Philipp Winkler: "Hool"

Hau-drauf in Höchstgeschwindigkeit

Heiko und seine Hooligan-Kumpel treffen sich zu "Matches", organisierten Prügeleien.
Heiko und seine Hooligan-Kumpel treffen sich zu "Matches", organisierten Prügeleien. © AFP / Philippe Huguen
Von Gerrit Bartels · 20.09.2016
Philipp Winklers Debütroman "Hool" spielt in der Hooligan-Szene. Rasant erzählt er von organisierten Prügeleien und Pitbull-Kämpfen. Ein Roman, der sich gegen die "Gutbetuchten-Elternhaus-Scheiße" wendet und damit auch gegen den Sound der deutschsprachigen Literatur.
Dieser Roman erreicht schon auf den ersten Seiten seine Höchstgeschwindigkeit. Fünf Männer aus Hannover, die in einem VW-T5-Multivan sitzen, auf dem Weg zu einem sogenannten "Match", will heißen: zu einer Prügelei.
Heiko, einer von ihnen, Anfang 20, Held und Ich-Erzähler von Philipp Winklers Debütroman "Hool", macht sich Gedanken über seinen Zahnschutz ("individuell vom Zahntechniker hergestellt, keines dieser Billoteile aus Massenproduktion"), über die "Aufstellung", dass alle ihre roten Shirts überziehen, und dann geht es los. Acht gegen acht, die anderen laufen los, ein paar Schreie, "der Wald verstummt. Dann prallen Körper aufeinander. Fäuste und Beine werden geschwungen".
Der Titel des Romans deutet es an: Ein großer Teil von Philipp Winklers Personal entstammt der Hooligan-Szene, einem Milieu, das in der deutschsprachigen Literatur kaum existiert. Winkler taucht hier über die Person seines Erzählers relativ tief und glaubhaft ein, wo immer er sein Wissen über die Szene her hat. Auf jeden Fall ist er in einer kleinen Stadt bei Hannover aufgewachsen, später hat er in Hildesheim Kreatives Schreiben studiert.

Pitbull-Kämpfe, Thailand-Trip und ein Tiger aus Polen

Heiko arbeitet im "Wotan Boxing Gym", das in einer alten Fabrikhalle in Hannover-Stöcken untergebracht ist und seinem Onkel gehört. Er ist ohne Schulabschluss, das Gymnasium hat er geschmissen. Sein Vater ist Alkoholiker, die Mutter hat die Familie früh verlassen, die Schwester versucht, ein bürgerliches Leben zu führen, während Heiko bei Armin wohnt, wohl eher haust, einem Freund.
Armin veranstaltet Pitbull-Kämpfe und macht sich irgendwann mit Heiko auf den Weg, um in Polen als besondere Attraktion für seine Kämpfe einen Tiger abzuholen, illegal, versteht sich, eine der stärksten, auch lustigsten Szenen dieses Romans.
"Hool" hält das hohe Tempo von Anfang an durch. Das liegt auch daran, dass Winkler kaleidoskopisch erzählt und Heiko in seinem Leben immer wieder vor- und zurückspringen lässt. Heiko erzählt, wie es war, als sein Vater von einem Trip nach Phuket mit einer thailändischen Frau zurückkehrte und diese ihm und seiner Schwester Manuela als neue Mutter vorstellte, wie er sich in Yvonne verliebt, die später heroinabhängig wird, oder was es mit Jojo und Joel auf sich hat, einem Brüderpaar, neben Ulf und Kai zwei seiner besten Hool-Freunde und wie sie alle eingefleischte Hannover-96-Fans: Joel bringt sich eines Tages um.
Zwischen diese Erinnerungen schieben sich die Ereignisse aus der Gegenwart, die Fahrt nach Polen mit Armin, die Suche nach dem Vater, nachdem dieser aus der Entzugsklinik ausgebüchst ist, die "Matches", von denen eins in Braunschweig übel ausgeht. Heikos Freund Kai wird schwer verletzt und droht, sein Augenlicht zu verlieren.
Nach und nach stellt sich heraus, dass Heikos Freunde sich bereits auf den Weg in ein anderes Leben jenseits der Szene machen. Heiko aber versucht sich treu zu bleiben: in seiner Wut – und in seinem romantischen Beharren auf die Kraft der "Matches" und den Zusammenhalt des Freundeskreises.
"Hool" trägt an diesen Stellen die Züge eines Bildungsromans, eines gezielt unvollständigen allerdings, da sich sein Held mit aller Macht gegen eine Erziehung der Gefühle und des Lebens wehrt.

Authentisch, mit ein paar Schönheitsfehlern

Vor allem imponiert Winklers Roman aber durch seine Authentizität, die sich letztendlich aus der Sprache speist. Heiko wendet sich an einer Stelle gegen die "behütete Gutbetuchtes-Elternhaus-Scheiße", wie es einmal heißt, und damit positioniert sich Winkler, wenn man so will, gegen den Sound der deutschsprachigen Literatur.
Heiko und seine Freunde "schütten sich noch schnell ein Pils vom Fass in die Hälse", haben "keinen Bock auf Drecksmucke", und Armin sagt, auf der Fahrt nach Polen: "Bin eh viel zu kirre zum Penn" oder "Papp'lapapp, datt is' Landsberch anner Warthe, nich' mehr weit jetz'."
Dezent problematisch ist, dass es Winkler nicht ganz gelingt, diesen Sound durchzuhalten. Er selbst kommt als Autor seinen Figuren und seinem Erzähler immer mal wieder in die Quere, gerade wenn es um die Beschreibungen bestimmter Szenerien geht, wenn sich der "weichgezeichnete Umriss" der Stadt aufbaut, auch noch im "bläulichen Morgenlicht". Oder der Fahrtwind nicht nur "eisig" ist, sondern noch "in Messerspitzen" durch die Fenster pfeift.
Das ist dann doch mehr Heiko, der zukünftige Schriftsteller, und nicht mehr Heiko, der Hooligan. Letztendlich sind diese stilistischen Unebenheiten nur ein Schönheitsfehler dieses wuchtigen, rasanten und stofflich aufregenden Debütromans, wie man ihn seit Clemens Meyers "Als wir träumten" nicht mehr gelesen hat.

Philipp Winkler: Hool
Aufbau Verlag, Berlin 2016
310 Seiten, 19,99 Euro

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