Phönix aus der Asche

Gast: Michael Stegemann / Moderation: Olaf Wilhelmer · 19.06.2011
Rund 60 bunte Sätze, die Formen wild durchmischt, virtuos und hintersinnig: Die zwölf Concerti grossi op. 6 von Georg Friedrich Händel sind ein Kompendium der barocken Orchestermusik – vom ersten Tag an ununterbrochen beliebt. Händel schrieb sie am Tiefpunkt seiner Karriere als Opernkomponist und erfand sich damit noch einmal neu.
Im Gegensatz zu anderen Komponisten verwundert bei Georg Friedrich Händel, wie robust er über existentielle Krisen hinweggehen und vor allem hinwegkomponieren konnte. Er, der als Deutscher die italienische Oper in England zu ungeahnten Triumphen geführt hatte, gehorchte den Gesetzen des Marktes und komponierte das, was gefragt war. Als sein Opernunternehmen Ende der 1730er-Jahre (wieder einmal, nun aber endgültig) pleite zu gehen drohte, widmete sich Händel der Gattung des Oratoriums, nicht ohne zwischendurch seine "Twelve Grand Concertos op. 6" zu veröffentlichen. Geschrieben in kürzester Zeit, im Durchschnitt alle vier Tage eine neues.

Und die Publikumsgunst kehrte zurück. Händel hatte sich – nach italienischen Vorbildern – wieder einmal neu erfunden und sein Publikum begeistert. "Sein ungeheurer Erfolg beruht zu einem großen Teil darauf, dass er seine musikalischen Aussagen in einer ‚Sprache’ verfasste, die das betreffende Publikum verstand, dass er also, wie ein guter Redner, seine Gedanken dem Niveau der Hörer entsprechend formulierte", so begründet der Händel-Interpret Nikolaus Harnoncourt die Beliebtheit dieser Konzerte. Oder, in den Worten des Händel-Verehrers George Bernard Shaw 1913: "Von Händel habe ich gelernt, dass Stil auf Überzeugungskraft beruht. Wer mit einem Schlag etwas so sagen kann, dass es darauf keine Widerrede gibt, hat Stil. Man kann verabscheuen, was man will, aber man kann Händel nicht widersprechen."

Bleibt die Frage, wie man das heute wiedergibt, was Händel einst zu sagen hatte. Seit dem Ende der 1920er Jahre sind die Concerti grossi op. 6 auf dem Plattenmarkt ununterbrochen präsent. Einige frühe Kammerorchester-Aufnahmen von Ernest Ansermet und Adolf Busch scheinen uns heute – in ihrer teils neoklassizistischen Schnörkellosigkeit – näher zu stehen als die üppigen sinfonischen Darbietungen durch Wilhelm Furtwängler oder Herbert von Karajan in den 1950er- und 1960er-Jahren. Der anschließend einsetzende Durchbruch der Alte-Musik-Bewegung hat die Hörgewohnheiten vieler Musikfreunde entscheidend geprägt. Doch lassen sich die Ergebnisse der historisierenden Aufführungspraxis nicht über einen Kamm scheren: Einer eher geradlinigen Händel-Auffassung aus dem angelsächsischen Raum (Christopher Hogwood, Trevor Pinnock) stehen dramatische, bisweilen manieristische Interpretationen entgegen, die von Nikolaus Harnoncourt bis zu Giovanni Antonini reichen. Reichlich Stoff für eine Sendung, deren Gast der Musikpublizist und Interpretationsforscher Michael Stegemann sein wird.