Plädoyer für Latein und Griechisch

"Lateinbücher haben sich grundlegend geändert"

Ein lateinisches Wörterbuch wird am 03.04.2013 in einer Buchhandlung in Köln (Nordrhein-Westfalen) aus einem Regal genommen. Nordrhein-Westfalens SPD und Grüne wollen die Latinums-Pflicht für Lehramtsstudenten auf den Prüfstand stellen.
Immer weniger Schüler belegen in der Schule Latein als Fremdsprache. © dpa / Oliver Berg
Hartmut Loos im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 05.04.2018
Latein und Altgriechisch sind als Pfeiler der Gymnasialbildung passé. Wer es für das Studium braucht, besucht an der Uni Sprachkurse und lernt in der Schule lieber moderne Fremdsprachen. Ein Fehler, sagt der Altphilologe Hartmut Loos. Alte Sprache seien oft der Schlüssel zum Verständnis anderer Fächer.
Seit die Universitäten als Zugangsvoraussetzung für etliche Studienfächer wie Geschichte oder Jura nicht mehr das Latinum fordern, scheint auch an den Schulen das Interesse an der Sprache der Römer stark zurück gegangen zu sein. Da helfen offenbar auch keine Asterix-Hefte auf Lateinisch - die ja immerhin eine vergnügliche Art des Lernens garantieren.
Hartmut Loos, Oberstudiendirektor. Leiter eines Gymnasiums in Speyer und selbst Altphilologe, bedauert das erlahmende Interesse an Latein und Altgriechisch sehr. Vor allem Latein sei die ideale Basis, um moderne Fremdsprachen (leichter) lernen zu können.

Der Unterricht ist moderner geworden

Der Latein- und Griechischunterricht sei heute nicht mehr mit dem alten Schlages zu vergleichen: "Es wird heute sehr viel anders gelehrt und gelernt. Das zeigen schon die Lateinbücher, die sich grundlegend geändert haben, mit Informationstexten, mit Bildmaterial, das zu den Texten passt und eine Verbindung herstellt zwischen den einzelnen Sprachen." Es gebe keine isolierte Betrachtung der alten Sprachen mehr. "Wir vernetzen die Sprachen miteinander und wollen damit auch zum Beispiel die Naturwissenschaften mit einbinden, damit die Schüler sehen, warum ist es wichtig, dass wir Latein und/oder Griechisch lernen", betonte Loos.
(mkn)

Das Interview in voller Länge:

Liane von Billerbeck: Früher gehörte es zu einer umfassenden Bildung einfach dazu, dass man Latein kann. Kleines oder großes Latinum war Bedingung für viele Studiengänge, ganz besonders, wenn einer oder eine Medizin oder Jura studieren wollte. Das ging gar nicht ohne Latein. Jedoch, tempi passati, die Zeiten sind vorbei, wie der deutsche Altphilologenverband beklagt. Es wird zu wenig Latein gelernt. Heute treffen sich nun die Berufslateiner zu ihrem Altphilologenbundeskongress in Saarbrücken. Hartmut Loos ist Vorsitzender des Deutschen Altphilologenverbands, Oberstudiendirektor und Schulleiter des Gymnasiums am Kaiserdom in Speyer, und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Hartmut Loos: Schönen guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Gleich vorab, Herr Loos, muss ich mich offenbaren: Ich gehöre zu denen, die kein Latein hatten. Also, wenn Sie hier lateinische Kostbarkeiten von sich geben, ich kann Sie wie vermutlich viele unserer Hörer nicht übersetzen. Wir wollen ja jetzt beide reden über die Frage, die so oft gestellt wird, und die geht zuerst an Sie als Schulleiter. Wozu, bitte schön, nutzt Latein?
Loos: Keine Angst, ich werde keine lateinischen Phrasen von mir geben, und ich …
von Billerbeck: Ach, Sie können gern – wenn Sie sie übersetzen, alles gut!
Loos: … ich zitiere da immer meine Frau, die auch kein Latein gelernt hat, die sagt, man kann auch ohne Latein glücklich sein, aber mit Latein kann man es auch. Und das ist so unsere Maxime, die wir verfechten. Wir sagen, es bringt immer noch sehr viel, wenn man eine Sprachbildung machen will. Sprachbildung heißt, Verbindung Kommunikationssprache Englisch und Reflexionssprache Latein als Grundlage. Und wir meinen, eine umfassende Sprachbildung kann nur geschehen mit dieser Grundlage plus einer weiteren Fremdsprache, einer anspruchsvollen auf vertieftem Niveau. Und das ist dann, je nach Neigung der Schülerinnen und Schüler, eine moderne Fremdsprache, in der Regel Französisch, kann aber auch Spanisch oder was anderes sein, oder eine zweite klassische Sprache, das ist Altgriechisch.
von Billerbeck: Nun hört man sie ja immer wieder, die traumatischen Erinnerungen an Latein- oder Altgriechisch-Pauker. Deshalb an Sie die Frage, wird Latein heute anders, also sagen wir mal, mit Freude auf beiden Seiten gelehrt, oder müssen es immer noch die Texte von Cicero und Seneca sein.

Große Bedeutung für Fächer wie Physik oder Biologie

Loos: Es wird heute sehr viel anders gelehrt und gelernt. Das zeigen schon die Lateinbücher, die sich grundlegend geändert haben, mit Informationstexten, mit Bildmaterial, das zu den Texten passt und eine Verbindung herstellt zwischen den einzelnen Sprachen. Also wir haben keine isolierte Betrachtung der alten Sprachen, der alten Texte. Wir vernetzen die Sprachen miteinander und wollen damit auch zum Beispiel die Naturwissenschaften mit einbinden, damit die Schüler sehen, warum ist es wichtig, dass wir Latein und/oder Griechisch lernen, auf der anderen Seite, dass sie dann im Griechischunterricht erkennen, dass es in Physik, in Biologie, in Mathematik auch diese ganzen Dinge gibt, und so eine Einheit machen wollen. Die alten Texte werden auch noch gelesen, wenn in der Oberstufe Latein weitergelernt wird, aber nicht um der alten Texte willen, sondern um ein Kulturbewusstsein zu schaffen, und, existenziell für die Schüler in ihrer Lebenssituation, dass sie daraus für sich etwas entnehmen können.
von Billerbeck: Mit Ihrem Kongressmotto, das ich natürlich zur Kenntnis genommen habe, "Polis Europa. Latein und Griechisch verbinden", da packen Sie mich natürlich an meiner Ehre als Europäerin. Frage an Sie: Sollte ich als solche dringend Latein oder Griechisch lernen?
Loos: Nein.
von Billerbeck: Sie enttäuschen mich …
Loos: Nein, nein. Wir wollen das antike Ideal, die Verbindung von Bildung und Sich-Einsetzen für das Gemeinwohl hier verkörpern und wollen sagen, dass wir alle Tendenzen, die in Richtung Verselbstständigung, Isolation, Schutzzölle und was es so gibt, nicht wollen. Wir haben den Kulturbereich des Römischen Reiches und weiter darüber hinaus gehend mit unseren Sprachen, und da werden die Grundlagen gelegt im Blick auf Rechtsprechung, Wissenschaft, Demokratie. Und das ist unser zweites Anliegen, dass wir diese Inhalte rüberbringen, und das geht an den Originaltexten sehr viel tiefer als an irgendwelchen Zusammenfassungen.
von Billerbeck: Viele haben zwar mal Latein gelernt, aber da ist dann doch nur noch so ein Rest übrig geblieben. Wie wird es denn vermittelt, dass es vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überführt wird?
Loos: Uns ist da das Bewusstsein, das geschaffen wird, wichtiger als die einzelnen Kenntnisse, die noch da sind. Wenn ich an meinen Physik- oder Chemieunterricht denke, den ich auch gern gemacht habe, da kenne ich auch keine Einzelheiten mehr, und trotzdem hat es in mir ein Bewusstsein geweckt für die Naturwissenschaft, für dieses Denken. Und so soll das von unserer Seite auch für die Sprache sein.

Man kann ohne Latein Spaß - aber eben auch mit Latein

von Billerbeck: Ich habe in einer Berliner Zeitung gerade den Artikel eines Vaters gelesen, der seinen Neunjährigen in ein Gymnasium einschulte, das selbstverständlich Latein bot. Und der Neunjährige, der hat ganz trocken reagiert, warum soll ich nicht Latein lernen? Ich lerne ja auch Schach. Das muss doch eine Freude sein für Sie als Lateiner?
Loos: Genau das. Und aus diesem Artikel habe ich auch in meiner Eröffnungsrede vorgestern zitiert. Man kann ohne Latein Spaß haben, aber auch mit Latein. Dann dachte ich, das ist genau das, was wir haben. Unsere Schule, mein Gymnasium, da müssen alle Schülerinnen und Schüler Latein lernen ab der fünften Klasse, und dann ist das normal, und die kommen gern. Oft müssen sie aber ihre Eltern überzeugen oder überreden, dass sie an unsere Schule kommen dürfen, weil die Eltern sagen, das ist viel zu schwer für dich, und das braucht man heute nicht. Wenn sie aber dann da sind, haben sie in der Regel sehr viel Freude dran. Viele wählen auch Griechisch. Und unsere besten Abiturientinnen und Abiturienten haben eigentlich immer Latein und/oder Griechisch bis zum Abitur beibehalten.
von Billerbeck: Ich hab jetzt den Satz gehört, also auch mit Latein macht es Freude. Ich hätte ja nun gedacht, dass Sie als Lateiner sagen, mit Latein macht es mehr Freude.
Loos: Wir wollen also jetzt nicht uns abgrenzen oder gegen andere Fächer und gegen andere Sprachen vorgehen. Wir sagen, das eine ist ein Weg, das andere sind andere Wege, die gleich bedeutend nebeneinander stehen.
von Billerbeck: Hartmut Loos war das, der Vorsitzende des Deutschen Altphilologenverbands. Heute tagt der Bundesverband in Saarbrücken. Wir haben vorher mit ihm gesprochen. Ganz herzlichen Dank!
Loos: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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