Physiker und Datenschützer Andreas Weigend

Privatsphäre ist eine Illusion

34:53 Minuten
Physiker und Datenschützer Andreas Weigend
"Ich spreche von der Post-Privacy Economy", sagt Andreas Weigend. © Jens Braune del angel
Moderation: Ulrike Timm · 26.03.2019
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Er hat an der Universität Stanford über neuronale Netze promoviert und als Cheftechnologe bei Amazon Nutzerdaten analysiert. Seitdem ist Andreas Weigend überzeugt: Wir können nichts mehr verbergen – der Mensch erzeugt digitale Spuren, indem er lebt.
Weil Amazon, Facebook und Google mittlerweile Datenmonopolisten geworden sind, stellt Andreas Weigand eine radikale Forderung: Unternehmen, die Daten kommerziell nutzen, müssen sie allen zugänglich machen – als Gegenleistung. Als Mitglied des Digitalrates der Bundesregierung sagt er dies auch Angela Merkel. Die globalen Internet-Konzerne sollten dazu gezwungen werden, ihre Erkenntnisse mit den Usern zu teilen:
"Ich spreche von der ‘Post-Privacy Economy‘. Also der Ausgangspunkt ist, dass wir eben keine Privatsphäre mehr haben. Aber der nächste Schritt ist, zu fragen: Und was bekommen wir dafür? Unternehmen wie Google, Amazon und Facebook müssen uns Werkzeuge an die Hand geben, damit wir die Herrschaft über die Datenflut behalten."

Daten sind der Rohstoff des 21. Jahrhunderts

Der gebürtige Deutsche, der in San Francisco und Bangkok lebt, sieht die Daten als das weltweite Kapital unseres digitalen Zeitalters. Und vergleicht sie mit dem Öl:
"Weil das Öl verfeinert werden muss, damit wir etwas damit anfangen können. Genauso müssen auch Daten verfeinert und raffiniert werden, um uns zu helfen, bessere Entscheidungen zu treffen. Aber wenn ich mir so die letzten Jahre mit Facebook ansehe – vielleicht sollten wir es dann nicht mit Öl, sondern eher mit dem Nuklearen vergleichen. Also einerseits ist da Energie, auf der anderen Seite kann man eben auch Sprengköpfe damit herstellen. Und das ist bei Daten auch so."
Der Einfluss der "Datenraffinerien", wie Weigand sie nennt, hat sich im Laufe von wenigen Jahren komplett verändert. Auch deshalb wurde er vom Datensammler bei Amazon zum Datenschützer. Heute lehrt er an den US-amerikanischen Universitäten Stanford und Berkeley, berät Regierungen und Unternehmen und hat ein viel beachtetes Buch herausgegeben: "Data for the People".
"In den drei Jahren, in denen ich am Buch geschrieben habe, habe ich am Anfang sehr positiv über die Daten nachgedacht. Aber dann im Laufe der Zeit wurde mir klar, dass die ursprüngliche Balance, die wir zwischen Individuen und Firmen haben, sich immer mehr in den letzten Jahren gegen das Individuum zu den Firmen verschoben hat."

Die Macht der Datenkraken am eigenen Leib erfahren

Andreas Weigend ist keineswegs Gegner von digitalen Entwicklungen. Für den Physiker ist die Welt ein Experimentierlabor. Er nutzt alles, was man an neuer Technologie nutzen kann – der prominente Wissenschaftler läuft auch schon mal mit der Google-Brille auf der Nase durch die Straßen.
Doch den Internetkonzernen scheint er vor allem als Kritiker aufgefallen zu sein. Vor kurzem stellte Weigend fest, dass er über Google keine Mails mehr verschicken kann. Wie hilflos wir einigen Unternehmen ausgeliefert sind, hat selbst den Experten erstaunt:
"Das finde ich absolut schockierend. Da sagte mir Google: ´Tut uns leid, diese E-Mails schauen wie Spam aus und die werden wir nicht zustellen.‘ Und ich habe die nochmal ganz genau durchgelesen – das hatte nichts mit Spam zu tun! Und dann blieb mir nur übrig, bei einem Bekannten bei Google anzufragen: ´Ja, könnt ihr was machen?‘ Aber da wurde mir gesagt: ´Lieber Andreas, tut uns leid, da können wir überhaupt nichts machen!‘ Das ist doch faszinierend, wie da eine Firma plötzlich entscheidet, von wem E-Mails weitergeleitet werden und von wem nicht!"
(tif)
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