Pflegerin und Pfleger des Jahres

Ein eingespieltes Erfolgsteam aus Berlin

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Die Krankenpflegerin Marie Sohn und ihr Kollege Philipp Wiemann stehen in einem Flur im Alexianer St. Hedwig Krankenhaus in Berlin-Mitte. Das Stationsleiter-Duo wird als Pflegerin und Pfleger des Jahres ausgezeichnet.
Pflegerin und Pfleger des Jahres 2021: Flache Hierarchien sind Marie Sohn und ihrem Kollegen Philipp Wiemann wichtig. © picture alliance / dpa / Paul Zinken
Von Wolf-Sören Treusch · 12.05.2021
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Der Tag der Pflege geht auf den Geburtstag von Florence Nightingale zurück, der Pionierin der modernen Krankenpflege. Und er ist Anlass für einen Personaldienstleister, Pflegerin und Pfleger des Jahres zu küren. Diesmal kommen sie aus Berlin.
"St.-Hedwig-Krankenhaus, Marie Sohn, hallo?" Das katholische St.-Hedwig-Krankenhaus in Berlin-Mitte. 1846 gegründet, eines der ältesten Krankenhäuser in der Hauptstadt. An einer Säule im Eingangsbereich die Halbskulptur der Heiligen Agatha.
Wunderschön, sagt Marie Sohn. Sie arbeitet gerne hier. Das Hospital sei für sie wie ein zweites Zuhause.
"Dass man von der Ordensschwester begrüßt wird, also muss man mal sagen, hat schon was als nur in ein Imperium reinzulaufen, wo man halt nur eine Nummer ist. Und wenn das Haus kleiner ist, ist das schon wunderbar: Wenn man in der Früh hierherkommt, und die Vögel zwitschern, und alle begrüßen einen mit dem Namen", erzählt sie.
Nun gibt es einen Grund mehr, sich ihren Namen zu merken. Die 33-jährige Marie Sohn wurde vom Personaldienstleister Jobtour medical zur Pflegerin des Jahres auserkoren. Im St.-Hedwig-Krankenhaus leitet sie die geriatrische Station: Gemeinsam mit ihrem Stellvertreter, dem gleichaltrigen Philipp Wiemann, der zum Pfleger des Jahres gewählt wurde.
Marie Sohn hat Philipp Wieman per Smartphone zum Gespräch zugeschaltet.
Marie Sohn und ihr Stellvertreter Philipp Wiemann (per Video) vom St. Hedwig-Krankenhaus in Berlin ziehen an einem Strang.© Deutschlandradio / Wolf-Sören Treusch
Die beiden werden am heutigen Mittwoch als Team ausgezeichnet.
"Ist immer noch ein bisschen unwirklich, muss ich mal sagen, weil: Es gibt tatsächlich sehr viele hervorragende Pflegekräfte, also wirklich realisiert habe ich es nicht", sagt Philipp Wiemann.

"Du bist ja mein zweites Gehirn"

Philipp Wiemann wird für eine kranke Kollegin die Spätschicht übernehmen, deshalb hat ihn Marie Sohn per Video zugeschaltet. Wir sitzen in der kleinen Bibliothek des Krankenhauses. Ihr Arbeitsplatz, die Geriatrie, in der viele Patientinnen und Patienten an Demenz oder Delir leiden, ist für Personen von außerhalb wegen Corona zurzeit nicht zugänglich.
"Philipp, du bist ja mein zweites Gehirn", sagt Marie Sohn. "Das heißt, wenn ich dir alles gesagt habe, kann ich es bei mir löschen."
Die beiden ziehen an einem Strang. Flache Hierarchien sind ihnen wichtig. Vor allem aber die richtige Zusammensetzung ihres Pflegeteams. Trotz Corona konnten sie in den vergangenen zwei Jahren 20 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewinnen.

"Skills Mix" für den Gesamterfolg

Vom Abiturienten, der ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Geriatrie absolviert, bis zur examinierten Pflegehelferin, die ihren Master in direkter Pflege macht: alles dabei. "Skills Mix" heißt das in der Fachsprache. Individuelle Fähig- und Fertigkeiten werden zum pflegetherapeutischen Gesamterfolg zusammengefügt.

Vom "Dienstboten-Beruf" zu einer Tätigkeit mit hohem Renommee (AUDIO) : Wie sich das Ansehen von Krankenschwestern und –pflegern in den vergangenen zwei Jahrhunderten verändert hat und welche Trends es derzeit in der Ausbildung zur Pflegekraft gibt, erläutert Karen Nolte, Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg.

Ein Pfleger versorgt einen Patienten im Krankenhaus mit einer Infusion.
© picture alliance / dpa / Christoph Soeder
"Wir brauchen Leute, die die Getränke eingießen, die sich um Beschäftigung kümmern, die schon mal Wäsche waschen, die den Patienten das Gefühl geben, dass sie nicht vergessen werden, weil wir gerade den Rundgang machen, und bis heute funktioniert das sehr gut", sagt Marie Sohn. "Ganz oft sind es die ganzen Sisyphus-Arbeiten, wo wir Pfleger an die Grenzen kommen. Viele Telefonate, wir haben das Gefühl, dass wir nicht so oft am Patienten dran sind, weil wir versuchen, das halt … (ihr Telefon klingelt) – Entschuldigung – alles zu regeln. Ich gehe da mal kurz ran. Ja, Philipp?"

"Wir haben Servicekräfte auf der Station"

Philipp Wieman ergänzt: "Man muss halt einfach gucken, dass man bestimmte Aufgaben von der Pflege abnimmt. Und zwar ist das ja bei uns zum Beispiel so: Wir haben Servicekräfte auf der Station, die zum Beispiel Essen verteilen, in vielen Kliniken ist das Pflegearbeit, müssen die zusätzlich noch dazu machen. Unsere Stationssekretärin kümmert sich um sämtliche Dokumente, ums Abheften, ums Archivieren und so weiter, Transporte bestellen, und das sind alles Sachen: Wenn sich die Pflege wirklich auf Pflege konzentrieren kann, dann, denke ich, ist das auch kein Problem. Weil: Das schafft man dann tatsächlich."
Der Personalzuwachs auf ihrer Station spiegelt die Gesamtsituation in Deutschland wieder. Laut der Bundesagentur für Arbeit haben die Krankenhäuser zuletzt 18.500 neue Pflegekräfte eingestellt. Die harten, in manchen Pflegeeinrichtungen oder Kliniken gar unmenschlichen Arbeitsbedingungen, über die spätestens seit Corona in der Öffentlichkeit so heftig debattiert wird, erleben die beiden nicht.

Pflegende als Sprachrohr der Patienten

Marie Sohn ermuntert ihr Team, mitzuteilen, falls man oder frau das Gefühl haben, gegen die eigenen Wertvorstellungen und Ideale handeln zu müssen. Sie habe immer ein offenes Ohr, sagt sie. Auch das ein Grund, warum sie als Pflegerin des Jahres ausgezeichnet wurde.
"Die Pflegekräfte sind immer das Sprachrohr der Patienten. Und wenn ich am Ende meines Dienstes das Gefühl habe, meine Patienten wurden nicht so versorgt nach dem ethischen Maß, wie ich es kennengelernt habe, dann muss es Gespräche geben", sagt sie.
Nach dem ersten Lockdown 2020 hatten 9000 Menschen dem Pflegeberuf den Rücken gekehrt. Marie Sohn gibt zu, auch sie habe sich schon gefragt: "Für wen mache ich das eigentlich?"
Aber jedes Mal hat sie die gleiche Antwort gefunden: "Ich finde, das ist auch ein Job von uns als Mensch, dass wir nicht nur in den Tag reinleben, sondern auch versuchen, ein Segen für den anderen zu sein."
Währenddessen blinzelt ihr Kollege auf dem Smartphone-Bildschirm ins Sonnenlicht. "Dann Philipp, habe noch einen schönen Vormittag, und wir sehen uns nachher", sagt sie. "Ja, bis gleich bald", antwortet er.
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