Philosophische Flaschenpost

Heraklit und das Fließen der Welt

03:31 Minuten
Illustration zu "Alles fließt": Bewegungsunschärfe in einem Tunnel.
In digitalen Zeiten fließt nicht nur der sprichwörtliche Fluss, sondern auch die Ufer - ohne festen Rahmen wird Veränderung zum Problem, meint Wilhelm Schmid. © EyeEm / Tawatchai Prakobkit
Von Wilhelm Schmid · 06.10.2019
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Der griechische Philosoph Heraklit hat einen der berühmtesten philosophischen Sätze geprägt: „Alles fließt“. Der Philosoph Wilhelm Schmid findet, der antike Denker hat bei seiner Aussage ein entscheidendes Detail übersehen.
"Panta rhei" – "Alles fließt". Die Interpretation des Satzes liegt nahe, findet der freie Philosoph Wilhelm Schmid. "Alles ist in Bewegung, nichts bleibt fest, nichts bleibt stabil. Alles verändert sich." Heraklit (* um 520 v. Chr.; † um 460 v. Chr.) prägte noch einen weiteren Satz, der diesen Gedanken ausdrückt: "Niemand steigt zweimal in denselben Fluss".

Der Fluss und das Ufer

Dabei habe er jedoch ein entscheidendes Detail übersehen, meint Schmid. "Der Fluss ist ein Fluss, weil am Rande etwas ist, was eben doch stabil ist. Alles fließt – aber immer im Rahmen einer Begrenzung, eines Ufers". In heutiger Zeit, so Schmid sei die Schwierigkeit, "dass langsam aber sicher auch die Ufer zu fließen beginnen."
Der Philosoph Wilhelm Schmid am 24.08.2016 in Berlin
Wilhelm Schmid ist freier Philosoph und Buchautor.© picture alliance / dpa / Paul Zinken

Kein fester Rahmen

Deshalb sei Heraklits Satz für Menschen heute womöglich beunruhigender als zu früheren Zeiten, vermutet Schmid. Frühere Zeiten seien auch mit Veränderungen nicht leicht zurechtgekommen, sie hätten dabei aber immer einen Rahmen gehabt – "ein bestehendes Herrschaftssystem, feststehendes Wissen, fester Glaube und dergleichen." Heute liege die Herausforderung eher darin, dass eben gar nichts mehr feststeht. Deshalb mache derzeit der Begriff "stabil" bei jungen Menschen Karriere, glaubt Schmid. "Das ist die Reaktion auf eine Zeit, in der wirklich alles fließt."

Wilhelm Schmid ist freier Philosoph und Bestsellerautor. Er hat in Berlin, Tübingen und Paris Philosophie studiert und mit einer Arbeit zur Philosophie der Lebenskunst bei Michel Foucault promoviert. Er hat an Universitäten in Deutschland, Georgien und Lettland gelehrt und als philosophischer Seelsorger gearbeitet. Seine Bücher zu Themen wie "Liebe", "Vom Glück der Freundschaft" oder "Selbstfreundschaft" werden regelmäßig zu Bestsellern.

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