Phänomenologie des Abschieds

Rezensiert von Maike Albath · 31.08.2005
Preis gekrönt für ihren Debütroman "Der Schwimmer" erweist sich Zsuzsa Bánk auch in ihrem neuen Erzählungsband als Expertin für Abschiede. Zwölf Mal geht es in "Heißester Sommer" um Trennungsschmerz, Verlustangst und Trauer, um berauschende Freiheitswünsche und Bindungssehnsüchte.
Manchmal wird eine Stimmung zum Auslöser für eine Geschichte. Bei Ferienaufenthalten in der ungarischen Heimat ihrer Eltern sog die 1965 in Frankfurt geborene Zsuzsa Bánk immer wieder eine eigentümliche Mischung aus Apathie, Fernweh und Traurigkeit ein. Aus dieser Atmosphäre, ergänzt durch Anekdoten aus der weitverzweigten Verwandtschaft, speiste sich ihr erster Roman "Der Schwimmer" (2002). Das Debüt erzählt von einer Familie, deren Mutter 1956 ohne eine Erklärung gen Westen aufbricht und damit auch die Zurückgelassenen entwurzelt. Auch in ihrem neuen Erzählungsband erweist sich Zsuzsa Bánk wiederum als Expertin für Abschiede. Zwölf Mal geht es in "Heißester Sommer" um Trennungsschmerz, Verlustangst und Trauer, um berauschende Freiheitswünsche und Bindungssehnsüchte.

Da gibt es zum Beispiel Anna, eine weltläufige Kongressteilnehmerin, die bei einem Vortrag in Deutschland von früheren Freunden aufgespürt wird. Sie haben im Radio zufällig ein Interview mit Anna gehört. Nach einem Moment der Verlegenheit – die Freundschaft liegt offensichtlich viele Jahre zurück - verabredet sich Anna mit der Familie, die aus der Studentin Márti, ihrer Mutter Zsóka und einem graubärtigen Vater besteht.

Wir erfahren kaum etwas über die Verbindungen, ebenso wenig wie über Annas Beruf oder den Grund der Entfremdung, obwohl die Vergangenheit jeden Satz und jede Geste grundiert. In einem Kosenamen verdichtet sich eine lange verloren gegangene Vertrautheit – und verwandelt sich bald darauf in die Erfahrung der Vergänglichkeit.

Die vier Freunde verbringen einen Sonntagnachmittag im Café. Die Begegnung hat etwas Berauschendes, und nach Annas Abreise wechseln sie Briefe. Plötzlich versiegt die Post aus Deutschland. Anna ist beunruhigt, bis sie durch einen Zufall von der Krebserkrankung Zsókas hört. Eines Tages liegt ein gelber Umschlag mit einem Telegramm im Briefkasten.

Wie Vokabeln einer Fremdsprache werden die unterschiedlichen Ausprägungen des Abschiednehmens durchdekliniert. Handlungsorte sind nicht nur gesichtslose deutsche Großstädte, sondern auch Washington, die nordamerikanische Provinz, Asien, Italien, London und die australische Küste. Bánks Heldinnen sind alle auf dem Sprung, unterwegs zu etwas anderem. Aber Zsuzsa Bánk hütet sich, das Geheimnis ihrer Akteurinnen zu verraten.

Sie lässt viele Leerstellen, schildert die Handlung nur in groben Linien, verzichtet auf Deutungen und dringt über die äußeren Umstände in das Innere der Figuren vor. Annas Gefühle lassen sich an der leergefegten sonntäglichen deutschen Straße ablesen oder an der Angewohnheit, täglich in ihrer verwaisten Wohnung anzurufen und sich den Widerhall des Telefonklingelns vorzustellen. Der Autorin, Jahrgang 1965 und für ihr Debüt "Der Schwimmer" mit vielen Preisen ausgezeichnet, gelingen immer wieder Momente von großer atmosphärischer Dichte.

Aber es geht nicht nur um Trauer als Folge eines Verlustes. Es geht auch um Schmerzen, die stellvertretend empfunden werden, weil sie in der Elterngeneration keinen Raum hatten. In der Titelgeschichte sucht die Amerikanerin Lisa im August ein kleines italienisches Bergdorf im Friaul auf, das ihre Mutter als Heranwachsende verlassen hatte, um in die USA auszuwandern. Die Hintergründe des Besuchs klären sich erst nach und nach.

Wir betrachten die Szenerie aus der Perspektive von Lisas Freundin. Beide treffen auf dem Bauernhof ein und werden von einem freundlichen Mann in Empfang genommen. Luca ist Lisas Onkel. Er führt sie durch das bescheidene Steinhaus, zeigt ihnen die Küche, die Schlafzimmer und die Wäscheschränke seiner gerade verstorbenen Mutter, die Lisa nie kennen gelernt hat.

Onkel und Nichte haben keine gemeinsame Sprache. Während die Holzbalken des Hauses knacken, betrachtet Lisa die fremden Gegenstände und fährt mit ihrer Hand durch die Wäsche ihrer Großmutter. Zum Abschied bittet sie um ein Schwarzweißfoto, das ihre Großmutter als Zwanzigjährige zeigt. Gemeinsam mit ihrer Freundin tritt sie die Rückfahrt an.

So schön Zsuzsa Bánk die Elegien des Abschieds gestaltet, so sehr hätte man sich ab und zu einen Kontrapunkt gewünscht. Gerade weil sie mit wenigen Mitteln intensive Stimmungen erzeugen kann, wäre ein Moment des Aufbegehrens, der Wut, der besinnungslosen Aggression willkommen gewesen. Denn es gibt die Gefahr, dass die melancholische Hingabe zu einer Pose erstarrt. Dennoch: Zsuzsa Bánk zählt zu den interessantesten Autorinnen ihrer Generation. In "Heißester Sommer" liefert sie eine kleine Phänomenologie des Abschieds.

Zsuzsa Bánk, Heißester Sommer. Erzählungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2005. 144 Seiten. 15, 90 €