Piraten im Spagat zwischen Professionalisierung und Basisdemokratie

Carsten Koschmieder im Gespräch mit Susanne Führer · 30.04.2012
Aufgrund ihres Wachstums und der Arbeit in den Parlamenten müsse sich die Piratenpartei professionalisieren, sagt der Politologe Carsten Koschmieder. Der erste Schritt dazu sei mit der Wahl von Bernd Schlömer zum neuen Bundesvorsitzenden geschehen. Der Hype um die Piraten werde aber in dem Maße abflauen, in dem sich die Partei gezwungen sei, schnelle Entscheidungen zu treffen.
Susanne Führer: Neun Mitglieder hat der neue Bundesvorstand der Piraten. Auf dem zweitägigen Parteitag in Neumünster wurde Bernd Schlömer zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt, der neue politische Geschäftsführer heißt Johannes Ponader. Ja, und sonst? Hat sich noch etwas ereignet? Wie steht die Piratenpartei eigentlich jetzt da? Darüber will ich mit den Politologen Carsten Koschmieder von der FU Berlin sprechen, schön, dass Sie hier sind, guten Tag, Herr Koschmieder!

Carsten Koschmieder: Hallo!

Führer: Man spricht ja im Allgemeinen davon nach so einem Parteitag, dass dann dieses oder jenes Signal von diesem Parteitag ausgegangen sei. Hat dieser Parteitag der Piraten auch ein Signal ausgesandt und wenn ja, welches?

Koschmieder: Also, ein Signal, das die Piraten auf jeden Fall aussenden wollten, ist die klare Positionierung gegen rechtsextreme Tendenzen innerhalb der Partei. Da gab es in den letzten Wochen sehr viele Debatten drum und das war den Piraten sehr, sehr wichtig, dass das auch nach außen deutlich kommuniziert wird. Das ist jetzt nicht unbedingt neu, also, das stand schon vorher im Programm, in der Satzung, dass man gegen solche Bestrebungen ist, aber eben, dass es auf dem Parteitag noch mal deutlich beschlossen wurde, und zwar ohne Gegenstimme, also sozusagen ein wirklich eindeutiges Signal. Das war den Piraten wichtig. Und ansonsten, finde ich, ist es relativ viel Kontinuität. Also, es gibt kein Signal im Sinne von wir machen jetzt etwas ganz anders oder so.

Führer: Ja, ich habe gedacht, auch im Vergleich zu früheren Grünen-Parteitagen, mit denen die Piraten ja immer gerne verglichen werden, ging es ja auffällig ruhig zu. In der "FAZ" steht heute zum Beispiel, die einzig Aufgeregten waren die Journalisten, die da rumgewuselt sind. Der neue Bundesvorsitzende heißt Bernd Schlömer. Wofür steht er, kann man das sagen? Steht er für irgendeinen Flügel?

Koschmieder: Also, er ist von den drei Kandidaten, die eine reelle Chance hatten, gewählt zu werden, ist er sozusagen die Mitte. Er ist etwas politischer, sagen wir mal, als der bisherige Vorsitzende Nerz, der ja gesagt hat, er hält sich völlig raus, er sagt gar nichts und berichtet nur, was im Parteiprogramm steht sozusagen, also zugespitzt. Da will Schlömer schon, sagen wir mal, mehr Initiative zeigen, auch mehr sich in die politische Debatte einbringen. Aber er ist weniger, sagen wir, politisch als Julia Schramm, die ja auch noch zur Wahl gestanden hat und die sozusagen wirklich sehr deutlich Führung gezeigt hätte in der Partei. Also, er ist irgendwo da in der Mitte zwischen, er ist moderat, was die politische Außendarstellung angeht, aber er will eben schon, sagen wir, die Partei nach außen hin stärker profilieren, als das bisher der Vorsitzende getan hat.

Führer: Er selbst hat heute Morgen in unserem Schwesternprogramm, im Deutschlandfunk, gesagt, der Bundesparteitag wäre ein Signal, dass es nicht um Änderung geht, sondern um Kontinuität.

Koschmieder: Ja, im Prinzip ist es so. Er war vorher stellvertretender Vorsitzender, also Schlömer, er war davor Schatzmeister, er ist seit Langem im Bundesvorstand, der bisherige Vorsitzende ist nicht irgendwie abgewählt und rausgeflogen, sondern er ist jetzt Stellvertreter geworden, also ...

Führer: ... die haben die Plätze gewechselt ...

Koschmieder: ... genau, also, ja, es ist an der , an der Spitze ist relativ viel Kontinuität, ja.

Führer: Ich fand ja interessant, dass Sie gerade zur Beschreibung Bernd Schlömers und Julia Schramms gesagt haben politisch oder weniger politisch. Weil ich mich so gefragt habe, wie man denn – auch in so einer Partei wird es ja verschiedene Flügel geben –, wie man die wohl bezeichnet. Bei den Grünen sagt man Fundis und Realos, bei der CDU gibt es den wirtschaftsliberalen Flügel, bei der SPD gibt es die Linken und die Konservativen, und Sie würden da eine Trennung machen zwischen politisch und nicht politisch oder weniger politisch?

Koschmieder: Das sind keine Flügel in den Parteien, sondern das sind sozusagen die Berufsauffassungen der Vorsitzenden. Also, der Nerz hatte als seine Auffassung von dem Amt, okay, er hat keine eigene Meinung, und selbst wenn er eine hat, dann sagt er die nicht. Und er sagt auch nichts über Debatten in der Partei, sondern er sagt wirklich nur, das fordern wir, weil es dazu einen Beschluss gibt. Und wenn er was anderes gefragt wurde, sagte er immer – und darüber wurde sich ja auch viel lustig gemacht –, da haben wir noch keine Position zu. Und da will Schlömer etwas mehr sozusagen politisch sein, indem er sagt, das ist ein spannendes Thema, da haben wir zwar noch keine abschließende Position zu, aber wir haben in Arbeitsgruppen dieses und jenes diskutiert und wir könnten uns dieses und jenes vorstellen. Also, das meinte ich damit.

Führer: Und wie bewerten Sie das, als einen Schritt auf dem Weg hin zur Professionalisierung?

Koschmieder: Ja, ein kleiner Schritt auf dem Weg hin zu Professionalisierung. Der wichtigere Schritt wäre, dass man sich einfach zu den verschiedenen Punkten im Programm mal was überlegt. Aber es ist auf jeden Fall für die intensive Medienberichterstattung, die es über die Piratenpartei gibt, notwendig, dass nicht – denn das ist ja wirklich in der Öffentlichkeit jetzt auch schon als etwas albern wahrgenommen worden, dass auf zwei Drittel der Fragen der Vorsitzende der Partei sagt, damit haben wir uns nicht beschäftigt oder darüber haben wir keinen Beschluss und darum kann ich dazu nichts sagen. Und dass das jetzt nicht mehr oder sehr viel weniger vorkommt, ist auf jeden Fall wichtig, ja.

Führer: Aber interessant finde ich ja trotzdem auch, dass nach zwei Tagen Parteitag mit Tausenden von Teilnehmern im Grunde genommen nur eine neue Führungsriege gewählt wurde. Also, inhaltliche Beschlüsse bis auf den Rechtsextremismusbeschluss wurden ja nicht weiter gefasst. Selbst also diese Geschäftsordnungsanträge also wurden auch nicht bewilligt, also, was Herr Schlömer gerne wollte, dass die Führungsposten eben also länger bleiben, er ist auch weiterhin nur ein Jahr im Amt, was ja eine sehr kurze Zeit ist, die Führungsposten bleiben weiterhin ehrenamtlich. Da scheint wirklich in dieser jungen, quirligen Partei plötzlich der Konservatismus ausgebrochen zu ein, alles bleibt so, wie es ist?

Koschmieder: Also, bei dieser konkreten Frage geht es darum, dass die Basis in der Partei sehr skeptisch ist gegenüber Berufspolitikern. Also, der Bundesvorstand wird ja auch nicht bezahlt, er macht das ehrenamtlich, weil man eben an der Basis sagt, sonst gibt es Strukturen, dann festigt sich was und dann gibt es sozusagen eine Machtkonzentration im Vorstand und deswegen auch nur ein Jahr Bundesvorstand. Und ansonsten, es war tatsächlich ein Parteitag, der nur dafür da war, das Personal zu wählen. Die Piraten machen immer zwei Parteitage im Jahr, einen Programmparteitag und einen Wahlparteitag, und es war sozusagen nicht vorgesehen, dass auf diesem Parteitag jetzt viel Inhaltliches diskutiert wurde. Das liegt auch daran, dass eben jeder Kandidat bei den Piraten, also, jeder kann kandidieren für den Bundesvorstand und jeder Kandidat kann sich vorstellen und jeder Kandidat bekommt Zeit, befragt zu werden und sich zu präsentieren. Und deswegen dauert es einfach irrsinnig lange, während es bei anderen Parteien halt klar ist, okay, es gibt nur zwei aussichtsreiche Kandidaten, die beiden halten eine Grundsatzrede, dann wird abgestimmt und dann ist fertig. Und das dauert deswegen bei den Piraten einfach länger.

Führer: Ich spreche im Deutschlandradio Kultur mit dem Politologen Carsten Koschmieder über die Piraten. Herr Koschmieder, das ist ja so eine merkwürdige Geschichte mit den Piraten, man hat so den Eindruck, je größer sie werden, desto erfolgreicher. Das birgt sozusagen auch zugleich vielleicht den Keim ihres Untergangs in sich, denn die Basisdemokratie, was den Piraten ja so wichtig ist, wird ja immer schwieriger. Es wird ja immer schwieriger sein, die ins Werk zu setzen, wenn dann irgendwann die Mitgliederzahl von 30.000 überschritten sein wird?

Koschmieder: Und es gibt in der Partei auch erste Stimmen, die sagen, wir müssen uns davon wegbewegen, wir müssen gucken, wie wir das besser machen können. Der Spitzenkandidat für Nordrhein-Westfalen jetzt beispielsweise sagt, Politik funktioniert nicht so, dass man bei jeder Kleinigkeit die Basis fragt. Also bei großen Fragen ja, aber sonst müssen eben die Abgeordneten oder die Spitzenpolitiker auch eigenständig entscheiden können. Also, diese Debatte gibt es in der Partei bereits, weil denen, die sich mit Politik ein bisschen auskennen, natürlich klar ist, dass es auf Dauer und wenn man weiter wächst nicht so funktionieren kann. Und man sieht ja jetzt auch schon die, wenn man sich anguckt ... Also, es gibt 30.000 Mitglieder, von denen zahlen vielleicht nur 10.000 einen Beitrag und sind deswegen stimmberechtigt, aber trotzdem gibt es wesentlich mehr Mitglieder als auf diesem Parteitag waren. Das heißt, man könnte überlegen, ob es nicht demokratischer wäre, ein Delegiertenprinzip einzuführen, einfach damit alle vertreten sind. Und so ist es ja, dass die kommen, die sich es zeitlich, finanziell, wie auch immer leisten können. Und da wird ja auch schon diskutiert, kann man das beibehalten, kann man den nächsten Parteitag oder den übernächsten, wenn die Partei weiter gewachsen ist, immer noch einfach als Mitgliederversammlung irgendwo machen oder muss man nicht da auch neue Wege gehen. Das wird in der Partei diskutiert, beispielsweise irgendwie dezentral und dann übers Internet verbunden oder so, aber da sind sie sich noch nicht einig.

Führer: Ja, aber das Erfrischende und das Neue und das Attraktive für viele an den Piraten war ja gerade dieser Prozess: Alle reden mit, alle bestimmen mit. Und was wird davon dann noch übrig bleiben, wenn das dann nicht mehr passieren wird?

Koschmieder: Der Hype, der momentan um die Piraten gemacht wird in den Medien, und auch dieses Umfragehoch wird abflauen in dem Maße, in dem sich die Partei professionalisiert, was durch das Wachstum, aber auch durch die Arbeit in den Parlamenten passieren wird, passieren muss. Wenn es also beispielsweise Abgeordnete gibt, möglicherweise eine Bundestagsfraktion, die über finanzielle Mittel verfügt, die über Ressourcen verfügt, die zu allen Fragen was sagen muss und zwar schnell und nicht erst nach einer langen Abstimmung in der Basis oder so, dann wird sich die Partei professionalisieren. Und das wird die Leute, die sagen, ich will die Piraten, weil ich mit dem Politikbetrieb, den anderen Parteien so unzufrieden bin, das wird die desillusionieren und enttäuschen, weil sie merken, okay, die Piraten sind, wenn sie wirklich Politik machen und wenn sie eine richtige Partei geworden sind, dann sind sie irgendwie auch so ähnlich. Natürlich behalten sie sich einiges noch übrig an dem, was sie jetzt anders machen, aber eben nicht alles. Und das wird dann den ein oder anderen enttäuschen, ja.

Führer: Würden Sie denn auch sagen, das große Verdienst der Piraten ist, dass sie eben viele, die sich bisher abgewandt hatten von der Politik, dass sie das geschafft haben, die für die Politik zu interessieren? Oder sehen Sie eher die Gefahr, dass die jetzt enttäuscht werden und sich dann noch nachhaltiger wieder von der Politik abwenden werden?

Koschmieder: Nein, also, wer vorher enttäuscht war und durch die Piraten zur Politik zurückgekommen ist, der kann ja im schlimmsten Fall nur wieder enttäuscht werden. Also, das halte ich auf jeden Fall für ein großes Verdienst der Piratenpartei. Ich bin allerdings sehr kritisch bei der Kommunikation der Piratenpartei über die anderen Parteien. Also, wenn die Piratenwähler den Piraten zuhören und die ihnen sagen, ja, die anderen Parteien sind böse, tun aus Gemeinheit nichts mehr fürs Volk und so weiter, also, was da wirklich so gesagt wird teilweise auch von den Vorsitzenden, dann führt das meiner Meinung nach dazu, dass die, die vorher von dem politischen System schon enttäuscht waren, jetzt nicht zurückkommen ins politische System, sondern eben nur zu den Piraten, und nicht sagen irgendwie sagen, okay, Politik ist doch nicht so schlimm, sondern nur die Piraten sind nicht so schlimm, aber Politik an sich und die anderen Parteien sind immer noch furchtbar. Das finde ich kritisch.

Führer: Wagen Sie kurz zum Schluss eine Prognose, werden sich die Piraten als dauerhafte Kraft im deutschen Parteienspektrum etablieren?

Koschmieder: Als Protestpartei nicht, das wird, wie gesagt, abnehmen mit der Professionalisierung. Aber wenn sie es schaffen, ein gutes Programm zu finden, wichtige Themen zu besetzen und die mit Inhalten zu füllen und auch mit klugen Köpfen und mit guter Arbeit in den Parlamenten, dann haben sie eine Chance. Ob sie das schaffen, weiß ich natürlich nicht.

Führer: Carsten Koschmieder ist Politologe an der Freien Universität Berlin und war bei uns zu Gast im Studio. Ich danke Ihnen für den Besuch, Herr Koschmieder!

Koschmieder: Gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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