Pflichtkurse an russischen Hochschulen

Studenten im Widerstand gegen Staatsbürgerkunde

Der Schriftsteller Wladimir Kaminer am 2. Juli 2015 in Hamburg.
Der Schriftsteller Wladimir Kaminer © dpa/picture alliance/Markus Scholz
Wladimir Kaminer im Gespräch mit Timo Grampes · 31.03.2017
Der russische Staat versucht, mit Pflichtkursen an den künstlerischen Hochschulen ("Grundlagen der Kulturpolitik des russischen Staates") die Jugend glattzubügeln. Am Moskauer Konservatorium hat das gerade nicht ganz geklappt.
Den ersten Schlag hat das Moskauer Konservatorium abgewehrt. Seit diesem Semester müssen Studenten an russischen Konservatorien – sowie an anderen künstlerischen Hochschulen, etwa für Theater, Film oder bildende Kunst – einen neuen Pflichtkurs absolvieren, der "Grundlagen der Kulturpolitik des russischen Staates" heißt. Das vom Kulturministerium aufgezwungene Fach entspricht in etwa den sowjetischen Pflichtkursen in Marxismus-Leninismus - es soll den Kunstschaffenden von morgen ihre Verantwortung für den Staat klarmachen.
Blick in den Großen Saal des Moskauer Konservatoriums
Blick in den Großen Saal des Moskauer Konservatoriums© picture alliance / dpa / RIA Nowosti
An der Moskauer Musikhochschule kam es während einer dieser Vorlesungen nun zum Eklat, ein Video davon kursiert im Netz. Eine Dozentin erklärte bekannte russische Autoren, Künstler und Aktivisten wie den Korruptionsbekämpfer Aleksej Nawalnyj, die Menschenrechtlerin Ljudmila Alexejewa, den Schriftsteller Dmitri Bykow und den Rockmusiker Andrej Makarewitsch zu "Verrätern der Nation", ein Kompositionsstudent muckte auf.

In Russland tobt ein "Propaganda-Krieg"

Der russischstämmige Schriftsteller Wladimir Kaminer, schon ewig in Berlin zuhause, sprach im Deutschlandradio Kultur von einem "Propagandakrieg" in seiner alten Heimat. Die Studenten hätten nach Einführung des Fachs an den russischen Hochschulen schnell festgestellt, dass es gar nicht um die "Grundlagen der Kulturpolitik" gehe:
"Es ging darum, dass der Westen uns Russen hasst, uns ständig provoziert, wir aber müssen uns keine Sorgen machen, denn wir haben ja diesen Präsidenten und den Kreml, der wird uns schon vor dem bösen Westen schützen."
Den Kampf um die politische Deutungshoheit in Russland sieht Kaminer noch nicht entschieden. Die Jugend habe derzeit weniger Angst als ihre Eltern und Großeltern, auf die Straße zu gehen und zu protestieren. Die Studenten werden siegen, glaubt Kaminer – das könne aber möglicherweise sehr lange dauern.
Das Moskauer Konservatorium hat sich im Übrigen inzwischen von der Hetzvorlesung distanziert, diese sei eine persönliche Initiative der Dozentin gewesen, hieß es. Die Dozentin wiederum hat gekündigt und ist gegangen - nachdem sie doch eigentlich den aufmuckenden Studenten rausschmeißen wollte. (kho/ahe)
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