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Frauenherzen schlagen anders

Medizin.- Nicht selten werden Unterschiede zwischen Frauen und Männern in der medizinischen Behandlung vernachlässigt - zum Beispiel was die Medikamentendosierung betrifft. Forscher der Berliner Charité untersuchen nun, wie sich die Herzen von Männern und Frauen von einander unterscheiden.

Von Christine Westerhaus | 11.08.2010
    Das Hormonsystem von Frauen tickt anders: Sie haben einen Menstruationszyklus und sind deshalb biologisch gesehen komplizierter als Männer. Kompliziert soll es bei klinischen Studien aber gerade nicht zugehen. Um möglichst einheitliche biologische Daten zu bekommen, setzen Forscher bei Medikamententests deshalb lieber Männer ein. Auch der Contergan-Skandal in den 60er-Jahren hat dazu geführt, dass neue Arzneimittel kaum an Frauen getestet werden. Zu groß ist seitdem die Angst vor Missbildungen, falls sie während der Tests schwanger werden.

    "Klinische Studien wurden häufig nicht für beide Geschlechter ausgewertet und das hat dann dazu geführt dass man in einigen wichtigen Herzstudien festgestellt hat, dass die Frauen, die ein Medikament bekommen haben, vermehrt gestorben sind und die Männer besser überlebt haben und dass das gar nicht aufgefallen ist, weil man die beiden Geschlechter bei der Auswertung der Untersuchung in einen Topf geworfen hat. Und in einer Studie war der Anteil der Frauen so klein, dass die gehäufte Sterblichkeit der Frauen gar nicht aufgefallen ist."

    Vera Regitz-Zagrosek leitet das Institut für Geschlechterforschung in der Medizin an der Berliner Charité. Hier haben Forscher vor allem das männliche und weibliche Herz-Kreislauf System im Blick. Sie werten klinische Studien aus, untersuchen aber auch menschliche Herzmuskelzellen. Wie gut männliche und weibliche Tiere einen Herzinfarkt überleben, untersuchen die Forscher an Ratten und Mäusen.

    "Ein ganz schlagender Unterschied ist, dass männliche Mäuse an einem Herzinfarkt sehr viel häufiger sterben, als weibliche Mäuse. Nach einem Herzinfarkt kommt es dazu, dass ein Stück Gewebe geschädigt wird, es wandern Entzündungszellen ein und diese Entzündungszellen setzen Mediatoren frei, die dazu führen, dass das Bindegewebe aufweicht. Das soll durch andere Gewebe ersetzt werden und das funktioniert offenbar anders bei männlichen und weiblichen Herzen."

    Auch bei menschlichen Herzmuskelzellen fanden Vera Regitz Zagrosek und ihre Kollegen Unterschiede. Männliche Zellen reagieren empfindlicher auf Stress durch Sauerstoffmangel oder Dehnung.

    "Da sehen wir, dass männliche Zellen sehr viel schneller ein Selbstmordprogramm aktivieren, das nennt man Apoptose, als weibliche Zellen. Die Gründe dafür sind noch nicht so ganz klar. Man nimmt aber an, dass die männlichen Zellen mehr freie Radikale produzieren,wenn sie Energie produzieren und dass diese freien Radikale dann die Zellen in den Selbstmord treiben."

    Weibliche Herzen sind dafür anfälliger für psychischen Stress. Bevor sie am Herzen operiert werden, leiden Frauen sehr viel häufiger unter starken Depression. Auch die sogenannte Takotsubo-Myokardie ist typisch weiblich. Noch vor einigen Jahren war dieses auch als "gebrochenes Herz" bekannte Syndrom völlig unbekannt. Auslöser sind schockierende Erlebnisse oder extremer Stress, der die Herzkammern unförmig verkrampfen lässt. Die Symptome sind ähnlich wie bei einem Herzinfarkt.

    Vera Regitz-Zagrosek und ihre Kollegen hoffen, dass ihr Wissen möglichst schnell im Klinikalltag ankommt. Denn von der richtigen Behandlung profitieren nicht nur Patientinnen, sondern auch das Gesundheitssystem.

    "Wenn wir sagen, dass wir durch adäquate Dosierungen und Entwicklungen von Arzneimitteln sehr viele Nebenwirkungen verhindern und wenn man weiß, dass ein ganz großer Prozentsatz der Notaufnahmen auf die Intensivstation im Krankenhaus aus medizinischem Fehlgebrauch von Arzneimitteln entstehen und dass das überwiegend ältere Frauen sind, dann kann man auch Gesundheitsökonomen überzeugen, dass es einfach günstiger ist, im Vorfeld darüber nachzudenken, wie man auch Subgruppen der Bevölkerung richtig behandelt."