Philippe Heules Stück "Simulanten"

Gefangen im Internet

Rote Theaterstühle
Rote Theaterstühle © picture-alliance / dpa-ZB / Patrick Pleul
Von Dorothea Marcus · 07.06.2016
Das Schauspiel Dortmund experimentiert schon seit einigen Jahren erfolgreich damit, Internet und Theater auf ganz neue Weise zu verknüpfen. Bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen kam nun ein neuer Versuch zu diesem Thema zur Uraufführung.
Fünf Personen liegen auf einem Haufen, in einem Sperrholzraum ohne Fenster und Türen: geworfen in das große virtuelle Nichts. Oder ist es ein Selbsthilfeseminar für Opfer internationaler Fernbeziehungen? Eine Sekte? Ein Selbsterfahrungstrip? - Die einzigen Öffnungen, die Bühnenbildner Andreas Auerbach gestattet hat, sind zwei Triebwerke in der Wand – Sinnbild der permanenten Beschleunigung im rasenden Leben.
"Die Simulanten", das neue Stück von Philipp Heule, ist eine Zustandsbeschreibung, die von ferne an die verzweifelten Globalisierungs-Wortkaskaden eines René Pollesch erinnert. Die Figuren haben keine Charaktere, sie sind Typen oder besser: digital natives von heute: getriebene Plastikmenschen – oder Avatare. Sie simulieren Liebe, Sex, oder auch mal einen UN-Klimagipfel, aber nichts ist echt.

Ein endloser Loop der Bedeutungslosigkeit

Sie sind in Oberflächen gefangen, hineingeworfen in die geradezu existentialistische Hölle ohne Ausweg. Immer wieder unterbricht ein Black Out mit apokalyptischem Dröhnen das Geplapper wie eine Bild- oder Stromstörung: denn ohne Empfang oder Elektrizität herrscht gleich das Nichts. Und dann geht alles wieder von vorne los – ein endloser Loop der Bedeutungslosigkeit. Sie sind gefangen in einer Wirklichkeitssimulation, in der natürlich Liebe auch ein reines Photoshop-Produkt ist.
- "Was hat das alles zu bedeuten?"
- "Schau dich doch mal an. Früher habe ich mich gefreut, dass dieses Gesicht eine Zukunft verkörpert hat. Und jetzt packt mich das blanke Entsetzen. Es ist für mich immer wieder ein Schock, wenn ich merke: ich rede gegen eine Wand. Du hast dein Profil, deine Poren viel zu lang bearbeitet. Du weißt doch gar nicht, wie das geht, Fotoshop. Du hast viel zu lange an deiner Persönlichkeit herumretuschiert. Und jetzt? Siehst du aus wie eine Wand ohne Konturen."
– "Aber… ich liebe dich doch!"
Was da gesagt wird, hat letztlich genauso wenig Bedeutung wie die Tatsache, dass sie einen UN-Weltklimagipfel nachspielen wollen und sich dafür Schwellköpfe und Fatsuits unter den Anzügen anziehen. In einer Welt der Entscheidungsunfähigkeit und hohlen Konzepte ist ohnehin alles simuliert – Liebe, Aussehen oder auch Sex genauso wie Politik, die natürlich rein gar nichts mehr ausrichten kann, schon gar nicht für das Klima.

Eine Art Fake-Feier

Regisseurin Claudia Bauer versucht redlich, für Philipp Heules Satzgewitter Situationen und Bilder zu erschaffen. Da setzen sich dann endlich die tösenden Turbinen in Bewegung, da erstehen drei Figuren als bunte Bärchen wieder auf. Immer wieder ist das durchaus erhellend und lustig. Etwa, als die Schauspieler Ekkehard Frye und Sebastian Kuschmann in beiger Unterwäsche nebeneinander sitzen, auf ihre Oberschenkel klatschen und so eine virtuelle Sexbegegnung simulieren, die schön zusammenfasst, was man im Internet alles vortäuschen kann. Oder wenn alle fünf ekstatisch unter der selbstausgelösten Sprinkleranlage tanzen, als Ersatz für die fehlende "Mini-Bar". Oder wenn irgendwo ein Handy vibriert und alle in einer Choreografie aus hektischen Alltagsbewegungen danach suchen, die wohl jeder kennt. Das ist gut beobachtet und komödiantisch gespiegelt. Immer wieder beziehen die fünf Schauspieler sich natürlich auch auf die eigene Theatersituation, den Gipfel der Künstlichkeit.
Der Abend ist eine Art Fake-Feier des Unechten, ein Gedankenexperiment, das den angeblichen Zustand der modernen Menschen auf die Spitze treibt. Doch auf die Dauer ist das, trotz knackiger Kürze des Abends, genau deshalb auch ermüdend und gleichförmig. Bei René Pollesch gibt es immerhin noch authentisch wirkende Verzweiflungsgefühle. Claudia Bauers und Philipp Heules Versuchsanordnung tritt letztlich auf der Stelle: wenn alles gleich wieder hinterfragt wird, sich keine Entwicklung oder Geschichte einstellt und jeder Satz den nächsten entlarvt, ist der Erkenntnisgewinn am Ende relativ gering.
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