Plädoyer für eine europäische Alternative zu Google

Rena Tangens im Gespräch mit Ulrike Timm · 29.07.2013
Die Enthüllungen von Edward Snowden haben viele Menschen verunsichert: Sind meine Daten überhaupt noch sicher, fragen sich viele. Die Politik würde alles nur vernebeln, sagt Datenschützerin Rena Tangens. Um Daten-Kraken wie Google & Co. zu stoppen, fordert sie eine neue Suchmaschine.
Ulrike Timm: Datenschützer haben es befürchtet, Experten vermutet, Verschwörungstheoretiker beschworen: Die Geheimdienste haben potenziell auf alles Zugriff, wenn sie das wollen. Bundespräsident Gauck überlegt, ob er noch frei telefonieren und mailen kann und riskiert es dann doch, und 32 Schriftsteller bezeichnen Deutschland in einem Brief an die Bundeskanzlerin schon jetzt als Überwachungsstaat. Dass von amerikanischer Seite erläutert wird, das Prism-Programm würde lediglich genutzt, um Terroristen frühzeitig zu erkennen, überzeugte den Filmregisseur Andres Veiel, einen der Unterzeichner, nicht. Er sagte im Radiofeuilleton von Deutschlandradio Kultur:

"Mein persönlicher Eindruck ist, man will nichts wissen. Man begnügt sich mit den Informationen – Friedrich reist nach Washington, sagt, es gibt Hinweise, dass Terrorakte verhindert wurden, dann wird mal von vier Terrorakten gesprochen, dann heißt es, es könnten mehr, es könnten weniger sein –, es ist eine gigantische Tintenfischblase der Desinformation, und das jetzt seit Wochen, und da reißt bei mir und einigen meiner Kollegen der Geduldsfaden."

Timm: So weit der Filmemacher Andres Veiel. Und vor dem Hintergrund auch der Gefühls- und Deutungskonfusion, die sich durch die Enthüllungen ergibt, wollen wir hier im Radiofeuilleton gleich mehrfach sprechen, über Privatheit, die Netzgemeinde, Grundrechte und Kontrolle. Heute kommt Rena Tangens zu Wort, Datenschutzaktivistin der ersten Stunde und als solche auch Mitbegründerin von "Digitalcourage". Frau Tangens, schön, dass Sie ins Studio gekommen sind!

Rena Tangens: Ja, schönen guten Tag!

Timm: Sie können sich ja jetzt in die Brust werfen, seht her, ich hab es doch immer gesagt – machen Sie das?

Tangens: Klar können wir das sagen, und wir haben es tatsächlich seit vielen Jahren getan, bei den Big-Brother-Awards haben wir nicht ohne Grund halt Unternehmen wie Microsoft, Facebook, Google und die Technologie der Cloud mit einem Big-Brother-Award ausgezeichnet, sozusagen mit dem Oskar für Überwachung, aber das heißt nicht, dass ich mich freue, sondern ich finde, diese Bestätigung doch jetzt sehr beunruhigend, und das ist das, was mich umtreibt.

Timm: Big-Brother-Award ist eine Auszeichnung, die Sie vergeben an obsessive Datensammler, also eine negative Auszeichnung, und die hat zum Beispiel die Deutsche Bahn mal bekommen. Und Sie treten dann auf mit einer wirklichen Datenkrake, so ein Tierchen, was Sie dann immer so mitnehmen, aus Stoff und Plastik. Werden Sie das jetzt einmotten, weil es angesichts des Ausmaßes der Möglichkeiten vielleicht doch ein bisschen zu niedlich ist?

Tangens: Nein, ich glaube, das Bild ist ziemlich gut, und als ich gerade das Zitat von der Vernebelung gehört habe, das machen Kraken ja auch, also, dass sie so eine Tintenwolke ausstoßen, um zu vernebeln, was sie da so treiben. Eigentlich passt das ganz wunderbar. Und die Krake gibt es auch nicht nur in klein und niedlich, das war mal das Modell beim Bauen, sondern die gibt es auch mit 18 Meter Spannweite, die muss dann von etwa 20 Menschen getragen werden, wenn sie zum Beispiel auf einer Demonstration mitgeführt wird.

Timm: Nun hat, Frau Tangens, der NSA mittlerweile ja auch erläutert, dass man in Deutschland gerne drei verschiedene Prism-Programme zusammenwürfelt: Es gibt eines für Afghanistan, es gibt eines für interne Kommunikation und es gibt eben das, was Snowden bekannt gemacht hat, das dritte, aber darin ginge es nur um die Terrorismus und Cyberbekämpfung und nicht um ein flächendeckendes oder auch willkürliches Überwachungsprogramm. Verändert das die Diskussion?

Tangens: Nein, ich halte auch diese Aussage für Vernebelung. Also, man muss auch generell die Erklärung, dass das alles nur wegen eventuell geplanten terroristischen Anschlägen passieren würde, doch sehr in Frage stellen. Ich glaube, dass ein – oder sagen wir mal, es gibt wirklich Hinweise darauf, dass ein wesentlicher Teil dieser Überwachung auch Wirtschaftsspionage schlicht und einfach ist, also dass die Kommunikation von deutschen Unternehmen dabei sehr interessant ist für amerikanische Dienste, die diese Informationen auch einfach an amerikanische Unternehmen weitergeben.

Timm: Wie dramatisch sehen Sie denn diesen Grundkonflikt, der es letztlich ist, ein Grundkonflikt zwischen Freiheit und Sicherheitsdenken? Beides hat ja sein Recht.

Tangens: Ich finde die Frage schon falsch. Also es wird so der Eindruck erweckt, dass Freiheit und Sicherheit so in Balance gebracht werden müssten. Tatsächlich ist Sicherheit aber kein Teil unseres Grundgesetzes. Also Sicherheit wird darin nicht garantiert, das kann der Staat auch gar nicht. Innenminister Friedrich hat ein Supergrundrecht auf Sicherheit mal eben definiert, das steht aber nirgendwo. Und Freiheit kann eigentlich nur durch den Wunsch nach anderen Freiheiten eingeschränkt werden. Also zum Beispiel schränken wir die Freiheit von Unternehmen ein als Arbeitgeber, weil die Freiheit der Arbeitnehmer uns wichtig ist, und deswegen werden dafür Gesetze erlassen, die bestimmte Freiheiten einschränken. Also Freiheiten geben wir nur für andere Freiheiten auf, denn Risiko, also eine Welt ohne Risiko, damit ist eine offene Gesellschaft, eine freie Gesellschaft gar nicht denkbar.

Timm: Eine Gesellschaft ohne Risiko ist sicher nicht denkbar, aber eine Gesellschaft mit weniger Terrorismus ist natürlich auch ein Wert. Nun ist noch nicht nachgewiesen, was wirklich dadurch verhindert würde, und das würde viele interessieren. Andererseits: Kann man wirklich so weit gehen, dass man diese beiden Gedanken Freiheit und Sicherheit gar nicht wirklich in Beziehung setzt, auch mit Blick auf solche Abhörprogramme?

Tangens: Ich glaube, wenn es einem um die Sicherheit der Bevölkerung geht, dann sollte man sich den größeren Problemen der Welt annehmen. Terrorismus ist da nur unter ferner liefen. Also die zunehmende Militarisierung und Verbreitung von Waffen in der ganzen Welt, die Folgen von Klimawandel, wo immer mehr Nahrungsmittel nicht mehr angebaut werden können, der Hunger in der Welt. Das bringt Leute dazu, sich auch zu radikalisieren. Das bringt Leute dazu, tatsächlich auch über andere Möglichkeiten nachzudenken. Also wenn man somalischen Fischern ihre Fischgründe leer fischt, dann ist für sie halt die Entführung von Frachtern ein angemessenes Geschäft.

Timm: Bleiben wir trotzdem erst mal beim NSA und bei den Spionageprogrammen. Es ist ja trotzdem auffällig: Die groß angekündigten Proteste am Wochenende, die blieben ziemlich übersichtlich. Ein paar Hundert Leute in Berlin, ein paar Hundert Leute in München, in Hamburg immerhin 2.000, und insgesamt aber auf 30 Orte verteilt rund 10.000 Menschen, die protestiert haben. Vielleicht sehen die Menschen den Konflikt um Grundrechte und Ausspähmöglichkeiten nicht so dramatisch wie Sie vor dem Hintergrund, dass auch für jedes Spionageprogramm, ich sag mal, 99,99999 Prozent sowieso nicht relevant für andere ist und gar nicht angeschaut wird, so oder so.

Tangens: Ich glaube, dass der Protest, also dass das erst mal ein großes Luftholen ist. Diese Enthüllungen, die sind so unglaublich, die sind so massiv, dass die meisten Menschen erst mal ratlos sind, was sie jetzt eigentlich tun können. Und wenn wir das Gestammel unserer Politiker anhören, die also wirklich nur Ausflüchte bringen und Beschwichtigungen, dann fragt man sich halt, was man tun kann. Und ich glaube, diese Demonstration jetzt gerade war ein erster Anfang. Wir werden am 7. September wieder auf die Straße gehen, und das ist ein großes, breites gesellschaftliches Bündnis …

Timm: Und Sie sind sicher, da kommen mehr?

Tangens: Ich bin ganz sicher. Denn da sind …

Timm: Da muss man sehr nachlegen nach diesem Wochenende.

Tangens: Ja, für diese Demonstration mobilisieren wir allerdings schon seit Monaten, und zwar schon, bevor Herr Snowden die Dinge enthüllt hat. Und das Motto "Freiheit statt Angst" heißt einfach auch, wir wollen nicht uns beschützen lassen. Also diese Ausflucht halt passieren lassen. Sondern uns ist unsere Freiheit wichtig, und da rufen Berufsverbände von Journalisten, von Ärzten, von Juristen und so weiter mit zu auf, das ist ein größeres Bündnis, denke ich, als an diesem Wochenende.

Timm: Das werden wir dann sehen. Wir sprechen mit der langjährigen Datenschutzaktivistin, mit Rena Tangens. Frau Tangens, ein modernes Leben ohne Internet ist heute für die meisten Illusion. Jeder, der mal gegoogelt hat, hinterlässt Spuren. Schön ist es nicht, müssen wir vor diesem Hintergrund Privatheit auch möglicherweise neu definieren?

Tangens: Wir müssen uns immer neue Gedanken darüber machen, wie wir sie wahren können. Und natürlich will sich niemand völlig abkoppeln, aber wir müssen über unseren Konsum und die Verbindung mit der Datensammlung halt schon kritisch nachdenken.

Timm: Wie macht man das, wenn man trotzdem modern lebt und nicht aussteigen will?

Tangens: Zum Beispiel kann man anfangen, eine andere Suchmaschine als Google zu verwenden. Es gibt Suchmaschinen, die nicht in den USA angesiedelt sind, Ixquick, Startpage zum Beispiel. Oder eine Bildersuchmaschine, TinEye, und das wäre ein Anfang. Das kann man ganz individuell tun und einfach das schon mal ausprobieren. Im großen Rahmen aber fände ich, wäre es eine Maßnahme, wenn Europa eine Stiftung einrichten würde, um die Seiten zu crawlen, also die Informationen von Webseiten einzusammeln und diesen Suchindex dann europäischen Unternehmen zur Verfügung stellen würde. Ich meine nicht, dass man Google nachprogrammieren sollte und eine europäische Suchmaschine erzeugen, sondern einen Suchindex, der dann halt nicht von USA zensiert wird, der einfach allen Unternehmen für ihre Suchalgorithmen zur Verfügung steht, dann hätten wir die freie Wahl, auch Unternehmen zu nehmen, die mehr auf Privatspähre achten und vielleicht für ihren Dienst einen kleinen Obulus nehmen und das als faires Geschäft machen.

Timm: Ich bleib noch mal kurz bei jedem einzelnen von uns, Frau Tangens, wie ist das? Eine Art Datendiät ist ja das, was Sie immer empfehlen. Passen Sie auf, wo Sie Ihre Daten lassen, geben Sie nicht zu viel in Umlauf, überlegen Sie sich das, das ist ja immer der Tenor. Und andererseits werden doch schon unsere Alltagsgeräte immer vernetzter, der Kühlschrank, die Heizung, der Fernseher sowieso, alles ist vernetzt. Zeigt da wirklich eine Datendiät noch Wirkung? Kann man da wirklich was schaffen?

Tangens: Wir sagen nicht nur, dass die einzelnen Bürgerinnen und Bürger da eine Diät halten sollten, sondern wir sagen auch, dass sich grundsätzlich etwas ändern muss und dass da viele in der Verantwortung sind. Also Geräte müssen anders gebaut werden, und zwar so, dass sie datenschutzfreundlich sind, als Standardeinstellung. Das heißt, dass ich mir weniger Gedanken machen muss, weil die Einstellungen von vornherein datenschutzfreundlich sind. Ein Unternehmen sollte …

Timm: Wenn das durchgesetzt wäre.

Tangens: Wenn das durchgesetzt wäre. Und ich glaube, das Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher daran ist sehr groß. Zum Beispiel ruft auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen mit zu der Demonstration "Freiheit statt Angst" auf. Das finde ich, ist ein Meilenstein.

Timm: Die Datenschutzaktivistin der ersten Stunde und immer noch dabei, bei "Digitalcourage", Rena Tangens, sprach mit uns. Und der Traum vom freien Netz ist geplatzt, schreibt einer der bekanntesten deutschen Blogger, Johnny Haeusler, mit dem wir am Mittwoch über dieses Thema sprechen wollen, Privatheit, Datensicherheit und Kontrolle und Sicherheitsdenken in Zeiten von Geheimdienstspionage. Ich danke Ihnen, Frau Tangens, für den Besuch im Studio!

Tangens: Gerne, vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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