Peter Singer: "Hunger, Wohlstand und Moral"

Das Übel der Welt abschaffen

Buchcover "Hunger,Wohlstand und Moral" von Peter Singer, im Hintergrund ein auf dem Gehweg sitzender Mann
Buchcover "Hunger,Wohlstand und Moral" von Peter Singer, im Hintergrund ein auf dem Gehweg sitzender Mann © Verlag Hoffmann und Campe / dpa / Deutschlandradio
Von Eike Gebhardt · 12.06.2017
Unsere Moral überdenken und eine neue Moral kreieren, fordert der Philosoph Peter Singer. Seine Idee ist recht einfach und auch einleuchtend, aber umstritten: Vorzugsbehandlung muss überdacht werden, damit keiner vergessen wird in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft.
Vor 45 Jahren ist der bahnbrechende Aufsatz des Moralphilosophen Peter Singer erschienen - und der Text wirkt, wie für die Gegenwart geschrieben, für eine Epoche der Flüchtlingsströme, der Abschottung und der sträflichen Selbsttäuschung über die Reichweite der eigenen Verantwortung. Aus dieser Verblendung kann uns nur ein radikal unvoreingenommenes, und vor allem unbequemes Denken führen, das unsere Tabus aufspießt und hinterfragt. Das ist seit fünf Jahrzehnten Peter Singers Markenzeichen.

Krankheit, Gewalt, Hass und Rassismus - einfach abschaffen

Fast alle Übel dieser Welt – Krankheit, Gewalt, Hass und Rassismus wurzeln für Singer in der Armut und wären so vermeidbar wie die Armut selber. An den Ressourcen mangele es ja nicht, nur an der längst ubiqitären Sensibilität, die Themen wie Gerechtigkeit, ja Menschlichkeit nur noch als Störfaktoren eines Effizienz- und Optimierungsideals erlebt. Singer ist radikaler Konsequenzialist, will sagen er beurteilt ethische Entscheidungen nach ihren Folgen – und nicht, wie der Gesinnungsethiker Kant z.B. - nach Motiven oder Gründen.
"Den Eltern, deren Kinder am Rotavirus zu sterben drohen, ist es wichtiger, an die lebensrettende Hilfe zu kommen als zu wissen, aus welchen Motiven heraus diejenigen [z.B. Pharmafirmen] handeln, die die Hilfe ermöglichen." Wenn Wohltäter und Multimillioinär Bill Gates oder Warren Buffet naiverweise erschüttert sind, "dass in unserer heutigen Welt... manche Leben für rettenswert erachtet werden und andere nicht", dann mag ihre Hilfe zwar persönlichen Motiven geschuldet sein, z.B. ihr privates Gewissen zu beruhigen; dennoch "bedeutet es, dass in gewissem Sinne Gates und Buffet in ihrer Wohltätigkeit wahrscheinlich weniger eigennützig sind als jemand wie Mutter Teresa, die als fromme Katholikin an Lohn und Strafe jenseits des Todes glaubte." Dass Gates mit seiner Frau Melinda das Vorwort für diese Neuauflage geschrieben hat, mag übrigens wiederum nicht ganz uneigennützig sein.

Unterstützung für ein neues Moralverständnis - und zwar von einem Milliardär

Und auch, dass wir nahestehende Menschen bevorzugen, sei zwar, so Singer, evolutionsgeschichtlich erklärlich: "selektiert wird schließlich nach Merkmalen, die unser Überleben sowie unsere Reproduktionsfähigkeit sichern, und Hilfe für entfernt lebende Fremde tut das nun einmal nicht." Will sagen, dass wir noch immer manche Leben für "rettenswerter" erachten als andere. Was heißt das für unsere angeblich universellen Werte? Was hieße das für die Verteilung des Reichtums und der damit verbundenen Lebenschancen? Und woher kommt überhaupt der Reichtum der Einen? Habe nicht schon Aquinas angedeutet, "der Überfluss, den die Einen haben, [sei] aufgrund des Naturrechts den Armen geschuldet"?
Singers scheinbar harmlos plaudernde Diktion versteckt die vernichtende Kritik an kulturellen Selbstverständlichkeiten – überall lauern kleine Sprengfallen. Keine Pauschalkritik – die würde das Schulterzucken leichtmachen, doch wie spurloses Gift träufelt er seine Einsicht, "dass ... unser Konzept von Moral ... verändert werden muss, und mit ihm die Lebensweise, die wir in unserer Gesellschaft für selbstverständlich halten halten." Eine zugegebenermaßen radikale Forderung, die gerade heute umso berechtigter, ja notwendiger ist.

Peter Singer: Hunger,Wohlstand und Moral
Mit einem Vorwort von Bill und Melinda Gates
Hamburg 2017, Hoffmann & Campe, 111 Seiten, 16 Euro

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