Philipp Eichholtz über seinen neuen Film

"Der Penis ist niemals eine Metapher"

09:42 Minuten
Eine Frau geht wild gestikulierend über eine Straße, während Bauarbeiter an einer Baustelle lachen.
Improviseren mit vorgefundenen Kulissen statt glattes Förderkino: Philipp Eichholtz' Filme leben vom Moment. © UCM.ONE/Darling Berlin
Philipp Eichholtz im Gespräch mit Patrick Wellinski · 08.06.2019
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Je nach Lust und Laune mal eben das Geschlecht ändern. Von dieser Utopie erzählt Philipp Eichholtz in seinem neuen Film. Einen Transgenderfilme habe er allerdings nicht gedreht, erklärt der Low-Budget-Filmemacher im Gespräch.
Patrick Wellinski: Es gibt Regisseure, deren Arbeit wir hier in unserer Filmsendung "Vollbild" mit besonders großem Interesse verfolgen, weil wir überzeugt sind, dass sich da ein sehr interessantes Talent vor unseren Augen entwickelt.
Einer dieser Filmschaffenden ist der Regisseur Philipp Eichholtz. Vier Spielfilme in den letzten fünf Jahren hat er gedreht, ein Output, der mich zumindest mehr an die 50er-Jahre Hollywood-Regisseure erinnert als an deutsche Regisseure, und das alles ohne offizielle Filmförderung. "Luca tanzt leise" oder "Rückenwind von vorn", so hießen seine Filme. Das aktuelle Werk hat einen tollen pragmatischen Titel: "Kim hat einen Penis" und kommt Donnerstag ins Kino.
Philipp Eichholtz, wir haben uns ja auf das Du geeinigt. Vier Filme in fünf Jahren, das ist wie der Visitenkartenspruch deiner Karriere. Das bedeutet aber auch viermal Ideen für Spielfilme zu haben, vier Hauptfiguren zu entwickeln, Konflikte und so weiter. Wie entstehen denn Ideen für die Filme?
Eichholtz: Aus dem eigenen Leben, ob man es glaubt oder nicht. Ich habe in meinen 20ern keine Filme gedreht und vor allen Dingen mein Leben gelebt, und davon zehre ich immer noch.
Wellinski: Machen wir es doch konkret an dem Fall "Kim hat einen Penis". Wie entsteht die Idee über eine Frau, eine junge Pilotin, die in die Schweiz fährt und erst mal entscheidet, nur übergangsweise für vier Monate sich einen Penis anbringen zu lassen?
Eichholtz: Die Idee kam nicht von mir, sondern von meinem langjährigen Produzenten und besten Freund Oliver Jerke. Der Film ist in der Form ein bisschen Science-Fiction, denn er spielt in einer Utopie, wo das einfach möglich ist: Man kann sein Geschlecht einfach ändern lassen. Es ist generell erst mal kein großer Akt und man kann es auch rückgängig machen. Der Film verfolgt einfach die Konsequenzen im Alltag der Figur von Kim, gespielt von Martina Schöne-Radunski.
Wellinski: Sie kommt zurück, sie hat einen Freund, der ist erst mal überrascht, aber wie beeinflusst denn ihre Tat die Beziehung?
Eichholtz: Das ist natürlich alles gemutmaßt. Jeder würde anders reagieren. Das habe ich bei meinen Testzuschauern gemerkt. Da gab es Leute, die sagten: Warum macht er nicht sofort Schluss? Die haben versucht, uns eine Wahrheit zu bauen, die extrem und nicht behauptet ist. Aber die Situation ist behauptet, man kann nicht einfach mal eben sein Geschlecht ändern. Damit spielt der Film. Wir versuchen, das so ernsthaft wie möglich durchzuspielen. Das führt zu einer Menge humorvoller Szenen.

Kein Transgenderfilm

Wellinski: Man kann den Film gar nicht sehen, ohne im Hinterkopf die vielen hitzig geführten Genderdebatten aus den Medien zu reflektieren. Hattet Ihr das bei der Drehbuchkonzeption mitgedacht, dass sich die Menschen beim Thema Gender auch immer wieder streiten? War das etwas, wo man sagt, wir wollen uns auch subversiv mit dem Chaos drumherum auseinandersetzen? Oder spielte das eher keine Rolle?
Eichholtz: Man sticht manchmal in ein Hornissennest, ohne es wirklich zu merken. Wir haben uns auf jeden Fall nichts Böswilliges mit dem Film gedacht und es ist definitiv kein Transgenderfilm. Dann würde ich diesen Film anders drehen. Es ist eine Komödie, es geht um eine Beziehung, eine Heterobeziehung zwischen zwei Mittdreißigjährigen - damit kenne ich mich aus -, die ein bisschen spießig sind, und das wird auseinandergenommen. Das Geschlechterthema wird nebenher erzählt.
Wellinski: Der Penis ist also keine Metapher.
Eichholtz: Der Penis ist niemals eine Metapher.

Wie mangelnde Kommunikation Beziehungen zerlegt

Wellinski: Die Geschlechtsumwandlung ist nur der Anlass für den Film. Eigentlich geht es in dem Film um Beziehungsgefüge. Da passiert ja noch etwas: Die Exfreundin von Kims Freund zieht plötzlich ein. Sie kommt mit ihren ganzen Neurosen und ihrem ungestillten Kinderwunsch. Ich dachte: Das ist das eigentliche Problem dieser Beziehung. Was passiert da in dieser Dreierkonstellation, denn dann verändern sich wieder Begehrlichkeiten?
Eichholtz: Ja, und vor allem Kommunikation ist so wichtig in Beziehungen. Was die beiden Hauptfiguren leider haben, ist das Problem, dass sie sich sehr lieben, aber nicht wirklich gut miteinander reden. Das ist im wahren Leben immer tragisch. Im Film führt das zu einer Menge schöner Konflikte. Ja, genau, dieser Kinderwunsch ist beim Mann da und bei ihr nicht. Und natürlich: Durch den Penis gibt es auch keine Möglichkeit, Kinder zu bekommen.
Philipp Eichholtz, der Regisseur von "Luca tanzt leise", zu Besuch im Übertragungswagen vom Deutschlandradio Kultur.
Unser Gesprächsgast: der Filmemacher Philipp Eichholtz.© Deutschlandradio/Patrick Wellinski
Wellinski: Überhaupt sind Beziehungsprobleme in einigen, wenn nicht sogar in allen deiner Filme sehr zentral. Es kommt einem so vor, als wären da zwei, die in einer Beziehung sind, die quasi an einem Wir arbeiten, aber ganz häufig nicht an sich selbst gearbeitet haben. Woran arbeitest du dich da ab, wenn du diese Beziehungskonflikte so regelmäßig und auch so intensiv inszenierst?
Eichholtz: In meinem wahren Leben habe ich mich daran schon abgearbeitet. Ich wurde in meiner Beziehung zwar nicht mit einem Penis überrascht, aber die anderen Sachen, die da so anfallen in dieser Beziehung und die Nichtkommunikation. Kim ist sehr aktiv in diesem Film und trifft ganz viele Entscheidungen, ohne ihren Partner einzubeziehen. Das macht sie nicht aus Boshaftigkeit, sondern das macht sie einfach so. Danach hat sie immer das Gefühl: "Oh Gott, was habe ich denn jetzt gemacht!" Und danach muss sie sagen, was sie gemacht hat. Andreas, von Christian Ehrich gespielt, ist sehr liebevoll, aber auch sehr passiv. Ich war beides schon in Beziehungen, deswegen wusste ich auch bei beiden ungefähr, wovon ich spreche.

"Eine Mischung aus dem Vorbild und mir selbst"

Wellinski: Du erzählst also in deinen Filmen auch von dir. Das ist interessant, wenn man sich vor Augen führt, dass die Hauptfiguren in deinen Filmen oft eine Frau oder eine junge Frau sind. Da bist du nicht alleine. Viele Regisseure erzählen Filme aus der Perspektive einer Frau. Hilft es dir, dann anders von dir zu erzählen und den Konflikten, die du erlebt hast?
Eichholtz: Ich glaube, wenn man selbst auch schreibt, ist man als Geschichtenerzähler immer in allen Figuren drin. Das kann man gar nicht vermeiden, auch wenn man sich natürlich Mühe gibt, auch mal weit von sich wegzugehen. Man muss trotzdem ein Verständnis haben. Bei meinen anderen Filmen gab es reale Vorbilder. Dann ist das eine Mischung geworden aus dem realen Vorbild und mir selbst.
In "Luca tanzt leise" geht es unter anderem um Depression. Das sind Sachen, die ich kenne und das ist auch total geschlechterunabhängig. In "Rückenwind von vorn" geht es um eine Unentschlossenheit: Was will ich eigentlich im Leben, wo will ich hin? Das ist auch sehr geschlechterunabhängig. Deswegen ging es immer ganz gut auf.
Wellinski: Es heißt immer, dass du am Set sehr schnell und auch sehr impulsiv arbeitest. Wie muss man sich das vorstellen?
Eichholtz: Wir haben diesen Film in 16 Tagen gedreht. Das ist wirklich nicht sehr viel für einen Spielfilm. Witzigerweise mache ich keine langen Tage. Ich fange um 10 Uhr morgens an und drehe bis 18 Uhr abends, nicht länger. Das sind sehr kurze Drehtage. Ich gehe danach immer noch selbst in den Schnitt. Meine Tage sind länger, aber für das Team ist es nicht länger. Ich weiß schon, was ich suche und was ich will. Das ist zwar ein Improfilm, aber eigentlich sollte man die Impro nicht merken. Wenn ich es habe, geht es dann weiter. Das ist einfach ein relativ schnelles Arbeiten.

Wie man beim Dreh improvisiert

Wellinski: Wie befeuerst du die Improvisation? Deine Filme sind geprägt von einer gewissen Energie. Das gilt für alle, auch wenn sie sicherlich aus unterschiedlichen Quellen gespeist sind. Wie erzeugst du das am Set? Schließlich wartet man beim Improvisieren manchmal sehr lange auf den gewünschten Effekt.
Eichholtz: Erstens ist immer wichtig, dass man weiß, was man sehen will. Auch wenn das nicht funktioniert, dass man dann ehrlich ist, auch wenn man keine Lösung hat. Dann ist das Casting auch alles. Die Schauspieler müssen funktionieren, die müssen Impro können, die müssen die Rollen wirklich kennen. Die Rollenerarbeitung mache ich weit vorher mit ihnen, so dass man am Set keine Fragen mehr für die Rolle hat und alles sehr klar ist. Diese Energie kommt von den Schauspielern, weil sie auch in Situationen kommen, in denen spannende Sachen passieren können.
Wellinski: Wie hilfreich ist es, dass du mit den Schauspielern regelmäßig arbeitest. Filme machen quasi als Arbeit mit und unter und auch für Freunde?
Eichholtz: Das sind so Arbeitsfreundschaften, die sind eigentlich ganz schön. Mein Team hinter der Kamera ist irgendwie immer dasselbe, und das ist gut. Wir sind aufeinander eingespielt, da ist sehr viel nonverbal. An meinen Sets gibt es kein Rumgeschreie. Das ist sehr fokussiert. Trotzdem hat man eine gute Zeit. Ich weiß bei Martina, mit der ich gemeinsam zum Beispiel "Luca tanzt leise" gemacht habe, was sie von mir am Set braucht. Die braucht am Set zum Beispiel was anderes als Victoria Schulz in "Rückenwind" von mir brauchte. Ich weiß dann, wenn ich mit den Leuten schon mal gearbeitet habe, was von mir in der Regiearbeit gefordert wird. Das ist immer höchstindividuell, jeder Schauspieler braucht was anderes.

"Licht kostet Geld und Zeit"

Wellinski: Wie wichtig ist der Look deiner Filme für dich? Wie arbeitest du am visuellen Konzept?
Eichholtz: Willst du mir gerade unterstellen, dass meine Filme einen Look haben? Sehr cool! Wahrscheinlich bin ich visuell einer der unspannendsten Filmemacher Deutschlands. Das ist natürlich auch dem geschuldet, dass wir unter wirklich sehr krassem Zeitdruck und mit sehr wenig Budget arbeiten. Licht kostet Geld und Zeit, Punkt. Das sind zwei Sachen, die wir nicht haben. Wir drehen in echten Berliner Wohnungen, wo wir einfach mit sehr viel arbeiten müssen, was da ist. Da kann man nicht mal eben die Wand rausnehmen, weil man eine schöne Fahrt machen will.
Aber ich werde visueller: Für den nächsten Film werden wir wahrscheinlich mehr Budget haben. Dann werde ich auch auf der visuellen Seite das nachholen, was bis schon im Schauspiel alles da ist.

Filmemachen jenseits der Filmförderung

Wellinski: Dein Werk wird immer gerne im Zusammenhang mit der Abwesenheit von klassischem Fördergeld in Verbindung gebracht.
Eichholtz: Wäre schön, wenn das umgekehrt wäre, wenn ich genannt werde - der, der eine Menge Förderung bekommt. Ich würde das schöner finden.
Wellinski: Aber mal ehrlich: Ist das für einen Regisseur mittlerweise nicht sogar imagefördernd? Man könnte auch sagen, dass vor allem das deutsche Fördersystem vielleicht alles Interessante, alle Ecken, alle Kanten aus den Geschichten rausretuschieren würde.
Eichholtz: Das wäre wahrscheinlich am Anfang passiert. Natürlich. Wer war ich denn am Anfang? Ich kam nicht von der Filmhochschule und mich kannte keiner. Meine Kurzfilme liefen nirgendswo. Wenn ich irgendwo Redakteur wäre, hätte ich mir wahrscheinlich selbst alles korrigiert: "Nein, so kann man das nicht machen."
Jetzt komme ich von vier Filme, habe viermal im Schnitt sitzen müssen und vor meinem Film gesessen und mich gefragt: "Okay, warum funktioniert das alles nicht?" Also, ich habe jetzt eine Handschrift, ob ich sie will oder nicht, ob sie unsichtbar ist oder nicht - aber ich habe zumindest eine Art, wie ich arbeite. Ich glaube, wenn ich jetzt ins System reingehe, gehe ich schon mit einem klareren Bild rein, als ich das vor vier, fünf Jahren gemacht hätte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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