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EU-Türkei-Vereinbarung
"Türkei hat ein großes Eigeninteresse an dem Deal"

Der Flüchtlingsdeal steht auf wackeligen Füßen, gleichzeitig hofft der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan weiter auf den EU-Beitritt an. Trotz der ständigen Provokationen gelte es nun die Nerven zu behalten, sagte Elmar Brok (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments, im DLF. Die Türkei habe schließlich auch ein großes Eigeninteresse an den Vereinbarungen.

Elmar Brok im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 10.05.2016
    Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments (CDU) bis 2017, aufgenommen am 10.04.2016 während der ARD-Talksendung "Anne Will".
    Elmar Brok, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments (CDU) bis 2017 (picture alliance/dpa - Karlheinz Schindler)
    In der derzeitigen Diskussion um den Flüchtlingsdeal sei bei der Türkei "viel Rhetorik drin. Wir sollten die Nerven behalten und nicht auf die erratischen Beschimpfungen reagieren", sagte Elmar Brok.
    Brok betonte, dass auch die Türkei und Erdogan ein großes Eigeninteresse an solch einer Vereinbarung hätten und auch Erdogan sich seit Langem für die Visumsfreiheit einsetzten würde. Deshalb müsse man Ruhe bewahren und dafür sorgen, dass die Gespräche für die von der EU geforderte Änderung der Anti-Terrorgesetzte wieder aufgenommen werden. Diese gelten als Voraussetzung für die geplante Visafreiheit der Türken. Präsident Erdogan weigert sich allerdings, diese zu entschärfen. Von diesen Bedingungen dürfe man aber nicht abrücken, so Brok.
    Es gelte zwischen der Visafreiheit und dem Beitritt zur EU zu unterscheiden. Man müsse genau schauen, was für diese Vereinbarung notwendig ist und "wie weit Erdogan zu bewegen ist", so der Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments. "Unserer Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit gibt es in Dreiviertel dieser Staaten der Erde nicht", sagte Brok. Zudem habe sich die Türkei bisher an ihren Teil der Abmachung gehalten. Es gebe fast kaum mehr Flüchtlinge aus der Türkei. "Gegen die Menschenhändler an der türkischen Küste wird offensichtlich vorgegangen, das sind gute Meldungen", so Brok.
    Den Rücktritt des österreichischen Kanzlers Werner Faymann bezeichnete Brok als Lehrstück. "Wer sich mit Populisten ins Bette legen möchte, kommt dabei um", so Brok weiter.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Der Flüchtlingsdeal zwischen der EU und der Türkei, der steht zunehmend auf wackligen Füßen. Diesen Anschein hat es zumindest, wenn man sich anguckt, was da derzeit ausgetauscht wird an verbalen Noten zwischen Ankara und der EU. Zwar kommen tatsächlich kaum noch Flüchtlinge aus der Türkei auf der europäischen Seite in Griechenland an, aber die Türkei hat ja als Gegenleistung in diesem Pakt eine Erleichterung in der Visa-Politik gefordert und damit sieht es zurzeit schwierig aus. Denn Präsident Erdogan denkt nicht daran, die umstrittenen Anti-Terror-Gesetze in seinem Land zu ändern. Für die Partner in der EU ist das allerdings eine Kernbedingung für freien Visaverkehr.
    Am Telefon hier im Deutschlandfunk ist jetzt Elmar Brok von der CDU, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament. Schönen guten Morgen, Herr Brok.
    Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr Brok, wie lange hält dieser Deal mit der Türkei noch?
    Brok: Die Türkei ist in einem Machtkampf, den Erdogan jetzt für sich entschieden hat. Da ist viel Rhetorik im Spiel. Aber ich weiß, dass Erdogan selbst großes Interesse an dem Deal hat, weil er dringend braucht bessere Beziehungen zur Europäischen Union, um seine Wirtschaft wieder flott zu machen, weil keine Investitionen in der Türkei aus dem Ausland kommen, aus der Europäischen Union.
    Er kämpft selbst seit Langem für eine Visa-Freiheit und er braucht Unterstützung für die Flüchtlinge, die sich seit vier Jahren in seinem Land aufhalten, Flüchtlinge, die viel Geld kosten und wo er Unterstützung braucht. Deswegen gibt es ein Eigeninteresse daran in der Türkei an einer solchen Vereinbarung und deswegen ist es notwendig, dass wir in diesen Tagen ruhig bleiben, diese Auseinandersetzung in der Türkei uns anschauen und dann in Ruhe in einer Woche oder wann auch immer die Gespräche wieder aufnehmen.
    "Wir sollten die Nerven behalten"
    Armbrüster: Aber es sieht ja zurzeit nicht so aus, als ob er diese Kernbedingung der europäischen Seite erfüllen will, diese Reform der Anti-Terror-Gesetze.
    Brok: Das sieht gegenwärtig nicht so aus, aber wir müssen sehen, dass auch darüber weiter gesprochen werden muss. Wir müssen genau feststellen, was für unsere Sicherheit für die Visa-Freiheit notwendig ist an Gesetzesänderungen. Von den 72 Dinge, die gelöst werden müssen, sind an die 70 gelöst und darüber muss man dann weiter sprechen, damit das für uns in einem verträglichen Sinne läuft. Und wir sollten davon ausgehen, dass er ein eigenes Interesse daran hat.
    Ich glaube, dass das ein hohes Maß an Unpopularität für Erdogan bedeutet, wenn an ihm jetzt diese Visa-Freiheit scheitern würde, und deswegen sollten wir die Nerven behalten und nicht auf diese erratischen Beschimpfungen, die da kommen, reagieren, sondern abwarten und kühl bleiben.
    "Wir müssen uns genau anschauen, was für diese direkte Vereinbarung notwendig ist"
    Armbrüster: Über die Beschimpfungen können wir vielleicht gleich noch mal kurz reden. Aber zunächst mal klingt das jetzt alles so ein bisschen, als wollten Sie sagen, vielleicht können wir auch auf diese Reform der Anti-Terror-Gesetze auf türkischer Seite verzichten, weil so entscheidend ist das für die europäische Seite möglicherweise gar nicht.
    Brok: Nein, das habe ich nicht gesagt, sondern wir müssen uns genau anschauen, was für diese direkte Vereinbarung notwendig ist. Hier geht es nicht um die Vereinbarung für die Mitgliedschaft innerhalb der Europäischen Union. Da können wir auf so etwas überhaupt nicht verzichten, auf nichts verzichten, was mit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und diesen Dingen zu tun hat. Aber darum geht es jetzt nicht und deswegen müssen wir uns das genau ansehen. Aber das heißt nicht, dass wir nichts fordern, dass bestimmte Dinge dort verändert werden müssen, und dafür muss man im Gespräch bleiben.
    Armbrüster: Das heißt aber, Herr Brok, für die Visa-Verhandlungen können wir möglicherweise auf diese Forderung verzichten?
    Brok: Nein, das sage ich nicht. Das sage ich nicht, sondern wir müssen uns anschauen, was wir davon konkret brauchen, und wir müssen sehen, wie weit Erdogan in Gesprächen zu bewegen ist, voranzugehen mit den Notwendigkeiten, die wir für die Visabefreiung brauchen.
    Deswegen sollten wir jetzt nicht in falsche Positionen hineinfallen, die Dinge jetzt zurücknehmen und sagen, okay, da hat er jetzt seine Ausbrüche gehabt und jetzt verzichten wir darauf. Das wäre sicherlich ein falscher Ansatz.
    "Der deutsche Rechtsstaat wird nach Recht und Gesetz entscheiden"
    Armbrüster: Ja gut, Herr Brok. Aber diese Ausbrüche, die hat er ja eigentlich immer noch, und das wäre meine nächste Frage, inwiefern er eigentlich nach wie vor ein ernst zu nehmender Verhandlungspartner für die EU ist. Er teilt ja weiter aus, er geht weiter juristisch vor gegen seine Kritiker in Deutschland. Wir haben das heute Morgen gehört. Unter anderem hat er eine einstweilige Verfügung beantragt gegen den Chef des Springer-Verlags, gegen Matthias Döpfner.
    Können wir mit Erdogan eigentlich noch reden wie mit einem normalen ausländischen Politiker?
    Brok: Wir reden mit vielen. Ich meine, wenn ich mir die Demokratie in China anschaue, machen wir viele Vereinbarungen mit China und mit vielen anderen Staaten dieser Erde, denn unsere Vorstellung von Rechtsstaatlichkeit gibt es in zwei Drittel bis drei Viertel der Staaten dieser Erde nicht. Und wenn er juristisch gegen jemand vorgeht, wird er vom deutschen Rechtsstaat die entsprechende Antwort darauf bekommen, denn der deutsche Rechtsstaat wird nach Recht und Gesetz entscheiden.
    Armbrüster: Aber es ist ja auch eine Form der Einmischung, kann man ja durchaus auch so sehen.
    Brok: Nein! Wenn jemand glaubt, er sei beleidigt worden, kann er dagegen juristisch vorgehen. Das ist keine Einmischung in innere Angelegenheiten. Das ist eine Angelegenheit für die Justiz. Wir werden nicht unsere Gesetze deswegen verändern. Das Vorhaben wäre unmöglich und ich bin sicher, dass die Richter eine entsprechende Antwort geben werden wie bei Jedermann, der Klage erheben möchte.
    Armbrüster: Was würde es denn bedeuten, Herr Brok, wenn Erdogan dieses Abkommen zwischen der EU und der Türkei in den kommenden Tagen tatsächlich platzen lassen würde?
    Brok: Bisher hält sich die Türkei an ihren Teil sehr. Wir haben fast keine Flüchtlinge mehr aus der Türkei. Gegen die Menschenhändler an der türkischen Küste wird offensichtlich erheblich vorgegangen. Das sind gute Meldungen. Und deswegen sollten wir versuchen, die Gespräche weiter fortzuführen, damit dieses so bleibt.
    Manchmal wundere ich mich ja, dass diejenigen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, auch gleichzeitig diejenigen sind, die nicht mit Erdogan reden wollen. Das habe ich noch nicht richtig zusammengebracht.
    Armbrüster: Das ist ja aber nur die eine Seite dieses Abkommens, dass keine Flüchtlinge mehr kommen. Die EU hat ja ihren Teil dieses Abkommens bislang noch nicht erfüllt, und das sind hauptsächlich für die türkische Seite die Visaerleichterungen. Deshalb noch einmal die Frage: Gibt es ...
    Brok: Nein, es sind mehrere Sachen. Es sind die Fragen, die mit den Beitrittsverhandlungen zu tun haben, und das hat mit der Hilfe für die Flüchtlinge zu tun, die man dann absetzen würde. Wir würden dann wieder Unterstützung geben, dass die zweieinhalb bis drei Millionen Flüchtlinge Hilfe bekämen, der Schulunterricht kommt, dass medizinische Betreuung kommt. Auf all das würde man dann verzichten.
    "Man sollte nicht über Plan B reden, wenn vorher der Plan A nicht endgültig gescheitert ist"
    Armbrüster: Aber was würde es denn bedeuten, wenn dieses Abkommen tatsächlich platzen würde? Gibt es da Planspiele in Brüssel?
    Brok: Man sollte nicht über Plan B reden, wenn vorher der Plan A nicht endgültig gescheitert ist, und zurzeit hält an den für uns interessanten Teil sich die Türkei und das sollte man nicht von sich aus jetzt zerstören. Dazu gibt es keinen Anlass.
    Faymann-Rücktritt: "Das ist ein Lehrstück auch für uns"
    Armbrüster: Herr Brok, dann ganz kurz zum Schluss noch mit Bitte um eine kurze Antwort in 30 Sekunden. Die aktuelle innenpolitische Entwicklung in Österreich, gestern der Rücktritt von Werner Faymann, kam das für Sie überraschend?
    Brok: Der Druck in der SPÖ war völlig klar. Aber wir sehen auch, dass die SPÖ wie auch die ÖVP mit ihrer Politik, der FPÖ hinterherzulaufen, ihr jetzt auch Avancen zu machen, nicht funktioniert. Wer sich mit Populisten ins Bett legen möchte, kommt dabei um, und aus diesem Grunde kann man nur davor warnen, diesem österreichischen Beispiel zu folgen.
    Man sollte positiv an Lösungen arbeiten und die Lösung nicht in Abhängigkeit bringen von diesen Parteien. Das ist ein Lehrstück auch für uns.
    Armbrüster: ... sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der CDU-Europapolitiker Elmar Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europäischen Parlament. Vielen Dank, Herr Brok, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Brok: Ich danke auch, Herr Armbrüster.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.