Plädoyer für einfache Patientenverfügung

Moderation: Birgit Kolkmann · 29.03.2007
Der stellvertretende Vorsitzende des Nationalen Ethikrates, Eckhard Nagel, hält eine kurze und einmalige Patientenverfügung für ausreichend, um dem Willen des Patienten gerecht zu werden. Wenn ein Mensch am Ende seines Lebens möglichst wenig medizinische Eingriffe wünsche, genüge es, wenn er dies mit einem "relativ geringen Detaillierungsgrad" schriftlich festlege, sagte Nagel.
Birgit Kolkmann: Eckhard Nagel ist als stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Ethikrates und Direktor des Instituts für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften der Uni Bayreuth seit langem mit dem Thema der Sterbebegleitung befasst. Schönen guten Morgen in der Ortszeit!

Eckhard Nagel: Guten Morgen, Frau Kolkmann!

Kolkmann: Herr Nagel, ist eine Patientenverfügung so wichtig wie die Krankenversicherung?

Nagel: Also ich glaube, das kann man nicht sagen, denn die Krankenversicherung ist erstmal Bedingung, dass überhaupt medizinische Behandlung möglich wird. Eine Patientenverfügung, auch wenn man sie nicht hat, bedeutet nicht, dass man letztendlich behandelt oder nicht behandelt wird. Es ist ein Ausdruck des eigenen Willens und insofern ist es eine wichtige Mitteilung, gerade wenn man selber seinen Willen nicht mehr äußern kann.

Kolkmann: Was sollte unbedingt drinstehen, eher zu viel oder eher zu wenig?

Nagel: Also das ist natürlich eine schwierige Debatte. Es hängt von der Erwartungshaltung ab, die man an eine Patientenverfügung hat. Ich persönlich, der ich auch als Arzt tätig bin, ich kann sagen, dass Patientenverfügungen ganz kurz sein können. Im Wesentlichen sind Patientenverfügungen dazu da, mitzuteilen, ob man eine bestimmte Behandlung nicht möchte.

Sie haben gerade in der Anmoderation gesagt, man soll auch festlegen, was man möchte. Das ist aber sicherlich schwierig, denn – auch das ist richtig – letztendlich weiß man nicht, was im letzten Moment des Lebens auf einen wirklich zukommt.

Kolkmann: Nun wird immer wieder gesagt, es wäre besonders wichtig, diese Patientenverfügungen zu aktualisieren, immer wieder im Gespräch mit dem Arzt zu bleiben, sich beraten zu lassen, um es jeweils an die Lebens- oder Krankheitssituation anzupassen. Ist das ein gangbarer Weg?

Nagel: Also ich glaube, es ist eine schwierige Frage. Einfach deshalb, weil aus vielen anderen Bereichen wir wissen, dass Menschen sich mit dem Sterben zu Lebzeiten nicht wirklich gern oder intensiv beschäftigen, heute viel weniger vielleicht sogar als früher. Insofern glaube ich, ist es irrational zu glauben, dass wir jetzt alle zwei Jahre oder drei Jahre uns über unsere Patientenverfügung setzen würden und bestimmen, wie im Hinblick auf unsere aktuelle Situation wir uns das Sterben vorstellen.

Das wird dazu führen, dass kaum einer eine Patientenverfügung ausstellt, und insofern glaube ich, dass eben ein solches ständiges Befassen damit nicht wirklich sachgerecht ist. Ich denke, wir müssen davon ausgehen, dass, wenn überhaupt jemand eine Patientenverfügung ausstellt, das ein wichtiger Schritt ist.

Kolkmann: Nun wird ja darüber diskutiert, wie absolut dieser Patientenwille sein soll, ob er ausgehebelt werden darf, ob da noch ein Ermessensspielraum für die Ärzte bleibt. Wie sehen Sie das? Was soll da vorgeschrieben werden und wie weitgehend?

Nagel: Also ich bin ganz erstaunt über diese intensive Diskussion, und man muss, glaube ich, fragen, wes Geistes Kind diejenigen sind, die das eine oder das andere fordern. Heute ist eindeutig klar, dass der Patientenwille, meine eigene Entscheidung das ist, was zählen soll, wenn es um die Frage geht, wie ich behandelt werde und in welchem Kontext ich begleitet werden soll. Zum Beispiel solange ich zustimmen kann, ist jeder Eingriff absolut verboten an mir, wenn ich denn sage, nein, ich möchte ihn nicht, und das bedeutet auch nicht, dass ich gezwungen werden kann zu einer Behandlung, selbst wenn ich weiß, eine Nichtbehandlung wird zum Tode führen. Also, glaube ich, stellen wir den Patientenwillen ganz hoch.

Das muss auch in einer Situation gewährleistet sein, wenn ich selber nicht mehr mich äußern kann und wenn ich es festgeschrieben habe. Ein hoher Detaillierungsgrad ist, glaube ich, auch nicht wirklich möglich, weil ob ich eine Dialysebehandlung bekommen möchte, ob ich unter Umständen eine Antibiotika-Behandlung bekommen möchte, wenn ich eine Lungenentzündung am Ende des Lebens habe und so weiter, das kann ich ja nicht alles auflisten. Das würde ja bedeuten, ich müsste hohen Sachverstand haben, den ich aber in aller Regel ja nicht haben kann.

Und insofern denke ich, es ist völlig ausreichend und ausschließlich möglich, einen relativ geringen Detaillierungsgrad zu haben und eine Intention mitzuteilen. Und diese Intention bedeutet nicht, dass der Arzt da nicht eine Möglichkeit hat, in dem Kontext der aktuellen Situation noch zu entscheiden.

Kolkmann: Sind Sie manchmal in einen Konflikt gekommen bei Ihrer Entscheidung, was Sie mit einem Patienten machen oder nicht?

Nagel: Ich glaube, es ist beständig, gerade auf der Intensivstation, ein Konflikt, weil man ja immer um eine Prognose ringt. Man weiß nicht genau, wird die zusätzliche Behandlung mit dieser oder jener Maßnahme den Patienten wirklich noch mal auf den Weg der Besserung bringen.

Insofern ist es immer wiederum ein Ringen jeden Tag, vielleicht sogar mehrfach am Tag, zu entscheiden, wie fahren wir fort. Und im Nachhinein sieht es natürlich manchmal aus, die eine oder andere Entscheidung war falsch. Aber es wird nicht möglich sein, auch solche vielleicht falschen Entscheidungen dann doch zu begehen, und erst im Nachhinein zu wissen, was ist richtig.

Kolkmann: Ist es eigentlich noch wichtiger, als über die Patientenverfügung zu diskutieren, über die Sterbebegleitung insgesamt zu sprechen, vor allem auch die Palliativmedizin, die den letzten Weg ja menschenwürdig, das heißt erträglich machen soll?

Nagel: Also ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Es ist eine Diskussion um unsere Sterbekultur in unserem Land, und wenn heute der Bundestag darüber diskutiert, ist es ein Zeichen dafür, dass es dringend notwendig ist, in unserem Land über diese Sterbekultur zu diskutieren. Wir müssen doch da hinkommen, dass das Sterben wieder ein Teil eines gelingenden Lebens ist, und nicht etwas, was man in Krankenhäuser oder Pflegeheime abschiebt.

Kolkmann: Vielen Dank für das Gespräch.
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