Plädoyer für ein würdiges Sterben

06.07.2011
Dies Buch macht einen weinen. Und es lehrt: Wenn Menschen unheilbar krank sind, dann muss man den richtigen Zeitpunkt finden, um loszulassen. Leicht ist das nicht. Doch das Buch von Wolfgang Putz und Elke Gloor zeigt eindringlich, was passiert, wenn man nicht loslässt, wenn man nichts geklärt hat für den Notfall und die Frage "Sterben (zu) dürfen" in der Hand Fremder liegt.
So wie bei Elke Gloors Mutter: Seit einer Hirnblutung 2002 lag Erika Küllmer fünf Jahre lang im Wachkoma in einem Fuldaer Pflegeheim. Eine Magensonde ernährte die alte, zahnlose Frau, deren Muskeln so stark verkümmert waren, dass die Hände sich nach innen wölbten. Durch einen Luftröhrenschnitt wurde ihr Schleim abgesaugt, wenn Erstickungsanfälle drohten. Ihre Knochen waren porös. Irreversibel, so die Diagnose. Sterben durfte sie trotzdem nicht. Ihr Leben hing an dem dünnen Plastikschlauch der Magensonde, so wollte es Küllmers Mann, so wollte es die Betreuerin vom Vormundschaftsgericht. Ein langsames Siechtum ohne Aussicht auf Heilung nimmt seinen Lauf. Ende 2006 fiel dem Sohn auf, dass der linke Arm seiner Mutter komisch verdreht wirkte. Ganze drei Wochen brauchte das Pflegeheim, um die Diagnose und gleich auch eine Therapie zu liefern: Das Schultergelenk sei ausgekugelt und der Arm selbst mehrfach gebrochen. Da sich das Gewebe entzündet habe, müsse der Arm amputiert werden.

Zu diesem Zeitpunkt aber hatten Elke Gloor und ihr Bruder schon längst den auf Sterberecht spezialisierten Anwalt Wolfgang Putz engagiert, um der Mutter endlich ein würdiges Sterben zu ermöglichen. Da eine schriftliche Patientenverfügung fehlte, die Tochter aber mit der Mutter - als diese noch gesund war - über den Ernstfall gesprochen hatte, war klar: Erika Küllmer wollte nie künstlich am Leben erhalten werden.

Ein zäher Streit begann. Ein Streit, in dem es kein Gut und kein Böse gibt. In dem aber zwei Auffassungen miteinander ringen, wann man sterben darf und wann nicht. Auch davon erzählt dieses bewegende Buch: von einem der größten Prozesse in Sachen Sterbehilfe. 2010 fand er vor dem Bundesgerichtshof statt, und ein bahnbrechendes Urteil wurde gefällt.

Nachdem die Betreuerin vom Vormundschaftsgericht entlassen worden war und Tochter und Sohn die Vormundschaft übernommen hatten, sollte Erika Küllmer Ende 2007 endlich sterben dürfen. Die lang erkämpfte Einverständniserklärung des Arztes lag vor, die Magensonde war abgestellt, und die Kinder wollten die letzte Pflege übernehmen - als plötzlich das Heim anordnete, die Mutter sei wieder zu ernähren. Es sei Weihnachten, da solle niemand sterben, so die Heimleiterin. Man stellte Elke Gloor vor ein Ultimatum: Entweder sie und ihr Bruder erklären sich mit der neuerlichen künstlichen Ernährung einverstanden, oder man werde ihnen Hausverbot erteilen. Elke Gloor rief ihren Anwalt an und Wolfgang Putz entschied: "Schneiden Sie den Schlauch der Magensonde durch." Sie tat es. Und beide - Elke Gloor und ihr Anwalt wurden wegen versuchter Tötung angeklagt. Sie wurde frei gesprochen. Er wegen versuchten Totschlags vom Landgericht Fulda zu neun Monaten auf Bewährung schuldig gesprochen.

Erst in der Revision vor dem Bundesgerichtshof bekam der Anwalt recht. Und wurde frei gesprochen. Seither gilt: Kein Arzt darf das Sterben eines Menschen verhindern, wenn bekannt ist, dass dies gegen den erklärten Willen des Patienten geht - auch dann nicht, wenn es technisch möglich ist. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie darf nicht verletzt werden, auch nicht durch Intensivmedizin.

Und so erzählt dieses Buch auch von Ärzten und Pflegern, die Patienten ohne jede Aussicht auf Verlängerung der Lebenszeit diskussionslos weiter behandeln. Gerade sie müssen sich zukünftig fragen: Dürfen wir das noch? Nicht um jeden Preis, so die kluge und mutige Antwort von Wolfgang Putz und Elke Gloor.

Besprochen von Kim Kindermann

Wolfgang Putz/ Elke Gloor,
Sterben dürfen, Hoffmann und Campe, Hamburg 2011,
208 Seiten, 18,00 Euro

Links bei dradio.de:
Chefarzt: Todkranken aussichtsloses Leiden ersparen
Der Mediziner kritisiert "ethische Bastapolitik" bei der ärztlichen Hilfe zum Suizid (DKultur)

"Ethisch freie Zone" - Westfälisch-lippische Ärztekammer warnt vor einem Dammbruch beim Thema Sterbehilfe
Mehr zum Thema