Plädoyer für die Intoleranz

Rezensiert von Cora Stephan · 07.09.2008
Wenn Ehrenmorde als ganz normale Verbrechen eingestuft werden, wenn Terroristen zu Widerstandskämpfern umdeklariert werden oder wenn Kindermörder Prozesskostenhilfe bekommen, dann hat das für Henryk M. Broder nichts mehr mit Toleranz zu tun, sondern wird gefährlich für unsere Gesellschaft.
Für alle, die nicht gleich an das Wort "repressiv" denken, wenn sie "Toleranz!" hören, bezeichnet das Wort einen Wert an sich: Wer nicht tolerant ist, ist unduldsam, spießig, kleinkariert oder womöglich schlimmeres. Ich jedenfalls erinnere mich nur zu gut daran, wie ein Taxifahrer mich als "Faschistin" beschimpfte – weil ich mich empört über einen sogenannten Ehrenmord an einem türkischen Mädchen geäußert hatte – den jungen Kollegen, der sich meine Äußerung stumm angehört hatte, hingegen als "tolerant!" fast umarmt hätte.

Womit wir beim Thema wären: Wer Henryk M. Broder kennt, den überaus konfliktfreudigen Börne-Preisträger, wird sich denken, dass ihm jene verlogene Toleranz zuwider ist, mit der das Übel hingenommen wird, weil sonst ein womöglich schlimmeres drohen könnte. Eine Toleranz, die verkennt, dass sie ein willkommenes Geschenk an die Intoleranz ist:

"Eine (...) Toleranz gegenüber Menschen und Kulturen, die ihrerseits nichts von Toleranz halten und die von der Idee der eigenen Überlegenheit dermaßen durchdrungen sind, dass sie es für das Beste halten, wenn die Welt ihrem Beispiel folgt. Eine (...) Toleranz, die von der Gleichwertigkeit aller Lebensstile ausgeht und deswegen ‚Ehrenmorde’ für ganz normale Verbrechen hält, die entweder nichts mit dem kulturellen Hintergrund der Täter zu tun haben oder mit diesem entschuldigt werden. Eine (...) Toleranz, die Terroristen zu ‚Widerstandskämpfern’ umdeklariert und ihnen romantische Motive anhängt. Eine (...) Toleranz, die davon lebt, dass sie Ursache und Wirkung verwechselt, die mit den Tätern gegen die Opfer paktiert. (...) Dermaßen praktiziert, ist Toleranz die Anleitung zum Selbstmord. Und Intoleranz eine Tugend, die mit Nachdruck vertreten werden muss. Davon handelt dieses Buch."

Es ist jedoch nicht nur die gebückte Haltung, mit der man sich hierzulande bevorzugt dem Islam nähert, die Broder zur Weißglut reizt. Wer einen Freibrief für Intoleranz auch in anderer Hinsicht sucht, darf bei Broder unterschreiben: Bei ihm werden weder nölende Kleinkinder noch randalierende Halbwüchsige noch Sozialhilfeempfänger toleriert, die sich hierzulande frei entfalten dürfen, weil

"der dumme Rest, der bei Opel am Fließband steht, dafür aufkommt."

Starke Töne in einem Land, in dem sich die Polizei laut Broder beständig dafür zu entschuldigen scheint, dass es sie noch gibt. Prompt hat sich Broder von Linksaußen den Vorwurf abgeholt, Rechtsaußen zu sein. Das verkennt den Oberpolemiker in jeder Hinsicht – bei ihm kriegen im Prinzip alle ihr Fett weg: verdeckt operierende Antisemiten, politisch verblendete Berliner Intendanten wie Claus Peymann und Widerstandskämpfer wie Jürgen Todenhöfer, der es einfühlend versteht, dass und wie im Irak gegen die amerikanische "Besatzung" gekämpft wird. Auch Polizei und Justiz werden abgewatscht, die mit jugendlichen Gewalttätern mit Migrationshintergrund nicht fertig werden, weil es jahrzehntelang zum Gebot der Toleranz gehörte, zu verschweigen, dass es dort ein Problem besonderen Ausmaßes geben könnte.

Schon richtig: Broder geißelt bevorzugt das linke juste milieu, dem astrein edle Motive genügen, egal, welche Dummheit und welche Monster sie gebären.

"Es geht um die Infantilisierung der politischen Kultur. So wie eine Horde ungezogener Kinder jedes Gartenfest in einen Horrortrip verwandeln kann, so können ein paar tausend kreischender, knüppfelschwingender Fanatiker dem Rest der Welt ihren Willen aufzwingen. Sie können es, weil sie dazu entschlossen sind und außer ihrem Leben nichts zu verlieren haben, während der Rest der Welt schon Hemmungen hat, sich selbst ‚zivilisiert’ zu nennen, um die anderen nicht zu kränken."

Für solche Formulierungen hassen ihn die einen und lieben ihn die anderen. Denn das ist in der Tat die Schwäche des Westens, der überzeugtem Fanatismus nichts entgegenzusetzen hat: Denn wir verstehen Fanatiker erst gar nicht – vor allem nicht ihren Affekt gegen das, was ihnen doch erst den Raum für ihre Entfaltung gibt: die Toleranz, die ihnen lediglich als Schwäche gilt, die man ausnutzen kann. Der iranische Präsident hat es auf den Punkt gebracht:

"Wir danken Gott, dass er es so eingerichtet hat, dass unsere Feinde Idioten sind."

Gegen soviel Selbstbewusstsein verfängt das friedliebende Credo nicht, das sich im Satz erschöpft, man müsse endlich miteinander reden – mit jenen politischen Strömungen, die just daran nicht das geringste Interesse haben. Wer "den Islam als eine intolerante Religion bezeichnet", schleuderte das pakistanische Parlament dem Papst entgegen, "der fordert Gewalt heraus." Schöner kann man es nicht sagen.

Wer Broder Islamophobie vorwirft, wird vergebens nach seinen persönlichen Tipps für einen neuen Kreuzzug suchen. Wer von ihm gute Ratschläge erhofft, wie man es denn es besser machen könnte, greift ebenfalls ins Leere. Broder hat, mal abgesehen von den polemischen Nadelstichen, auf die er sich versteht, eine umfangreiche Materialsammlung vorgelegt, die vor Augen führt, wie nah Toleranz an Dummheit liegen kann. Denn die islamische Welt hat den Westen nie im Unklaren darüber gelassen, was sie von seinen Freiheitswerten hält - oder gar von Menschenrechten, sofern zu den Menschen auch Frauen gezählt werden: wenig bis nichts.

Die einen mag die Lektüre dieses Buchs zornig machen – auf den Autor, weil er ausspricht, was viele nicht hören wollen. Oder, besseren Falls, auf die Verhältnisse, die er seziert. Die anderen macht sie traurig: Darüber, dass wir von alledem selbst so wenig halten, worüber die anderen glauben spotten zu dürfen: Von der Schönheit und Herausforderung, in einem freien Land zu leben.

"Kaum jemand traut sich, aus der Reihe zu treten und zu sagen: Unsere politische Kultur ist nicht ideal, nicht perfekt und nicht vollkommen, aber die beste, die wir je hatten und um Lichtjahre besser als die politischen Kulturen in den Ländern, aus denen die Migranten kommen. So etwas zu sagen, käme einem Super-Gau gleich, eher könnte es passieren, dass Verona Pooth zur Intendantin der Bayreuther Festspiele ernannt wird.
Aber: So viel Intoleranz muss sein, der Klarheit zuliebe."

Henryk M. Broder: Kritik der reinen Toleranz
WJS Verlag, Berlin 2008
Henryk M. Broder: Kritik der reinen Toleranz
Henryk M. Broder: Kritik der reinen Toleranz© WJS Verlag