Philosophie

Geistes-Geschwister

Die französische Essayistin, Romanautorin und Dramatikerin Hélène Cixous in ihrer Wohnung in Paris, September 2013
Die französische Essayistin, Romanautorin und Dramatikerin Hélène Cixous in ihrer Wohnung in Paris, September 2013 © AFP / Fred Dufour
Von Dirk Fuhrig · 05.10.2014
Hélène Cixous gründetet in Folge der 68er-Bewegung die feministische Linguistik in Frankreich. Eine langjährige Freundschaft verband sie mit dem Philosophen Jacques Derrida, von der sie in ihrem Buch "Insister" erzählt. Tief verbunden habe sie beide der "poetische und philosophische Umgang mit Sprache".
"An Jacques Derrida" – so hat Hélène Cixous ihr Buch im Untertitel genannt. Es ist eine Hymne an den Philosophen, den die junge Studentin Anfang der 60er-Jahre in Paris kennen gelernt hatte:
"Es ist ein Buch über Erinnerung und über Kommunikation – über den unaufhörlichen Dialog zwischen Jacques Derrida und mir. Es ist die Geschichte unserer Freundschaft, unserer Kreativität, unserer Arbeit - unseres gemeinsamen Schreibens."
Wenn man die Literaturwissenschaftlerin zum Gespräch über Jacques Derrida trifft, dann redet die feingliedrige, elegante Frau mit dem markanten Profil und den kurzen Haaren auch heute noch unaufhörlich von "wir".
"Sprache war für uns ungeheuer wichtig. Sie war unser Spielmaterial. Derrida behauptete von sich selbst immer, er sei 'einsprachig', beherrsche also nur eine einzige Sprache. Mich hingegen bezeichnete er als 'vielsprachig'. – Aber dabei gehörten uns alle Sprachen dieser Welt, wenn Sie so wollen. Wir sahen sie nicht einfach nur als Fremdsprachen. Sie waren für uns DIE gemeinsame Sprache - und gleichzeitig das heißgeliebte Fremde. Sich zeigen und sich gleichzeitig verbergen – diese Haltung drückte sich für uns darin aus. Und das ist auch eine Art und Weise zu schreiben."
"Voile" - "Schleier und Segel" – heißt eines der Gemeinschaftswerke von Cixous und Derrida. Für den Aufbruch in neue Sphären der Sprache und des Denkens waren die beiden kongeniale Gefährten, schreibt Hélène Cixous:
"Seit 1964 von Text zu Text lesen wir uns. Seit 1963 lese ich alles, was er schreibt. Inbrunst und Arbeit. Unermüdliches und fröhliches Insistieren, Turnier von Wörtern und Sätzen, poetische Vorkämpferschaft."
Man ist versucht, an eineiige Zwillinge zu denken
Cixous und Derrida verfolgten auch gesellschaftspolitisch meist identische Ziele. Beim Aufbau der 1968 gegründeten Reform-Universität von Vincennes kämpften sie ebenso zusammen wie beim Erforschen der Sprache. Hélène Cixous verdichtet diese Symbiose im Titel ihres Buchs:
"Das Ganze war zunächst einmal ein Sprachspiel, ein Witz – 'Insistieren': ein Titel, in dem ein Geheimnis steckt - ein geheimnisvoller Titel. 'Insistieren' heißt 'betonen' oder 'unterstreichen'. Aber in anderen Sprachen haften dem Wort weitere Bedeutungen an. Im Englischen etwa die 'In-Sister', also die Schwester tief drinnen im Körper, in der Seele."
Ein unauflösliches Band, wie das zwischen Geschwistern – man ist fast versucht, an eineiige Zwillinge zu denken.
"Derrida hat es einmal genau so gesagt: Du bist meine 'In-Sister', meine 'innere Schwester'."
Und so schreibt es Hélène Cixous in ihrem Buch:
" ... und während ich es lese wie gewohnt er mich lesend, spüre ich, atme ich die salzigfeuchte Luft zwischen uns, leichte Insistenz der Ewigkeit."
Ebenso wie Derrida wurde Hélène Cixous in Algerien geboren. Teile ihrer Familie hatten als Juden vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten fliehen müssen. Ihre Mutter stammte aus Osnabrück. Hélène Cixous begründete in der Folge der 68er-Bewegung die feministische Linguistik in Frankreich. Für ihre Lebensgefährtin Ariane Mnouchkine und deren "Théâtre du Soleil" hat sie viele wunderbare Theaterstücke voller Poesie geschrieben. Wichtigster intellektueller Bezugspunkt ist für die 77 Jahre alte Grande Dame des weiblichen Schreibens jedoch bis heute Jacques Derrida:
"Wir beide, das war eine ganz außergewöhnliche Begegnung zwischen Philosophie und Literatur. Was uns so stark verbunden hat, war der poetische und philosophische Umgang mit Sprache. Man kann es in Derridas Denken genauso spüren wie in dem, was ich schreibe. In dieser Verschmelzung lagen ein tiefer Ernst und gleichzeitig ein großer Humor. Angst vor dem Tod einerseits - und spielerische Leichtigkeit, eine schier unbegrenzte Heiterkeit."