Peter Wawerzinek

Sechs Monate Dresden − eine bittere Bilanz

Der Autor Peter Wawerzinek im März 2014.
Peter Wawerzinek: Hat alles nicht funktioniert © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Moderation: Nana Brink · 28.12.2016
Seit Juni war Peter Wawerzinek Stadtschreiber in Dresden. Darüber berichtete er regelmäßig in unserem Programm. Jetzt ist der Schriftsteller nach Berlin zurückgekehrt - und blickt deprimiert zurück.
Peter Wawerzinek hatte einige Monate einen interessanten Job: Stadtschreiber in Dresden. Doch das, was er sich vorgenommen hatte, hat er nicht geschafft − er wollte Dresden von den Negativschlagzeilen befreien. "Hat nicht funktioniert", so seine nüchterne Bilanz im Deutschlandradio Kultur.
Er habe gedacht, er könne "in gesellschaftliche Prozesse reinkommen" − so wie andere Menschen, die irgendwo hinführen, wo dann der Vulkan ausbreche, womit sie zu "Vulkan-Experten" würden. Aber: "Hat alles nicht stattgefunden."
Er sei nun ein "bisschen enttäuscht" − in der Zeit, in der er in Dresden gewesen sei, habe es keinerlei Versuche in der Stadt gegeben, "dieses 'P' loszuwerden". Er habe auf einen aktiven Sommer oder einen aktiven Herbst gehofft − stattdessen habe er miterleben müssen, wie dann der dritte Oktober "schändlich abging" und die Kanzlerin beschimpft worden sei.
Fazit: "Das ist alles komisch."
Anhänger der islamkritischen Pegida-Bewegung in Dresden
Pegida-Anhänger in Dresden: "Alles komisch"© dpa / picture alliance / Matthias Hiekel
Wawerzinek hatte viel Besuch in Dresden, "und die wollten alle immer Pegida gucken". Er ging dann eher widerwillig mit, und war danach immer deprimiert. Insgesamt klingt Wawerzinek zerknirscht. Ein Trost gibt es aber − er habe "genügend aufgeschrieben", und nun soll es ein Buch über seine Zeit in Dresden geben. Und schließlich: Er sei froh, sich das angeguckt zu haben − statt nur drüber zu reden. (ahe)


Das Gespräch im Wortlaut:

Nana Brink: "Ich finde es immer besser, nicht von der Raumfahrt zu reden, sondern selber Kosmonaut zu sein", sagte uns Peter Wawerzinek Ende April dieses Jahres, als bekannt wurde, dass er ab Juni Dresdens Stadtschreiber sein würde. 1954 in Rostock geboren, ließ ihn seine Mutter nur zwei Jahre später zurück, ging in den Westen, er wuchs in DDR-Heimen und Pflegefamilien auf. Da hat er einen vielbeachteten Roman "Rabenliebe" geschrieben, den Ingeborg-Bachmann-Preis, der wurde ihm zuerkannt, und seit 1. Juni, wie gesagt, 2016 ist er also Stadtschreiber in Dresden, kommt immer alle paar Wochen zu uns ins Studio, um uns zu berichten, wie es ihm da ergeht, und jetzt ist er wieder hier. Ich grüße Sie!
Peter Wawerzinek: Ich grüße Sie auch, guten Morgen!
Brink: Guten Morgen! Ich erinnere mich an unser Gespräch im Sommer, da waren Sie noch ganz hoffnungsfroh, da waren Sie nämlich gerade mit dem Fahrrad unterwegs und fest entschlossen, Dresden den Negativschlagzeilen zu entreißen. Hat es funktioniert?
Wawerzinek: Nein, hat nicht funktioniert. Ich hatte ja auch irgendwie gedacht, dass ich jetzt, sagen wir mal, in gesellschaftliche Prozesse reinkomme, wie andere irgendwo hinfahren, und dann bricht vielleicht der Vulkan aus, und sie selber sind Vulkanexperten oder sowas. Hat alles nicht stattgefunden. Ein bisschen enttäuscht, habe aber genügend aufgeschrieben, muss aber sagen, dass also Dresden in dem halben Jahr, wo ich da war, also keinerlei Anzeichen von irgendwie gab, dieses "P" da loszuwerden.
Brink: Also Pegida.

Der dritte Oktober ging schändlich ab

Wawerzinek: Hab ich nicht erlebt. Ich hatte gedacht, der Sommer wird aktiv, oder ich hatte auch gedacht, dass der Herbst aktiv wird, stattdessen musste ich miterleben, wie der 3. Oktober dann doch irgendwie relativ schändlich abging. Also wenn man die Kanzlerin mit dem Wort "F…" noch beschimpft und das als Raucherpause anmelden kann, ist alles komisch. Also da sind sie ein bisschen rechts auf dem Auge, oder blind.
Brink: Noch mal ganz präzise: Sie waren ja entschlossen, dort hinzugehen auch. Haben Sie das denn als das ganze Dresden erlebt. Das ist ja immer der Unterschied, oder muss man das alles zusammendenken, kann man das nicht voneinander trennen?
Wawerzinek: Oh ja, ich war schon mehr Stadtschreiber als je geht, also es haben auch die Leute empfunden. Die haben gesagt, also passiert und geschieht mehr Stadtschreiber als sonst. Ich bin auch an sehr vielen … Sagen wir mal, die letzten zwei Monate war sogar mein Ziel, in Küchen reinzukommen, in Familien reinzukommen, das habe ich auch geschafft. Ich habe sogar geschafft, eine Wohnungslesung zu machen, also dass ich so ein Kaleidoskop von Menschen habe, die so ein bisschen auch dadurch Dresden sind.
Brink: Was hat Sie denn dann so irritiert?
Wawerzinek: Ja, ich wollte wissen, ob man jetzt irgendwie eine "P"-Stimmung hat und sagt, geht mich nichts an. Ich wollte wissen, ob das stimmt, was ich vorher gesagt bekommen habe, Dresdner, Thüringer, das ist schon ein komisches Völkchen im Widerstand gegen irgendwas, wo man gar nicht weiß, warum. Es geht ihnen eigentlich gar nicht schlecht. Sie haben eigentlich eine schöne Stadt, und es ist alles wunderbar, und trotzdem verschränken sie die Arme vor der Brust.

Ich dachte, die Gegenbewegung wäre stärker

Ich wollte auch sehen, warum man das nicht mehr aufgenommen hat, also die wollten das erst mal wegfegen. Da gab es solche Spaßaktionen, und ich hatte immer gedacht, ich werde mal selber bei solchen Spaßaktionen mitmachen können, oder ich dachte, diese Gegenbewegung, dass die stärker wäre, aber davon habe ich leider nicht viel gesehen.
Der Pegida-Gründer Lutz Bachmann vor dem Amtsgericht Dresden.
Pegida-Gründer Lutz Bachmann, hier als Angeklagter vor dem Amtsgericht Dresden: "Bei einer Stunde 22 kommt der Meister auf die Bühne"© dpa-Bildfunk / Pool / Fabrizio Bensch
Ich hatte das sehr auch jetzt als Anlass genommen, jetzt darüber noch trotzdem zu schreiben. Ich hatte fast schon gedacht, ja, was soll ich denn jetzt schreiben, das ist ja wie sich in den Namen Dresden einhängen, der jetzt so ein bisschen unrühmlich in der Welt rumgeistert.
Brink: Also Sie haben sich ein bisschen gescheut davor?
Wawerzinek: Jetzt habe ich mich eigentlich gescheut davor, daraus noch ein Buch zu machen. Ich fand es dann plötzlich alles nicht mehr so spannend und interessant, weil, wie gesagt, diese Erwartung, die ich dann hatte, dass da irgendwas passiert, sich was verändert, nicht eintrat, nicht erfüllt wurde.
Brink: Aber trotzdem haben Sie dann geschrieben in den letzten Phasen in einer Kolumne, die in der "Sächsischen Zeitung" erschienen ist, dass der ganze Zustand Sie auch gemütskrank gemacht hat. Das ist ja schon etwas, wo man sagt, das geht tief rein in das eigene Empfinden.

Der Besuch wollte immer Pegidagucken

Wawerzinek: Ich hatte mich standhaft gewehrt, da nicht hinzugehen, mir das nicht anzugucken. Dann hatte ich aber sehr viel Besuch. Das fand ich auch sehr schön, dass sehr viele Leute mich in Dresden besucht haben, Freunde, Bekannte, und die wollten aber immer alle Pegida gucken, und ich wollte das eigentlich nicht, und dann bin ich mitgegangen und hatte dann den Tag später solch eine Gemütstiefdepri, könnte man sagen, und habe gedacht, das ist ja toll, dann muss ich mich jetzt mal ein bisschen die Woche, die Wochen beobachten und herauskriegen, was das ist, und habe mich immer gefragt, könnte das mit Pegida und mit Pegidagucken zu tun haben, denn ich habe ja nur geguckt, und fand das dann also für den Text als Aufmacher, als Öffner in das Buch, schon ganz gut, sich immer wieder zu fragen, bin ich das jetzt selber oder ist das mein Alter oder hat das schon mit Dresden zu tun.
Brink: Obwohl, die Kolumne ist ja dann auch durchaus behandelt worden, die ist ja dann auch auf einer Pegida-Demonstration sogar vorgelesen worden. Gab es da Reaktionen, sind Sie irgendwie bedroht, eingeschüchtert worden?
Wawerzinek: Also mich hat da die "Sächsische Zeitung" informiert, mir auch dieses Video zugeschickt und gesagt, da eine Stunde 22 kommt der Meister noch mal auf die Bühne. Als das dann durch war und ich wegen Volksverhetzung und Aufruf zur Gewalt angeklagt werden sollte wegen einer Zeile, die hieß irgendwie so, der gute Teil von Dresden die Plätze stürmt und mal alle wegfegt, und wieder in Berlin zurück war, fand ich es ganz schön, dass ich in meiner Lieblingskneipe Watt – also das war mal früher die Rumbalotte von Bert Papenfuß, ein literarischer Treff –Cindy dann sagte, du hast es ja geschafft. Du hast gesagt, dass der Bachmann irgendwann den Bachmannpreisträger … irgendwann mal was verwechseln wird. Dann macht der Bachmannpreisträger irgendwas, hält eine Rede, einen Ausspruch, und dann wird sich der Bachmann melden und den Bachmannpreisträger verklagen oder irgendwie …
Brink: Also Lutz Bachmann von Pegida …
Wawerzinek: Ja, und das ist ja dann so kurz vor Toreschluss dann auch noch stattgefunden. Ich meine …
Brink: Aber das lässt Sie doch bitter zurück jetzt, wenn ich Sie so sehe, oder nicht?

"Ja, ich bin schon enttäuscht"

Wawerzinek: Ja, ich bin schon enttäuscht, aber ich habe ja jetzt, sagen wir mal, mit Lohme, Jena, Magdeburg, Dresden die große Tour durch den Osten gemacht und bin da schon zufrieden, dass ich es mir alles angeguckt habe, statt drüber zu reden. Deswegen, das mit dem Kosmonaut, lieber aussteigen und sich diese mir langsam fremd werdende Welt, der Osten, auch noch mal anzugucken.
Brink: Abschließende Frage: Sie sind ja froh, wieder in Berlin zu sein – das konnte man jetzt irgendwie gerade hören – hat Ihnen was gefehlt, hat Ihnen das andere Dresden gefehlt?
Wawerzinek: Ja, ja. Also ich war ...
Brink: Wo ist es?
Wawerzinek: Also sagen wir mal, die bunte Republik war gar nicht so bunt und agil, wie ich mir das vorgestellt hatte. Es kamen da auch wenige Aktionen von den … Man hat sich, glaube ich, auch da schon ein bisschen so in die Richtung Kommerz entwickelt oder so.
Brink: Eine etwas bittere Bilanz zieht Peter Wawerzinek. Stadtschreiber war er ein halbes Jahr lang in Dresden, und seine Erfahrungen, die er uns gerade geschildert hat, die werden dann in ein Buch … Wann erscheint es?
Wawerzinek: Ich schätze, dass das so nächstes Jahr, Mitte des Jahres irgendwann fertig ist.
Brink: Vielen Dank für Ihren Besuch hier in "Studio 9", Peter Wawerzinek. Danke!
Wawerzinek: Ja, ich bedanke mich und wünsche ein neues Jahr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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