Pionier beim Datenschutzgesetz

"Eine originär hessische Erfindung"

Zwei Überwachungskameras an einer Hauswand.
In den 1970er-Jahren waren die Möglichkeiten zur Datensammlung noch begrenzt, doch Hessen erkannte die Herausforderungen früh. © imago / Rüdiger Wölk
Von Ludger Fittkau · 31.01.2018
Wenn es um Datenschutz geht, kommen die Vorgaben heutzutage vor allem aus Brüssel. Das war früher anders: Bereits in den frühen 1970er-Jahren erkannte Hessen die Herausforderungen durch die Digitalisierung und erließ das erste Datenschutzgesetz weltweit.
"Datenschutz ist eine originär hessische Erfindung, die weltweit Karriere gemacht hat."
Sagt der heutige hessische Datenschutzbeauftragte Michael Ronellenfitsch. Es war ein Mann namens Willi Birkelbach, der 1971 vom hessischen Landtag zum ersten Datenschutzbeauftragten der Welt gewählt wurde. Damals hieß er offiziell noch "Ombudsmann für Datenschutz":
"Wir haben das erste Datenschutzgesetz der Welt geschaffen und den ersten Datenschutzbeauftragten berufen. Das heißt, die Konzeption ist hier in Hessen entwickelt worden. Und da ich selbst dazu beigetragen habe, das in das damals in der Beratung befindliche Gesetz mit hinein zu bringen, konnte ich gar nicht nachher der Bitte des Ministerpräsidenten ausweichen, das selbst in die Hand zu nehmen und zu etablieren."
Willi Birkelbach erinnert später im Hessischen Rundfunk daran, dass Hessen an der Wende von den 1960er zu den 1970er Jahren große Krankenhausneubauten errichtete. In den Kliniken sollten sensible Patientendaten ebenfalls erstmals zentral per EDV erfasst werden:
"Während dem früher alle möglichen personenbezogenen Daten, also zum Beispiel Krankeitszustand, Krankheitshäufigkeit unter Umständen aber auch Informationen über den Werdegang und so weiter in verschiedenen Akten, an verschiedenen Stellen lagen, wurde es durch diese neue Methode plötzlich möglich, alle derartigen Informationen auf Knopfdruck auch bei einer zentralen Stelle abzurufen. Und in dem Augenblick, in dem man das erkannte, wusste man, dass ein zu großes Risiko gab, das der einzelne Mensch sich ständig überwacht und kontrolliert fühlt."

Der Beginn der EDV-gestützte Datensammlungen

Michael Ronellenfitsch, der heutige hessische Datenschutzbeauftragte, weist darauf hin, dass Hessen Ende der 60er-Jahre bundesweit auch ein Vorreiter bei Schulreformen war. Und für neue Schulformen wie Gesamtschulen wollte man ebenfalls EDV-gestützte Datensammlungen verwenden, so Ronellenfitsch:
"Das war die große Zeit der Schulreformen in Hessen. Und man benötigte Daten. Und die Volkszählung deutete sich an. Und man befürchtete den gleichen Widerstand wie in den Vereinigten Staaten und deswegen hat der Ministerpräsident Zinn seinen im Staatsministerium leitenden Beamten beauftragt, hier was zu tun und dann haben die ein Datenschutzgesetz erlassen."
Jahrzehnte nach Verabschiedung des ersten Datenschutzgesetzes der Welt beschreibt der erste hessische Datenschutzbeauftragte Willi Birkelbach, dass es aber auch grundsätzlich die Angst vor der Totalüberwachung im anbrechenden Computerzeitalter war, die die hessische Landespolitik schon damals bewegte:
"Dass alles sich so entwickeln könnte, dass man zum Schluss sich findet, wie wir das damals ausgedrückt haben, wie ein ‚Goldfisch im Spiegelglas‘, der dauernd von allen Seiten her beleuchtet wird und das wird dann noch gespeichert. So dass man noch nachträglich noch Situationen aufrufen kann, von denen niemand sonst Kenntnis genommen hätte. Wenn man das ganze verbindet mit dem, was man heute Rasterfahndung nennt, ist kein Mensch mehr frei. Jeder Mensch auf der Welt könnte auf diese Weise erfasst werden."
Der SPD-Politiker Willi Birkelbach wurde auch deswegen der erste Datenschutzbeauftragte des Landes, weil er ein besonders glaubwürdiger Politiker der hessischen Sozialdemokraten war. Er hatte während der Nazizeit wegen Widerstandsaktivitäten zweieinhalb Jahre in Haft gesessen und wurde nach der Befreiung vom Nationalsozialismus Mitglied des ersten Bundestages. Seit Mitte der 60er-Jahre war Willi Birkelbach Chef der Wiesbadener Staatskanzlei. Mit dem Einzug des Computers in die Landesverwaltung machte er den Datenschutz zu seiner Leidenschaft.

Von Hessen nach Schweden

Von 1971 bis 1975 war Willi Birkelbach im Amt des Landesdatenschützers. Andere Bundesländer und Nationalstaaten folgten schnell dem Wiesbadener Weg und verabschiedeten ebenfalls eigene Datenschutzgesetze, so der heutige hessische Datenschutzbeauftragte Michael Ronellenfitsch:
"Unmittelbar nach Hessen kam das unmittelbare Nachbarland, das war Rheinland-Pfalz. Die dritte Instanz war dann Schweden, die Hessen kopiert haben und dann haben allmählich der Bund und sukzessive die anderen Bundesländer gebraucht gemacht vom Datenschutz. Die Formulierungen waren etwas moderner, weil die Gesetze neuer waren, aber die waren qualitativ nicht besser."
1975 übernahm Spiros Simitis, der Bruder des ehemaligen griechischen Ministerpräsidenten Konstantinos Simitis das Amt des hessischen Datenschutzbeauftragten von Willi Birkelbach. Simitis hatte bereits 1990 klar vor Augen, dass Datenschutz im Computerzeitalter auch starke technische Komponenten haben muss:
"Der Datenschutz ist an einem ganz kritischen Punkt angelangt. Wenn es nicht gelingt, so etwas wie eine Datenschutztechnologie zu entwickeln, wenn es also nicht gelingt, in die Personal-Computer, in die ISDN-Netze Datenschutzvorkehrungen einzubauen, sie von Anfang an bei der Produktion zu berücksichtigen, dann nutzen alle Gesetze überhaupt nichts. Schon immer war der Datenschutz ein Problem für all diejenigen, die sich mit der technischen Entwicklung auseinandersetzen. Er ist vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung entstanden, er kann nur bestehen, wenn er diese technische Entwicklung sich zu Nutze macht."

Heute kommen die Gesetze aus Brüssel

Der aktuelle hessische Datenschutz-Beauftragte Michael Ronellenfitsch sieht heute nicht mehr den Staat, sondern Internetmultis wie Google- oder Facebook als Hauptherausforderung für den Datenschutz. Längst seien nicht mehr Landesgesetze wie in Hessen entscheidend, sondern etwa neue europäische Datenschutz-Richtlinien:
"Durch die neuen europäischen Regelungen haben wir jetzt Instrumentarien in der Hand, Bußgeldbescheide, die wehtun, dass man mit den Großunternehmen auch zu Rande kommen kann."
Das alte hessische Datenschutz-Thema des "Goldfisches im Spiegelglas" wird also heute nicht mehr vorrangig in Wiesbaden oder auch in Berlin angepackt –sondern vor allem in Brüssel.
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