Zeugen des Schmerzes werden lässt, wenn werdende Eltern erfahren, dass sie ein schwer krankes Kind gezeugt haben und wahrscheinlich niemals auf natürlichem Weg ein gesundes Kind bekommen werden.

Hochemotional schildert er die Wege, die solche Menschen gehen müssen: Die Beratung, die Behandlungen und falls es wieder nicht geklappt hat, die Abtreibung. Das ist harter Tobak, wenn man eine junge Frau, die sich nichts mehr wünscht als ein Kind, zur Abtreibung begleitet. Wenn man liest, wie sie an den Wehentropf gelegt wird, Schmerzen erleidet und schließlich das lebensunfähige Kind gebären muss.

Oder da sind die Eltern, deren Kind so schwer krank geboren wurde, dass es unter schrecklichen Umständen innerhalb des ersten Jahres stirbt. Ein Kummer, der sich kaum in Worte fassen lässt.

Und obwohl Bloechle nicht immer den richtigen Ton trifft, gelegentlich abgleitet ins Kitschig-Dramatische, sind doch genau diese Stellen die Stärken seines Buches. Denn anders als das Schildern von Rechtsnormen, machen sie klar, worum es beim Streit um die PID geht: um verantwortungsvolle Eltern, die vieles auf sich nehmen, um einfach ein gesundes Kind zu bekommen, kein Design-Baby.

Das sind Männer, die unter irritierenden Umständen Samen spenden. Das sind Frauen, die eine schmerzhafte hormonelle Stimulation und das Absaugen der Eizellen unter Narkose in Kauf nehmen. Das sind Paare, die anschließend Tage der Hoffnung durchleiden. Tage, in denen sie bangen, ob die künstliche Befruchtung gelingt - was nur in einem Drittel der Fälle klappt - und falls nicht, diese Prozedur mehrfach wiederholt auf sich nehmen.

Davon erzählt dieses Buch. Und das ist wichtig, denn viel zu oft geraten in der Diskussion, ob eine PID zulässig ist oder nicht, ob sie gegen moralische Normen verstößt oder nicht, die Eltern aus dem Blick. Eltern, denen man ohne PID zumutet, eine Schwangerschaft auf Risiko einzugehen. Eine Schwangerschaft, die dann abgebrochen werden darf, wenn sich ergibt, dass das Kind schwer krank ist.

Matthias Bloechles Buch ist damit ein gelungenes Plädoyer für verantwortungsvolle Elternschaft, die es nicht es nicht zu gängeln gilt, sondern zu respektieren.

Besprochen von Kim Kindermann

Matthias Bloechle: Vom Recht auf ein gesundes Kind. Ein Plädoyer für die PID - Präimplantationsdiagnostik
Irisiana, München 2011
208 Seiten, 19,99 Euro

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